CD W.A. MOZART: WAISENHAUSMESSE, J. HAYDN: NELSONMESSE – MICHAEL GIELEN dirigiert das ORF Radio Symphony Orchestra, die Wiener Sängerknaben, den Männerchor der Wiener Staatsoper und den Chorus sine nomine; Orfeo
Live Mitschnitte aus dem Wiener Konzerthaus vom 12.6.1991 und vom 28.1.2000
Wenn es eine Art von (sakraler) Musik gibt, die auf das natürlichste und selbstverständlichste mit der Stadt Wien verbunden ist, dann sind das die Messen von Haydn, Mozart, Schubert & Co, die den sonntäglichen Hochämtern der Wiener Kirchen bis heute einen festlichen musikalischen Rahmen bescheren. Ob in der Augustinerkirche, in der Hofburgkapelle, dem Stephansdom oder der Jesuitenkirche, um nur einige prominente Gotteshäuser zu nennen, erfreuen sich die Gläubigen nicht nur am hoffentlich erbaulichen Predigten, sondern auch an musikalischen Glücklichmachern, die für kurze Momente – als Künder ewigen Lebens – die Welt in ihrem schönsten und hellsten Licht erstrahlen lassen.
Ob die Wiener Sängerknaben in der Hofmusikkapelle, im Schweizerhof der Hofburg, oder zahlreiche Kirchenchöre, bei denen Spitzensänger und -sängerinnen der besten Wiener Chöre gern gesehene Gäste sind, die Sakralmusiken von Haydn und Mozart gehören durch die jahrzehntelange Pflege sozusagen zur DNA der katholischen Kultur in der Musikstadt Wien.
Natürlich werden die größten Messen von Haydn, Beethoven oder Mozart auch konzertant aufgeführt, und auch hier gilt: Nirgendwo erklingt das Gotteslob glorioser und barock-jubelnder als in Wien.
Schon seit einigen Jahren editiert das Label Orfeo Mitschnitte von Live-Konzerten, digital remastered, aus dem Wiener Konzerthaus unter der musikalischen Leitung von Michael Gielen. Ich möchte hier etwa auf die Alben Hector Berlioz‘ „Lelio“ (7.12.2000), Gustav Mahler „Das Klagende Lied“ (8.6.1990) – bei beiden Aufführungen war der Rezensent als damaliges Mitglied der Wiener Singakademie mit von der Partie – Alexander Zemlinskys „Lyrische Symphonie“ oder das „Stabat Mater“ von Karol Szymanowski (28.1.2000) verweisen.
In der neuesten Publikation werden zwei hochkarätige Messaufführungen vorgestellt: Des 12-jähriigen Mozarts „Waisenhausmesse“ aus dem Jahr 1991 mit dem jungen Max Emanuel Cencic als Sopranisten und Joseph Haydns prächtige „Nelsonmesse“ in d-Moll, Hob. XXII:11 aus dem Jahr 2000 mit dem keine Wünsche offen lassenden Solistenquartett Elena Moșuc (Sopran), Annette Markert (Alt), Steve Davislim (Tenor) und Anton Scharinger (Bass) sowie dem Chorus sine nomine, einem exzellenten Amateurensemble, 1991 von Johannes Hiemetsberger als Studentenchor gegründet.
Anders liegt die Sache bei Mozarts „Waisenhausmesse“ in c-Moll, KV 139, uraufgeführt am 7.12.1768 in der Waisenhauskirche Maria Geburt am Wiener Rennweg. Hier wurde mit der Besetzung derart experimentiert, als man im Chor die Sopran- und Altlagen mit Wiener Sängerknaben besetzte und für Tenor und Bass männliche Mitglieder des Wiener Staatsopernchors auf die Bühne bat. Ebenso waren die Sopran- und Altsoli zwei Sängerknaben (Max Emanuel Cencic und Arthur Trainacher) anvertraut, während mit Jozef Kundlák und Làszlo Polgár für die Tenor- und Basssoli „erwachsene“ Simmen aufgeboten waren. Das klingt vor allem, was Cencic anklangt, reizvoll und dank seiner stupenden Musikalität auch rein intoniert, bringt aber vom Volumen und der Projektion her naturgemäß eine Unausgewogenheit in den vier Stimmen mit sich.
In beiden Fällen spielt das großartige ORF Vienna Radio Symphony Orchestra stilistisch wissend und mit der stringenten Mischung aus klanglichem Prunk und spiritueller Tiefe. Der halbe Österreicher Michael Gielen, der die beteiligten Musiker hörbar in den Details und vor allem den Fugen mit höchster Präzision vorbereitet hat, bevorzugt für beide Messen flotte Tempi. Phrasierung, Tempowahl, die Gestaltung von Übergängen und Rubati, die von allen Beteiligten eingeforderte und traumwandlerisch umgesetzte Intensität, führt zu musikalischen Ergebnissen und Einsichten, die Gebet, Andacht und klangliche Festlichkeit zu einer höheren Einheit binden. Für mich zählen diese klanglich erstklassig aufbereiteten, historischen Tondokumente in Sachen Mozart- und Haydn Messen zum aufregend Besten, was der Katalog auf Tonträgern anzubieten hat.
Grandios!
Dr. Ingobert Waltenberger