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CD VINCENZO BELLINI „BIANCA E FERNANDO“ -Live Mitschnitt aus der Opera Carlo Felice Genova vom 30.11.2021; Dynamic

02.12.2022 | cd

CD VINCENZO BELLINI „BIANCA E FERNANDO“ -Live Mitschnitt aus der Opera Carlo Felice Genova vom 30.11.2021; Dynamic

Salome Jicia und Giorgio Misseri als Stars romantischer Belkantowonnen in der italienischen Version einer Befreiungsoper á la Fidelio

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Vincenzo Bellini, von Melomanen aller Zeiten und Zonen wegen der vielleicht schönsten Belcanto-Oper „Norma“ und den empfindsam-unendlichen Kantilenen innigst geliebt, war kein Vielschreiber wie Donizetti oder Rossini. Der in Catania gebürtige Meister des „Melodramma tragico“ und selbst von Richard Wagner hochgeschätzt, wurde nur 34 Jahre alt und hinterließ zehn Opern. Das heißt, er schrieb statistisch nur zwei Opern pro Jahr, eine unglaublich entspannte Kadenz für einen Tonsetzer der damaligen Zeit, wenn man an den Output der Kollegen Donizetti, Mercadante oder Pacini denkt. Bellini konnte es sich offenbar leisten, nur die prestigeträchtigsten und bestbezahlten Aufträge anzunehmen.

Seine erste Oper “Adelson e Salvini” schrieb Bellini 1825 für Neapel. 1826 folgte daselbst auf Anregung des berühmten Impresarios Domenico Barbaja „Bianca e Fernando“. Nach dem großen Erfolg von „Il Pirata“ am 27. Oktober 1827 an der Mailänder Scala meldete sich Genua bei dem jungen Komponisten. Es ging um nicht weniger als die Inauguration des neuen Opernhauses „Carlo Felice“, die am 7. April 1828 stattfand. Damals standen eine Huldigungskantate an den anwesenden König sowie die Oper „Bianca e Fernando“ auf dem Spielplan. Zwischen die beiden Akten wurde noch das Ballett „Gli adoratori del fuoco“ von Galzerani eingeschoben. Zeitzeugen zufolge gefielen besonders das Duett Bianca und Fernando im zweiten Akt und die Romanze samt Rondo der Bianca im Finale des zweiten Aufzugs.

Bellini war ein gewiefter Schreibökonom. Weit davon entfernt, eine Oper für die Einweihung des Carlo Felice in Genua von der Pike auf neu zu entwerfen, bediente er sich bei der 1826 in Neapel uraufgeführten „Bianca e Fernando“ (Libretto Domenico Gilardoni) und adaptierte die Oper bloß. Bellini fügte einige neue Passagen auf Texte von Felice Romani hinzu und modifizierte den Orchesterpart. Das ursprüngliche Vorspiel arbeitete Bellini zu einer Sinfonia um, er schärfte die unglaublich virtuose Cabaletta der Cavatine des Fernando im ersten Akt. Im zweiten Akt fasste er die Arie des Fernando „All’udir del padre afflitto“ gänzlich neu. Zudem adaptierte Bellini Cavatine der Bianca „La mia scelta“ und die Cabaletta „Contenta appien quest’alma“. Biancas Schlussarie „Deh! Non ferir“ schrieb Bellini exklusiv für Genua.

21 Aufführungen sind bezeugt, von denen auch der König von Savoyen einige mit wohlfälligem Applaus bedacht besuchte. Die Zeit war reif, um die entstandene Lücke iZm dem sinkenden Stern des Schwans von Pesaro zu füllen. Donizetti und Bellini teilten sich in diese dankbare Aufgabe.

In „Bianca e Fernando“ geht es um den usurpatorischen Filippo, der den alten Herzog von Agrigent Carlo in ein geheimes Gefängnis werfen ließ und dessen Sohn Fernando noch als Kind des Hofes verbannt hat. Carlos Tochter Bianca, verwitwet und Mutter eines Infanten hat, will – von den Machenschaften des Filippo nichts ahnend – Filippo heiraten.

Als Fernando mit seinem Getreuen Uggero (Antonio Mannarino) unter dem falschen Namen Adolfo nach Agrigent zurückkommt, erkennt ihn der alte Clemente (Giovanni Battista Parodi), ohne Fernando zu verraten. Fernando alias Adolfo gewinnt das Vertrauen des Filippo. Bianca wiederum wird von Fernando des Verrats bezichtigt.

Im zweiten Akt will Filippo, dass Adolfo den totgeglaubten Herzog, also dessen eigenen Vater, tötet. Nicht ohne zuvor Carlo vom Tod des eigenen Sohns und der bevorstehenden Hochzeit mit seiner Tochter Bianca erzählt zu haben. Fernando gibt sich seiner Schwester zu erkennen, obwohl er sie für eine Verbündete von Filippo hält. Die Schwester überzeugt Fernando eines Besseren und steigt mit ihm nach Fidelio-Art in Männerkleidern in den Kerker hinab, um den politisch gefangenen Vater zu befreien. Filippo versucht mit der Geiselnahme von Biancas Sohn, das Rad noch einmal herumzureißen. Clemente verhindert dies und im Finale wird groß die Befreiung des Carlo und seine Rückkehr auf den Thron von Agrigent gefeiert.

Der vorliegende Mitschnitt ist hervorragend gelungen. Die Aufführung verdankt die immense Spannung und ihren großen Reiz dem animierten und schwungvollen Dirigat von Donato Renzetti als auch den außerordentlichen Gesangsleistungen von Salome Jicia als Bianca und des in seiner spektakulären Auftrittsarie keine stratosphärischen Höhen scheuenden Tenors Giorgio Misseri als Fernando.

Die georgische Sopranistin Salome Jicia verfügt über einen breit strömenden, sämig-luxuriös timbrierten, dramatischen Koloratursopran. Die lyrischen Kavatinen gestaltet Jicia intensiv leuchtend, voller weiblicher Anmut, schwebende Piani fehlen hingegen. Die mitreißenden Cabalettas und das dramatische Duett mit Fernando singt sie – stilistisch eine Nachfolgerin der Renata Scotto – passioniert glaubwürdig und mit brillanter Tongebung.

Giorgio Misseri, ein an der Mailänder Scala und beim Donizetti Festival in Bergamo gern gesehener Gast, verfügt über einen gut fokussierten lyrischen Tenor mit Akuti, wie sie einst nur Chris Merritt hatte. Selbst wenn die extreme Höhe jenseits des hohen C nicht unbedingt schön klingt, sind die Sicherheit und die Unerschrockenheit, mit der dieser junge Sänger an die Klippen der Partitur ohne Netz herangeht, beeindruckend. Misseri ist abgesehen von der Gurgelakrobatik ein musikalischer Sänger, der fein phrasieren und decrescendieren kann.

Das Kleeblatt der Hauptrollen ist mit dem basso cantante Nicola Ulivieri als Filippo und vor allem dem puren Samt verströmenden italienischen Bassisten Alessio Cacciamani als Carlo hervorragend abgerundet.

Neben der im Juli 2016 in Bad Wildbad mitgeschnittenen Originalversion von Vincenzo Bellini Bianca & Gernando (erhältlich bei Naxos) ist die vorliegende Aufnahme somit die einzige einzeln erhältliche der revidierten Version von 1828.

Neben der hier besprochenen bloßen Audioversion ist auch ein Filmmitschnitt der Aufführung in den Formaten DVD/Blu-ray erhältlich.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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