CD: Weltersteinspielungen von Werken Jaromir Weinbergers bei Grand Piano erschienen/
Eine echte Entdeckung
Es komme selten vor, dass man heutzutage völlig unbekannte Klaviermusik eines zu Lebzeiten hochangesehenen und berühmten Komponisten finde, von der noch keine einzige Note auf CD vorliege, meint der Pianist Gottlieb Wallisch. Ein ganzes Album mit Ersteinspielungen vorzulegen, sei für ihn etwas sehr Besonderes, eine Art Hebung eines Schatzes aus der Tiefe der Vergessenheit, so Wallisch.
Jaromir Weinberger (1896 bis 1967) wurde in Prag geboren, fing schon sehr früh an Klavier zu spielen und wechselte später nach Leipzig in die Klasse von Max Reger. Von diesem ist auch seine Musik beeinflusst. Sein berühmtestes Werk war die Oper „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ aus dem Jahre 1927. Da er Jude war, musste er Europa jedoch verlassen und floh 1939 in die USA. Seine Operette „Frühlingsstürme“ wurde noch 1933 in Berlin uraufgeführt und gilt als „letzte Operette der Weimarer Republik“. 1967 starb er in Florida durch Suizid. Weinbergers musikalisches Talent werde oft mit dem von Mozart verglichen, weil er als Kind bereits zu komponieren begann und hochvirtuos Klavier spielen konnte, so Wallisch. Durch die Begegnung mit Tristan Willems sei ihm die Bandbreite von Weinbergers Oeuvre bewusst geworden. Die hier von dem versierten Pianisten Gottlieb Walllisch vorgestellten Klavierwerke Weinbergers sind allesamt Weltersteinspielungen. Bei der „Sarabande“ spürt man beispielsweise die verblüffenden Einflüsse des französischen Impressionismus. Darauf deutet schon das Anfangstempo Andante con garbo hin. Noch interessanter ist die Begegnung mit der formal geschlossenen Klaviersonate Nr. 2 in d-Moll op. 4 aus dem Jahre 1915. Weinberger schrieb dieses Stück als Schüler des Prager Konservatoriums. Poetisch und höchst virtuos erscheint dabei die Sonatenform. Mal verspielt, mal düster und mürrisch – so wollte Weinberger selbst dieses Werk verstanden wissen. Die dritte Sonate entstand ebenfalls 1915. Sie wurde als „Spinett-Sonate“ bezeichnet, was Weinberger nicht schätzte, weil das darin genannte Instrument seiner Meinung nach die Musik herabwürdigte. Modischer Neoklassizismus herrscht hier vor, was Gottlieb Wallisch bei seiner Wiedergabe auch nicht leugnet. Aber auch hier stechen impressionistische Assoziationen heraus. Sehr originell ist ferner die hier vorgestellte „Pavane pour Dulcinea de Toboso“ (1916) nach „Don Quijote“ von Miguel des Cervantes. Im Zentrum dieser Pavane steht die dezent gestaltete Figur der Dulcinea, die der Ritter von der traurigen Gestalt zum Gegenstand seiner Zuneigung erkoren hat. Als fiktive Dame des Rittertums wird sie hier geradezu lyrisch verklärt. Der geheimnisvolle impressionistische Stil schimmert ebenso bei den „Valses Nobles“ hervor, bei denen Maurice Ravel Pate gestanden haben könnte. Doch Jaromir Weinberger entwickelt dabei einen ganz eigenständigen Stil voller harmonischer Zaubereien. Kontrapunktische Schmuckstücke sind die als „Gravures“ bezeichneten „Cinq Preludes et Fugues“ (1923), wo zunächst der imaginäre Held einer Doppelfuge triumphiert. Der Held der zweiten Fuge ist der tschechische Schriftsteller Mikulas Dacicky. Auch hier dominiert der Charakterisierungsreichtum dieser eindringlich gestalteten Musik. Und die dritte Fuge ist dem Zauberer Zyto gewidmet. Beim vierten Stück wird eine Sarabande mit einer Fuge verbunden. Und im fünften Stück blitzt im Finale der fünften Fuge die alte Dudelsackmelodie des Dudelsackpfeifers Schwanda auf. Beim Stück „Mi-La-Do“ aus dem Jahre 1924 überzeugt wiederum Jaromir Weinbergs ausdrucksvoller pianistischer Stil, wobei die Exposition der Melodie im ersten Takt (E-A-C) in der linken Hand von den Tönen Fis-A-D wirkungsvoll begleitet wird. Zum Abschluss erklingen noch drei wunderbare Stücke aus der melodisch reichen Oper „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ (für Klavier eingerichtet 1929 von Gustav Blasser). Volkstümliche Melodien korrespondieren überschwänglich mit leidenschaftlichen böhmischen Tänzen. Der Märchencharakter wird nicht verleugnet.
Alexander Walther