CD WINTER JOURNEYS – LAUTTEN COMPAGNEY BERLIN; deutsche harmonia mundi
Eine elegisch bis schneefunkelnde Winterreise mit weltlichen und geistlichen Liedern vom 16. bis 17. Jahrhundert
Der Winter als Gleichnis für die existenziell traurige Erfahrung eines in Liebesdingen unglücklichen jungen Wanderburschen, die Dunkelheit seiner resignierenden Seele, mit nichts als einem plätschernden Bächlein als Kumpanen sind uns als Ingredienzien von Franz Schuberts „Die Winterreise“ ein Begriff. Diesem romantischen Liederzyklus setzt dieses Album ein „Florilegium“ an die Jahreszeit „Winter“ charakterisierenden Renaissancemusiken entgegen.
Die vielfältigen Erfahrungen des Menschen mit Kälte und Dunkelheit, die unter Eis und Schnee versteckte Natur, der Eigensinn unserer geplustert gefiederten Freunde, die Wonnen der Geborgenheit wie die beschwerlichen Aspekte der kalten Jahreszeit, die Melancholie, der Tod, die Sehnsucht nach Sonne und jungem Grün aber auch die freudige Hoffnung des Weihnachtsfestes waren schon seit jeher Gegenstand von Volks- oder Kunstliedern, Tunes und mehrstimmigen Gesängen.
Eine Fülle an derartigen vokalen Miniaturen sind von den Komponisten Ludwig Senfl, Philipp Heinrich Erlebach, Andreas Hammerschmidt, Michael Praetorius, Heinrich Schütz, Johann Hermann Schein sowie Heinrich Albert überliefert.
Wolfgang Katschner und seine Lautten Compagney Berlin haben 24 Kompositionen gewählt, darunter 19 Lieder sowie fünf Instrumentalstücke/Tanzsuiten des Leipziger Thomaskantors Johann Hermann Schein aus dessen ‚Banchetto Musicale‘, die die winterlichen Stimmungen und Themen („Naturbilder, Einsamkeit, geistliche Anker, Weihnachten, Sehnsucht nach dem Frühling“) auf besondere Art und Weise vermitteln.
Wir lauschen Psalmvertonungen und geistlichen Chormusiken, aber auch keinen Tonsetzern zuzuordnenden Liedern wie „Es saß ein klein wild Vögelein‘, ‚Ach bittrer Winter, wie bist du kalt‘, ‚Es ist ein Schnee gefallen‘, ‚Lieb Nachtigall, wach auf‘, ‚Es kommt ein Schiff, geladen‘, und ‚So treiben wir den Winter aus‘, bei denen es sich um traditionelle Gesänge, mehrheitlich auf anonyme Texte handelt, die vom Schweizer Cellisten und Komponisten Bo Wiget arrangiert wurden. Für ‚O Tannenbaum, du trägst ein‘ grünen Zweig‘ hat Wolfgang Katschner die Fassung selbst eingerichtet.
Die seltsame Schönheit der Aufnahmen rührt von der archaischen Schlichtheit mancher Melodien, der bildhaften Poesie der Textvorlagen, der stupenden Farbigkeit der Instrumentierung – neben Geigen, Bratschen und Cello sorgen Viola da Gamba Blockflöte, Zink, Barockposaune, Dulzian, Renaissancelaute, Arciliuto, Chitarrone, Colascione und Schlagzeug für exotische, festliche Klangwelten und Abwechslung – und der Natürlichkeit des Vortrags, der Reinheit der Stimmen und der atmosphärisch dichten Wortausdeutung von Hanna Herfurtner (Sopran), David Erler (Alt), Stephan Scherpe (Tenor) und Jakob Ahles (Bass).
Wenn Wolfgang Katschner im Vorwort resümiert, dass das Bild einer Reise entsteht, „einer Reise ins eigene Ich, zur eigenen Seele, zur eigenen Identität und eben zu dem, was man Sehnsucht nach Heimat nennt“, dann ist das neben dem famosen Orchester der plastischen Gestaltungskraft, der Einfühlung, erzählerischen Prägnanz sowie der Verzierungsmeisterschaft dieses Vokalquartetts zu verdanken, die gleichermaßen in den expressiven Soli und kunstvollen Ensembles zum Ausdruck kommen. Der glockenhelle Sopran von Hanna Herfurtner (‚Es saß ein klein wild Vögelein‘, ‚Meine Seufzer, meine Klagen‘), der seraphisch timbrierte Countertenor des David Erler (wunderbar der Zwiegesang Sopran-Alt in ‚Jetzt heben Wald und Feld wieder an zu klagen‘), der lyrisch pure Tenor von Stephan Scherpe (‚Entlaubet ist der Walde‘) und der sonore Bass des Thomas Quasthoff-Schülers Jakob Ahles (gemeinsam mit dem Tenor ‚Es kommt ein Schiff geladen‘) lassen diese deutschen Lieder prächtig aufleben.
Ein besonders schwarzhumoriges lautmalerisches Gustostückerl hält der Kanon ‚Drei Gäns im Haberstroh‘ bereit, wo der Fuchs sich an die sich sicher glaubenden Gänse keck mit einer langen Stange heranmacht: „Allo, allo, allo“. Mit ‚Nach grüner Farb‘ mein Herz verlangt‘ von Michael Praetorius klingt das Programm sanft einschmeichelnd aus.
Dr. Ingobert Waltenberger