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CD VINCENZO BELLINI: NORMA mit MARINA REBEKA, KARINE DESHAYES, LUCIANO GANCI und MARKO MIMIKA; Prima Classic

30.09.2024 | cd

CD VINCENZO BELLINI: NORMA mit MARINA REBEKA, KARINE DESHAYES, LUCIANO GANCI und MARKO MIMIKA; Prima Classic

norm

Die lettische Primadonna Marina Rebeka hat nun Bellinis Paraderolle der Hohepriesterin der Druiden, reserviert für die allererste Liga von Belcanto-Sopranistinnen, für ihr Eigenlabel Prima Classic eingespielt. Unter Studiobedingungen im August 2022 im Teatro Real Madrid. Auf der Bühne hatte Rebeka diese Rolle zuvor schon etwa an der New Yorker Met 1017 oder an der Hamburger Staatsoper 2020 verkörpert. Vom 27. Juni bis 17. Juli 2025 wird sie Norma in sieben Vorstellungen an der Mailänder Scala sein.

Ihre Interpretation ist hörbar nach dem Vorbild der Callas überlebensgroß angelegt. Die Zerrissenheit der Figur zwischen der Rolle als Mutter und harter kriegerischer Pflicht, zwischen Liebe und (selbst)vernichtender Eifersucht kommt plastisch greifbar zur Geltung. Die harte Tragödie in Anbetracht der unausweichlichen Trennung von Pollione aufgrund seines Verhältnisses zu ihrer Priesterin und Freundin Adalgisa stehen vom ersten Ton an im Mittelpunkt ihres vokalen Auftritts. Die von Melomanen geliebte wie von Sopranistinnen gefürchtete Auftrittsarie „Casta diva“ (in G-Dur) ist weniger das verinnerlichte Gebet, wie wir es von der Caballé her kennen, sondern vielmehr eine erregte Selbstbeschwörung vor dem Hintergrund, eine kriegerische Auseinandersetzung mit den Römern vermeiden zu wollen. Immerhin ist ihr heimlicher Verlobter ein römischer Feldherr und die ebenso heimlich gehaltenen Kinder sollen nicht unter die Räder der widerstreitenden Interessen kommen.

Rebeka startet kämpferisch – stimmliche Schärfen dramaturgisch nutzend – in die Rolle, gewinnt jedoch im Laufe der Oper an Differenzierung und Nuancierung dieses so stolzen wie rachelüsternen Charakters. Die Szene Norma-Adalgisa zu Ende des ersten Aktes, wo die beiden (Noch) vertrauten Frauen über Adalgisas Liebesprobleme sprechen, vor allem darüber, wie sich eine Priesterin verhalten soll, wenn sie sich in einen Mann verliebt, ist ein Kammerstück an subtil sich im Kreis drehenden Emotionen. Kein Wunder, dass Norma Adalgisa versteht. Die Bekundung weiblicher Solidarität in der gemeinsamen Einschätzung, dass Adalgisas Liebe keine Sünde ist und Normas Angebot. Adalgisa von ihren Gelübden entbinden zu können, dauert aber nur kurz. Bis sich herausstellt, das Adalgisas Schwarm kein anderer ist als der Vater von Normas Kinder. Adalgisa will nun als treue Seele Norma helfen, Pollione wieder zurückzugewinnen. Für einen Augenblick scheint alles Wonne-Waschtrog, und die beiden besingen mit einem der schönsten, koloraturseligsten Duette der gesamten Opernliteratur ihre unverbrüchliche Freundschaft („Si, fino all’ore estreme.“).

Rebeka vermag die wild kontrastierenden Charakterzüge der Norma mit rein stimmlichen Mitteln nachvollziehbar zu machen: Verzweiflung, der Gegensatz von Pflicht und Liebe, Rachegedanken durch Kindes- und Selbstmord, Auseinandersetzung mit Pollione, Vergebung mit finaler Selbstauslieferung an den Scheiterhaufen (Strafe für den Bruch des Keuschheitsgeblübdes). Marina Rebeka weiß Phrasen zu gestalten, Text und Ton zu einer höheren Einheit zu verbinden. Insgesamt gelingen ihr die extrovertierten Szenen am besten. Rebeka ist am glaubwürdigsten, wenn sie als Norma rasen und zornbebend Furor verbreitet. Die metallische Höhe sowie das kurze Vibrato erinnern mich an die Norma der Cristina Deutekom.

Als Adalgisa ist die französische Sopranistin Karine Deshayes aufgeboten. Mit ihrer warmen, dunklen Mittellage und stupenden Höhe agiert sie auf Augenhöhe mit Norma und ist beileibe nicht die devote Dienerin, als die Adalgisa in einer anderen Stimmgewichtung erscheinen könnte. Die Besetzung der Adalgisa mit einem Sopran ist ja nichts Neues. Schon Giulia Grisi, die die Partie in der Uraufführung gesungen hat, war ein Sopran. Ein weiteres Beispiel stammt aus der jüngeren Vergangenheit. Auch Joan Sutherland letzte Norma-Aufnahme fand mit Montserrat Caballé als Adalgisa einen auch vom Timbre her interessanten Gegenpol.

Einige Worte zur Fassung: Roger Parker führt in seinen Überlegungen „Norma fängt noch einmal von vorne an“ aus, dass die autographe Partitur der Norma nicht den letzten Willen des Komponisten zeige, eine kohärente Vision, „sondern man kann sicher sein, dass diese Partitur nur eine Etappe in der Kompositionsgeschichte der Oper darstellt Die Konsequenz dieser Auffassung besteht darin, den anderen bestehenden Fassungen den gleichen Anspruch auf Authentizität zuzugestehen…. Eine der verblüffendsten Aspekte der verschiedenen Überarbeitungen der Oper durch ihn (Bellini) besteht darin, dass er sowohl in kleinen Details als auch in großen strukturellen Fragen zwischen konkurrierenden Versionen hin- und herzuschwanken schien.“

In der für die Platte erstellten kritischen Version wird versucht, die am 26. Dezember 1831 an der Mailänder Scala aufgeführte Fassung wieder herzustellen. Das bedeutet u.a., dass im Terzett aus dem ersten Akt „Oh, die qual sei tu vittima “ die sonst gestrichene Strophe der Adalgisa wieder geöffnet wurde, bei der Stretta am Schluss des ersten Akts ein Chor zu hören ist oder im Finale für den Chor „Guerra, guerra“ im zweiten Akt eine Wiederaufnahme der Musik aus der Sinfonia vorgesehen wurde. Natürlich sind diese Alternativen ein reizvoller Grund, sich außer der Besetzung der weiblichen Hauptrollen mit der neuen Aufnahme näher zu beschäftigen. Also alles bestens? Nein.

Luciano Ganci als Pollione ist mit der Rolle, vor allem der ersten Arie „Meco all’altar di Venere“ überfordert. Er agiert unkultiviert, mit hartem Tonansatz und Portamenti im ungefähren wie einigen Intonationstrübungen. Auch der ansonsten ganz fabelhafte kroatische Bass Marko Mimica bleibt in der wenig dankbaren Rolle als Normas Vater Oroveso blass und wenig konturiert.

John Fiore dirigiert das akzentuiert aufspielende, aber bisweilen trocken klingende Orchester und den braven Chor des Teatro Real Madrid mit breiten Tempi, aber doch hiebfesten Theaterpranke. Instrumentale Feinzeichnung, träumerische Kantilenen und elegischen Bellinisamt bleibt uns der Dirigent schuldig. Zu derb-knallig gerät für meinen Geschmack zudem manch dramatisches Ensemble.

Fazit: Eine wegen ihrer Fassung und der Besetzung der zwei Frauenrollen mit Marina Rebeka als Norma und Karine Deshayes als Adalgisa entdeckenswerte Neueinspielung von Bellinis Meisterwerk.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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