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CD Vivaldi Edition 57, 59 und 60: Violinkonzerte – Arien aus geistlichen Werken, Kammerkantaten und Opern mit der französischen Altistin Delphine Galou, naïve

09.06.2019 | cd

CD Vivaldi Edition 57, 59 und 60: Violinkonzerte – Arien aus geistlichen Werken, Kammerkantaten und Opern mit der französischen Altistin Delphine Galou, naïve

Eines der aufregendsten und qualitätvollsten Projekte der Schallplattengeschichte geht nunmehr schon in die sechzigste Runde. Im Umfang und von der musikhistorischen Bedeutung sogar demjenigen der ersten Gesamtaufnahme aller Bach-Kantaten mit dem Concentus Musikus unter Nikolaus Harnoncourt überlegen. 1926 und 1930 hat die italienische Nationalbibliothek in Turin den gesamten Nachlass Vivaldis auf Basis dessen persönlicher Manuskriptansammlung erstanden. Diese nach den beiden Stiftungen Foá und Giordano bezeichnete Kollektion enthält 450 Werke, die in ihrer Gesamtheit auf Tonträgern gebannt werden. Auf Ewigkeit angelegte Zeugnisse der Schönheit italienischer Musik des 18. Jahrhunderts. Der Musikologe Alberto Basso hat das Projekt vor einem Jahrzehnt gestartet, ungefähr zwei Drittel sind bereits aufgearbeitet.


In Volume 57 interpretieren das Orchester Europa Galante mit Fabio Bondi als Solisten und Dirigenten die Concerti per violino VI “La boemia”. Die Partituren stammen aus dem Korpus der 1730 und 1731 in Böhmen entstandenen Manuskripte. Wer meint , alle Vivaldi-Konzerte klingt gleich, der täuscht sich gewaltig. Wir finden hier Konzerte für Streicher und Violine verschiedener stilistischer Ausprägungen. So hören wir im Konzert in C-Dur RV 186 die “Schlichtheit und Klarheit einer bewusst nichtkontrapunktischen Orchesterverhandlung verbunden mit einem einfachen, reinen Violinpart. Das glanzvolle Konzert in e-Moll RV 278 hingegen bietet das Beispiel einer weit komplexeren Struktur, die dem Interpreten für die Jahre 1730-1731 typisch technischen Schwierigkeiten aufgibt: die emotionalen Kontraste wollen einen kühnen Bogenstrich, das Orchester entwickelt sich konstant kontrapunktisch und alle Teile sind gebieterisch dem Ganzen unterworfen.” Der in Palermo geborene Fabio Biondi, der diese Charakteristik formulierte, ist ein Geiger der Sonderklasse. Biondi spielt neben einer Andrea Guarneri zugeschriebenen Geige von 1686 ein Modell von Carlo Ferdinando Gagliano aus dem Jahr 1766. Er beherrscht galant gesungene Melodien und ebenso alle technisch äußerst anspruchsvollen Anforderungen wie Doppelseiten, Akkordübergänge im hohen Register oder einfallsreiche Kadenzen. Klar verschmilzt das musikalische Können mit dem affektiven Gehalt der Musik. Die CD enthält sechs Konzerte, die wie ein Kompendium der Violinkunst des 18. Jahrhunderts wirken. Dank Bondi und der Streicher von Europa Galante haben wir es mit keiner akademischen Übung zu tun, sondern mit höchst lebendigen, schwungvollen Wiedergaben voller Brillanz, Lebenslust, aber auch einiger nachdenklich düsterer Einschübe, die für das in barocken Zeiten so übliche Innehalten in Anbetracht der Vergänglichkeit alles Seins stehen.


In Volume 59 gibt es geistliche Musik für Kontraalt Solo zu entdecken. Die französische Sängerin Delphine Galou mit dem besonders reizvollen androgynen Sound interpretiert hier u.a. zwei Introduzioni für Kontraalt, “Filiae maestae Jerusalem” RV 638 und “Non in pratis” RV 641. Weiter können wir uns anhand der Vesperhymne “Deus tuorum militum” RV 612 für Alt und Tenor (Alessandro Giangrande) sowie dem “Salve Regina” in g-moll RV 618, einem “Regina coeli” RV 615 ein Bild davon machen, welch hervorragender Generalist Vivaldi war und wie er alle musikalischen Gattungen seiner Zeit auf originelle und maßstabsetzende Weise beherrschte. Begleitet wird Delphine Galou von der Accademia Bizantina unter der musikalischen Leitung von Ottavio Dantone. Den Violinpart im Violinkonzert RV 582 für die Feier von Mariä Himmelfahrt an der Pietà komponiert, spielt Alessandro Tampieri. Das Konzert war entweder als Einleitung zu einer Messe gedacht oder hat die Rolle einer “außerordentliche Musik”, was die öffentlichen Konzerte im Anschluss an einen Gottesdienst umfasste.


In Volume 60 begegnen wir noch einmal Delphin Galou mit “Arie e Kantate per contraalto”. Drei mehrsätzige Kammerkantaten folgen alle dem inhaltliche Schema einer Phantasiewelt Arkadien, wo arme Hirten an Liebesweh wegen grausam flatterhafter Nymphen leiden (oder auch umgekehrt). Die musikalische Qualität von “Cessate, omai cessate” RV 684, der Kantate “O mie porpore piú belle” RV 685 sowie “Qual in pioggia dorata” RV 686 mit Rezitativen und jeweils zwei da capo-Arien ist höchst unterschiedlich; zumindest die erste der genannten Kantaten enthält stupende Höhepunkte aus Vivaldis Vokalschaffen. Weiters werden im Album schmackhafte Arien aus den Opern “Tito Manlio”, “Il Giustino”, “La verità in cimento”, “Tieteberga” und “La Candace o siano Li veri amici” serviert. Barocke Raritäten, die von Delphine Galopp mit Einfühlung, Bravour, aber auch einer limitierten dynamischen Palette gesungen werden. Wieder sind die Accademia Bizantina unter Ottavio Dantone verlässliche Partner.


Dr. Ingobert Waltenberger

 

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