CD VINCENZO BELLINI: I PURITANI – Live/Studioproduktion aus dem Kulturpalast Dresden vom Dezember 2023; EuroArts
Lisette Oropesa (Elvira) und Lawrence Brownlee (Lord Arturo Talbo) im prickelnden Belcanto-Rausch
Bellinis letzte Oper „I Puritani“ um die Liebe zweier junger Leute aus in einem Bürgerkrieg gegenüberstehenden, religiös und politisch verfeindeten Lagern (Puritaner gegen königstreue Cavalieri) ist eine der aufregendsten Belcanto-Opern überhaupt, ein absoluter Höhepunkt der Gattung. In Tiroler Erl spielt man sie am 28.12. und 4.1., an der Opéra national de Paris steht eine große Serie vom 6. Februar bis 5. März 2025 an. Lisette Oropesa und Larry Brownlee werden dabei wie auf der vorliegenden Publikation die Stars der Wiederaufnahme der Produktion von Laurent Pelly aus dem Jahr 2013 sein.
In keiner seiner anderen Bühnenwerke hat Bellini meisterlich „verrückter“ seine unendlichen Melodien gesponnen, zischende Koloraturfeuer gezündet, rasende Strettas ersonnen und das Ganze mit packenden Ensembleszenen gekrönt, die mit zum Besten gehören, was uns die große italienisch-romantische Oper des 19. Jahrhunderts geschenkt hat. Nicht zu vergessen die vielen in stimmlichen Stratosphären angesiedelten Spitzentöne von Sopran und Tenor, die die Rollen von Elvira und Arturo zum anspruchsvollsten machen, was je für lyrischen Koloratursopran bzw. hohen lyrischen Tenor geschrieben wurde.
Da das rührend mädchenhafte der Figur der Elvira musikalisch bestimmend ist, weit entfernt von jeglicher Primadonnenshow, scheinen mir am besten diejenigen Sängerinnen zu passen, für die ein sensitiv feminines Charisma, ein einschmeichelndes Timbre, Agilität, Koloraturgewandtheit und sichere Spitzentöne zu den Markenzeichen gehören. Hießen meine bevorzugten Elviras bisher Paliughi, Moffo, Sutherland und die frühe Freni, so kommt nun mit der leuchtkräftigen Sopranistin Lisette Oropesa eine neue „Heldin“ hinzu, die es mit den vorgenannten Legenden auf ihre Art aufnehmen kann.
Alles fügt sich in dieser sublimen, jegliche Verzierung mit emotionalem Sinn aufladenden Interpretation zu einem runden Ganzen, ohne Anspruch auf stimmliche Perfektion erheben zu wollen. Das sinnlich bernsteinfarbene Timbre, die vorzügliche Legato- und Pianokultur, die elegante Phrasierung, die funkelnden Akuti und die glühende Leidenschaft/ Euphorie, die sie in ihre Interpretation legt, machen Oropesa heute zu der wohl interessantesten Vertreterin ihres Fachs.
Kongenial dazu erleben wir den US-amerikanischen Belcantoüberflieger und tenoralen Höhentiger Lawrence Brownlee am Zenit seines Könnens. In der mörderischen Partie des Arturo, die durch Interpretationen etwa von Gianni Raimondi, Nicolai Gedda oder Luciano Pavarotti geadelt sind, fühlt sich Brownlee wohl wie der Fisch im Wasser. Erst 2021 ist die 2020 eingespielte Aufnahme von „I Puritani“ unter seiner Mitwirkung mit Sarah Coburn, Azamat Zheltyrguzov, Tadas Girininkas, Liudas Norvaisas in weiteren Rollen und dem Kaunas City Symphony Orchestra unter Constantine Orbelian bei Delos erschienen.
In der vorliegenden „Dresdner“ Produktion ist Brownlee wieder der tenorlicht-strahlende Stuart-Anhänger und Lover, der in der berühmten Arie ‚Son gia lontani‘ im dritten Akt für Gänsehaut sorgt, bevor ein endloses Liebesduett und ein triumphales Finale mit einem spektakulären hohen F (vielleicht das beste Tenor F auf Tonträgern) diese Oper beschließen.
Die übrige Besetzung mit dem jungen, steil aufstrebenden Bariton Anthony Clark Evans (am 21. und 26. April 2025 wird er an der Deutschen Oper Berlin in der Titelpartie von „Der fliegende Holländer“ zu hören sein) als puritanischer Offizier Riccardo Forth, dem dunkelsamtig timbrierten italienischen Bassisten Riccardo Zanellato als Elviras Onkel Sir Giorgio Valton (ihr Stimmen harmonieren ganz großartig im Duettfinale des zweiten Aktes mit einem tollen Schlussspitzenton von Evans), dem niederländischen Bass Martin-Jan Nijhof, Ensemblemitglied der Semperoper Dresden, als Elviras Vater Lord Gualtiero Valton und Simeon Esper als Sir Bruno Roberton halten ein exquisites bis gediegenes Niveau, mit dem nur Roxana Constantinescu als Enrichetta du Francia wegen übermäßigen Vibratos nicht mithalten kann.
Der MDR-Rundfunkchor und die Dresdner Philharmonie unter der musikalischen Leitung von Riccardo Frizza bieten ein hervorragendes vokales und Instrumentales Level, das ich mir für viele Belcanto-Aufnahmen, die an orchestraler Anämie leiden, wünschen würde.
Mein persönlicher wärmster Opern-Weihnachtstipp!
Dr. Ingobert Waltenberger