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CD W. A. MOZART KONZERTARIEN für TENOR – REINOUD VAN MECHELEN, A Nocte Temporis; Alpha

18.01.2025 | cd

CD W. A. MOZART KONZERTARIEN für TENOR – REINOUD VAN MECHELEN, A Nocte Temporis; Alpha

Ein großer Wurf!

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Wenn ich an Mozarts Konzertarien denke, kommt mir zuerst „Popoli di Tessaglia! Ah mai più giusto“ – „Io non chiedo, eterni dèi“, KV316 in den Sinn. Power-Koloraturwunder wie Edda Moser oder Nathalie Dessay konnten sich in den finalen Verzierungen gnadenlos bis aufs G6 über dem hohen C hinaufschrauben. Diese für Aloysia Weber geschriebene Bravourarie mit dem angeblich höchsten Ton, der jemals für die menschliche Stimme notiert wurde, imponiert mir jedenfalls gewaltig.

Aber natürlich hat Mozart Konzertarien auch für andere Stimmfächer geschrieben. So für Tenöre, wo wir bei dem nun publizierten Album angelangt wären. Sollen wir damit beginnen, dass der belgische Haute Contre Reinoud Van Mechelen und die französische Flötistin Anna Besson 2016 ihr eigenes Originalklangensemble A Nocte Temporis gegründet haben und seither damit reüssieren? Oder damit, dass W. A. Mozart, u.a. um sein Einkommen aufzubessern, (alternative) Arien für Opern von Kollegen und kapriziöse Primadonnen/Primouomini komponierte. Szenen/Arien mit Accompagnato-Rezitativ kamen zudem oftmals in Konzerten und Akademien zur Aufführung. Außerdem konnten junge Komponisten so ihre Erfindungsgabe unter Beweis stellen. Was Mozart in Bezug auf die vorliegenden Arien des Albums vom zarten Teeniealter von neun Jahren an tat.

Dabei schnitt Mozart die technischen Anforderungen an Agilität, Koloraturfähigkeit, Tonumfang als auch Firlefanzereien wie Intervallsprünge und Verzierungsmuster für solche Ersatzarien ganz auf die Möglichkeiten und Vorlieben bestimmter Gesangsvirtuosen zu. Elf solcher Arien soll Mozart in verschiedenen Abschnitten seiner Reifung für Tenor komponiert haben. Bei sieben davon ist sicher, dass sie in Gänze von Mozart verfasst wurden.

Daher hat Reinoud Van Mechelen in seinem siebten Solo-Album für das Label Alpha, bei dem er das Ensemble A Nocte temporis selbst leitet, sich auf diese sieben Stücke konzentriert und sie um die das Album einleitende Aria cavata ‚Se di lauri il crine adorno‘ aus „Mitridate, ré di Ponto“ ergänzt. Mozart war erst 14 Jahr alt, als diese Oper am Teatro Regio Ducale in Mailand uraufgeführt wurde. Das lyrische, musikalisch ungemein heikle Stück wurde damals vom Tenordivo Guglielmo d’Ettore interpretiert.

Die Reihenfolge auf dem Album folgt nicht der Entstehungszeit der Stücke, sondern vielmehr der Logik kontrastierender Affekte bzw. einer entstehungszeitlichen Pyramide. So folgt auf „Mitridate“ die dramatische Wutarie ‚Va, dal furor portata‘; KV 21/19c, die Mozart für den italienischen Tenor Ercole Ciprandi schrieb, der vor allem am Londoner King’s Theatre triumphierte. Als Vorläufer und Probelauf für seine ersten Opern „Die Schuldigkeit des ersten Gebots“ und „Apollo und Hyacinth“ dürfte die in Salzburg ein Jahr später geschriebene Arie ‚Or che il dover – Tali e cotanti sono, KV 36/33i bestimmt gewesen sein, die Mechelen ans Ende des Albums setzt.

Die Arien ‚Si mostra la sorte‘, KV 209 und ‚Con ossequio, con rispetto, KV 210 rahmen die drei Hauptstücke des Albums. Über erstere ist, wie Nicolas Derny in seinem informativen Text „Maßgeschneidert“ ausführt, wenig bekannt, während zweitere als Ergänzung der Opera buffa „L’Astratto, ovvero il giocator fortunato“ von Niccolò Piccinni fungierte.

Für Rezitativ und Arie ‚Misero! O sogno— Aura, che intorno spiri‘, KV 431/425b, einer romantisch-dramatischen Gefangenen-Szene à la Florestan für ein Konzert der Tonkünstler-Sozietät im Wiener Burgtheater 1783 verfasst, warf Mozart seine ganze kompositorische Wundermaschine ins Zeug. Der Held beschwört in Todesängsten sein tristes Schicksal. Umgeben von imaginierten Geistern, äußert er seinen Wunsch, seiner Geliebten ein letztes Adieu sagen zu dürfen, durchsetzt von Zweifeln, dass keiner ihn hört oder Mitleid mit seiner Lage fühlt. Auch Juan Diego Florez hat diese effektvolle Arie vor einigen Jahren ins Programm seines Mozart Solo-Albums genommen.

Van Mechelen, im Wesentlichen als einer der versiertesten Haute Contre seiner Generation für Rollen dieses Fachs in Meisterwerken des französischen Barocks bewundert, hat bislang seine sängerisch stilistische Exzellenz in vielen Opern von Lully, Charpentier (David & Jonathas!) oder Rameau zur Freude eines begeisterten Publikums unter Beweis gestellt. Der 37 Jahre junge Sänger, der seinen baritonal timbrierten Tenor auch mal als in den tiefen Lagen fundierten Evangelisten in Bachs „Johannespassion“, als Uriel in Joseph Haydns „Die Schöpfung“ oder als Mozart-Tenor glänzen lässt, verfügt über eine enorme Höhe sowie eine bewundernswerte Beweglichkeit der Stimme. Neben lyrischer Liebesverzückung stehen ihm als Haute Contre zudem eine imponierende heldische Attacke zur Verfügung.

Für Mozarts technisch enorm anspruchsvolle Konzertarien sind Mechelen von der intensiven Befassung mit der französischen Barockmusik her eine beispielhafte Diktion und eine rhetorisch eindringliche Artikulation (vgl. etwa die expressive Gestaltung von KV 431) zu Diensten. Das Pendant des Haute Contre im Italienischen ist der tenore contraltino, wie er von Mozart für seine Oper „Mitridate“ eingesetzt ist. 

Van Mechelen führt seinen Tenor bruchlos und sauber fokussiert durch alle Lagen. Mit welch herzergreifender Delikatesse er die wachsenden Qualen in ‚Se al labbro mio non credi‘, KV 295 nachzuzeichnen vermag, als der Held seine Geliebte wortreich insistierend, aber vergeblich, davon zu überzeugen sucht, dass sein Herz keinesfalls Königsmord in sich trägt, sondern in unschuldiger Glut brennt. Die 13-minütige Arie hatte Mozart für eine Szene im ersten Akt von Johann Adolf Hasses Oper „Ataserse“ konzipiert und dem Tenor Anton Raaff in die geläufige Gurgel geschrieben.

Bei all diesen Vokalpreziosen ist Reinoud Van Mechelen sein Ensemble A Nocte Temporis ein aufmerksamer Begleiter, welcher besonders in den seidigen Streichern und seelenvoll aufspielenden Holzbläsern kongenial zu einem unauslöschlichen Gesamteindruck beiträgt.

Nach diesem tollen klassischen Album stellt sich dem Neugierigen die nicht ganz aus der Luft gegriffene Frage, ob wir jetzt vielleicht auf ein Haydn-Tenor-Rezital dieses fabulösen Van Mechelen gespannt sein dürfen?

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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