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CD-Weltpremiere: ANDREA BERNASCONI „L’HUOMO“ – Festa teatrale in einem Akt – Live Mitschnitt aus dem Markgräflichen Opernhaus Bayreuth, Mai 2023; dhm

04.06.2024 | cd

CD-Weltpremiere: ANDREA BERNASCONI „L’HUOMO“ – Festa teatrale in einem Akt – Live Mitschnitt aus dem Markgräflichen Opernhaus Bayreuth, Mai 2023; dhm

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Ab 7. Juni werden in Potsdam die Musikfestspiele Sanssouci über diverse Bühnen gehen. Obwohl das diesjährige Motto ureigentlich dem Tanz gewidmet ist, wird auch die Oper nicht zu kurz kommen. Dorothee Oberlinger, künstlerische Leiterin des Festivals, wird mit ihrem Ensemble 1700 vier Aufführungen von Carl Heinrich Grauns seit dem 18. Jahrhundert nicht mehr gespielter Oper „Adriano in Siria“ dirigieren.

Als Einstimmung auf Potsdam (Erinnerung an die letztjährige Premiere von „L’Huomo“) und die Entdeckungsfreude der Dorothee Oberlinger ist jetzt bei der deutschen harmonia mundi der Live-Mitschnitt einer barocken Musiktheater-Rarität aus Bayreuth 2023 erschienen.

Basierend auf einer Abschrift eines Bayreuther Hofkopisten aus der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel konnte Andrea Bernasconis Festa teatrale „L’Huomo“ nach einem Textbuch von Luigi Maria Stampiglia und Wilhelmine von Bayreuths Vorlage „L’Huomo“ rekonstruiert und aufgeführt werden. Die Tänze; Märsche und sonstigen instrumentalen Interludien fehlten zwar, wurden jedoch flugs durch entsprechende Musiken aus Carl Heinrich Grauns „Armida“ ersetzt.

Aus Anlass eines Besuchs König Friedrichs II. von Preußen wurde diese höfische Festmusik in Bayreuth 1754 uraufgeführt. Virtuose italienische Arien, Cavatinen, Chöre und zahlreiche Balletteinlagen in französischem Stil erfreuten das damalige wie das heutige Publikum.

Bernasconi, ein aus Marseille gebürtiger Musiker, der erfolgreich Opern für Venedig und Wien geschrieben hatte, kam 1753 vom venezianischen Ospedale della Pietà nach München, wo er am Hofe des Kurfürsten Max III. Joseph als Vizekapellmeister Anstellung fand.

Schon damals galt: Nicht überall, wo Bernasconi draufsteht, ist Bernasconi drin. Wilhelmine wollte dem königlichen Bruder mit Arieneinlagen überraschen, die beiden vertraut waren. So fanden Johann Adolf Hasses ‚Per lei mi nacque amore‘ aus dessen Oper „La Spartana“ (1747 für des Königs Lieblingssänger Giovanni Carestini geschrieben) und die Arie des Cattivo Genio ‚Tergi quei vaghi rai‘ als galante Bearbeitung einer Arie aus Hasses Oper „Semiramide riconoscuita“ Eingang in die Partitur. Nicht genug damit: Baldassare Galuppis ‚Quando congiunge Amore’ sowie zwei von Wilhelmine höchstpersönlich beigesteuerte Cavatinen erklangen ebenso zur royalen Gaudi von Wilhelmines hochgeschätzten Bruder.

Das von Ideen der Aufklärung und der Lehre des altiranischen Religionsgründers Zoroaster inspirierte Libretto rankt sich um den Reifeprozess des Liebespaars Animia und ihren Lover Anemone, das von tugendhaften wie durchtriebenen Allegorien umschwirrt wird. Und siehe da: Durch Einflüsterungen des die sexuellen Verlockungen rühmenden Cattivo Genio wird Anemone tatsächlich untreu, seine geliebte Animia widersteht jedoch. Es wäre keine Oper der damaligen Zeit, wenn nicht der verlässliche ‚Buon Genio‘ und die Vernunft in der Person der Negiorea das ganze Schlamassel richten würden. Animia verzeiht am Ende ihrem triebhaften Anemone den Fehltritt und alle suhlen sich im jegliche Dunkelheit besiegenden Happy End ‚Le tenebre vinte‘.

Ob allerdings ein solcher ‚Stern des Tages‘ diesen notorisch untreuen Markgrafen Friedrich von Bayreuth, seines Zeichens flatterhafter Ehemann der Wilhelmine, auf die Spur der Tugend zurückgebracht hat, ist nicht bezeugt. Was für ein diebisches Vergnügen für das anwesende Publikum die ganze Chose geboten haben muss, lässt sich leicht imaginieren, ließen sich zudem sowohl Librettist als auch der Komponist keine Gelegenheit zu süffig-schlüpfrigen Ironisierungen entgehen. Im Vorwort zum Libretto hat die kunstsinnige wie lebenskluge Markgräfin denn auch keinen Zweifel an ihrer Sicht der Dinge gelassen: „Billig befürchtet man, dass dieser Triumpf niemals anders aus auf der Schaubühne entstehen werde.“

Musikalisch bietet „L’Huomo“ ein abwechslungsreiches wie sinnenfrohes Hörvergnügen. Dorothee Oberlinger weiß mit ihrem 2002 in Köln gegründeten Spezialistenensemble 1700 die barock-galanten Schnörkel und atmosphärisch-kompositorischen Finten der Oper effektvoll in Szene zu setzen. Dabei erweist sich Oberlinger als Meisterin des Timings nicht nur in den fetzigen Arien (großartig etwa ‚Soffre talor del vento‘ der temperamentvollen Koloraturdiva Francesca Benitez). Sie weiß die instrumentalen Stücke mit Tempo, rhythmischer Akkuratesse und einem unerschöpflichen tänzerischen Schwung zu realisieren. Dazu habe ich kaum je dramaturgisch spannendere und kurzweiligere Rezitative gehört wie in dieser Einspielung.

Das Solistenensemble mit dem Sopranisten Philipp Mathmann (Anemone), Maria Ladurner (Animia), Francesca Benitez (Buon Genio), Florian Götz (Cattivo Genio), Alice Lackner (Negiorea), Simon Bode (Amor), Anna Herbst Volusia) und Johanna Falkinger (Incostanza) agiert auf hohem Niveau. Der Einsatz eines Sopranisten (mit im Vergleich zu Frauenstimmen oftmals beschränkterem Stimmvolumen, Projektion, Elastizität und Atem) bleibt für mich persönlich Geschmackssache. Philipp Mathmann macht seine Sache vokal sehr gut. Das schöne Timbre und die gut geführte Stimme gefallen, ein Lagenbruch in die tiefen Register und eine vibratolos instrumentale Höhe stehen jedoch auf der Sollseite der sängerischen Bilanz.

Anm.: Die Aufnahme entstand als Koproduktion von BR-Klassik, Deutsche Harmonia Mundi und Musica Bayreuth in Zusammenarbeit mit den Musikfestspielen Potsdam. Die Opernproduktion ging einher mit einem Forschungsprojekt der Universität Bayreuth, das die Wiederaufführung von »L‘Huomo« initiierte und sie wissenschaftlich vorbereitete und begleitete.

Zum Programm der Musikfestspiele Potsdam 2024 sehen Sie:

www.musikfestspiele-potsdam.de

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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