CD: VIVALDI VERDI THE FOUR SEASONS – Riccardo Minasi, Orchestra La Scintilla
Klingendes Zeugnis eines neuen Hörerlebnisses
Verkaufsstart: 15. Mai 2020
Als Thema seiner ersten CD beim Label Philharmonia (mediale Plattform der Philharmonia Zürich), hat sich das Orchestra La Scintilla die „Vier Jahreszeiten“ ausgesucht. Für ein auf die historische Spielweise spezialisiertes Orchester lag die Wahl von Vivaldis Meisterwerk nahe. Auf dem Weg zu neuen Ufern hat man, nach den Aufnahmen von Bellinis „Norma“ und „La Sonnambula“ und Rossinis „Otello“ und „Le Comte Ory“, nun „Les Quatres Saisons“ von Giuseppe Verdi, die Balletteinlage seiner Oper „Les vêpres siciliennes“ (Plakat zur Uraufführung: Divertissement „Les Saisons“), ausgesucht.
Die „Vier Jahreszeiten“ op.8/1-4, erstmals 1725 in Amsterdam im Druck erschienen, sind zweifelsohne Vivaldis bekanntestes Werk und ein Meilenstein der italienischen Orchester-Literatur des 18. Jahrhunderts. Herausragendes Charakteristikum des Werkes ist, dass es als Programmmusik erstmals ein neues Weltbild zum Ausdruck bringt: Hier wird der Mensch von den Kräften der Natur beherrscht, währenddessen er vorher selbst im Zentrum der Natur stand. Inspiriert von „L’allegro“ und „Il penseroso“, zwei Jugendwerken des englischen Literaten John Milton, verfasste Vivaldi zu jedem der vier Konzerte ein Sonett, dessen Programm er bei der Komposition dann (mit entsprechenden Markierungen in der Partitur) minutiös befolgte und das er später dem Konzert voranstellte. In ihrer Gesamtheit werden die vier Konzerte so zu einer farbigen Instrumental-Miniatur-Oper, in der Vivaldi seine bisherigen Erfahrungen als Opern-Komponist und Violin-Virtuose verschmilzt. Zu den zahllosen Details, die die Konzerte quasi zu Vorläufern eines instrumentalen Realismus machen, gehören im Frühling das Zwitschern der Vögel und der Klang der Schalmeien der Hirten, im Sommer die drückende Hitze und die gereizten Insektenschwärme, im Herbst der Klang der Jagdhörner und im Winter natürlich die klirrende Kälte.
Das Orchester selbst hat sich auch die Frage gestellt, wieso wollen wir Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ spielen? Die Antwort, „Weil wir das richtig gut können“, zeugt von einem gesunden Selbstbewusstsein. Riccardo Minasis interpretatorischer Ansatz, eine extreme Fokussierung auf die Rhetorik, die die Musik noch sprechender und spürbarer macht , und das agogische Musizieren, der Verzicht auf jegliche Show und Glättung, überzeugt voll und ganz. Das „Kopfkino“, das die Interpretation auslösen will, kommt sofort in Gang.
Das Orchestra La Scintilla spielt höchst aufmerksam mit idealen Tempi und einem wunderbar herben, vielleicht etwas trockenen Klang, der das oft gehörte Stück in positivem Sinne unerhört werden lässt.
Die von Ricardo Minasi höchst geschmackvoll gespielten Violin-Soli tragen zum hervorragenden Höreindruck ihren Teil bei.
Die neue Konstanz, die die Zusammenarbeit mit Riccardo Minasi ins Orchester gebracht hat, wird direkt spürbar. Ein neuer Klang! Und was für einer!
„Les Quatres Saisons“ ist die Haupt-Balletteinlage für Verdis „Les vêpres siciliennes“. Da dies das erste Werk ist, das Verdi für die Opéra komponiert hat, ist die Balletteinlage zeitgleich mit der übrigen Komposition entstanden. Das Divertissement ist durch die „Balletts de Cour“ inspiriert: ein Motto ersetzt hier die Handlung. Diese Art der Ballette kannte das Publikum unter anderem von den Karnevalsbällen der Opéra und war so direkt angesprochen. Und der Bezug des Divertissements, für die Uraufführung von Lucien Petipa choreographiert, zur Handlung der Oper ist, das Booklet der CD ist hier anderer Meinung (“Inhaltliche Bedeutungslosigkeit“), frappant: das Publikum weiss, das Montfort auf dem Ball ermordet werden soll. Mit dem Einschub des Balletts steigert Verdi hier die Spannung.
Im Gegensatz zu Vivaldi ist das Orchestra La Scintilla hier nun in grosser romantischer Orchesterbesetzung zu erleben. Der herbe Klang lässt die Tanzseligkeit und den Glanz der Musik hautnah und eindrücklich erleben. Die Motive, wie die Tänzerinnen, die im Winter frösteln und versuchen sich am Feuer aufzuwärmen oder die Ernte in der Sommerhitze gelingen perfekt. Das Orchester überzeugt mit perfektem Spiel, so dass man sich doch gleich wünscht, die am Opernhaus programmierten „I vespri siciliani“ (https://www.opernhaus.ch/spielplan/kalendarium/i-vespri-siciliani/2020-2021/) in der zweifelsohne vorzuziehenden Originalfassung als „Les vêpres siciliennes“ mit dem Orchestra La Scintilla zu erleben.
Klingendes Zeugnis eines neuen Hörerlebnisses!
12.05.2020, Jan Krobot/Zürich