CD URLICHT – SAMUEL HASSELHORN singt Orchesterlieder und -balladen sowie Opernszenen von Tod und Auferstehung; harmonia mundi
Musik von Mahler, Humperdinck, Korngold, Pfitzner, Zemlinsky, Braunfels und Berg
Der deutsche Bariton Samuel Hasselhorn hat sich für sein neuestes, nach dem Gustav Mahler-Lied „Urlicht“ (aus „Des Knaben Wunderhorn“) benannten Album ein Programm ausgesucht, das sich mit einigen spätromantisch orchestralen Höhepunkten der musikalischen Form Kunstlied als auch mit Opernarien aus der Zeit rund um die Jahrhundertwende befasst. Zu Letzteren gehören die Arie des Spielmanns aus Engelberts Humperdincks Oper „Königskinder“ (‚Verdorben! Gestorben!‘), der Bariton-Ohrwurm ‚Mein Sehnen, mein Wähnen‘ (Pierrots Tanzlied aus Erich Wolfgang Korngolds Oper „Die tote Stadt“) aus auch die Szene Wozzeck-Marie (Sopran Julia Grüter) ‚Dort links geht’s in die Stadt‘ aus Alban Bergs Oper „Wozzeck.“
Inhaltlich geht es in den Stücken überwiegend um den Tod, die Schicksalslaunen des irdischen Lebens und den fragilen Blick in eine bessere Zukunft. „Zudem spiegelt das Programm die Spannungen, die Mitteleuropa in der Zeit des Fin de Siècle erschütterten wider.“ Wir haben es am Vorabend des Ersten Weltkriegs mit einer desillusionierten Welt zu tun, „eine Welt, die politisch und ethnisch gepalten und von einer aus der raschen Urbanisierung und Industrialisierung heraus entstandenen Angst geprägt war.“ (Zitat Jean-François Boukobza).
Wer Samuel Hasselhorn als Künstler kennt und schätzt, der weiß, dass er sich dieses Programm keinesfalls gewählt hat, um seinen wohlklingenden, dunkel gefärbten lyrischen Bariton mit durchaus heldischen Akzenten ins rechte Licht zu rücken. Der dem Ensemble des Staatstheaters Nürnberg angehörende Sänger ist auf der Opernbühne längst im Fach des Kavalierbaritons (Mathis der Maler, Don Giovanni, Wolfram) oder in der dramatischen Titelpartie in Debussys Oper „Pelléas et Mélisande“ zu Hause.
Dieses Amalgam aus lyrischer Grundierung seines robusten, in der Mittellage prismatisch farbenfunkelnden und höhensicheren Baritons sowie einer genuin dramatischen Gestaltungsgabe (hören Sie Walter Braunfels „Auf ein Soldatengrab“, Op. 26) machen dieses mit 56 Minuten Spielzeit zwar nicht sonderlich umfängliche Album packend und in jeder Sekunde hörenswert.
Dazu kommt, dass Samuel Hasselhorn in dem Dirigenten Łukasz Borowicz und dem Poznan Philharmonic Orchestra wahre Traumpartner gefunden hat, die der hochexpressiven Interpretation des Sängers instrumentale Würze und einen Klangteppich bereiten bzw. aufpeitschende orchestrale Emotionen hinzuwachsen lassen. Eine ganze Welt tut sich auf, wenn Dirigent und Orchester im Ausschnitt aus Alban Bergs „Wozzeck“ das von Wozzeck im nächtlichen Mondlicht gegen Marie gezückte Messer auch instrumental stählern-tödlich aufblitzen lassen.
Die subtilen Abschattierungen an Empfindungen und atmosphärischen Kontrasten sind es, die dieses Programm abseits der generell düsteren Ausrichtung eine Balance und eigentümlich tröstliche Kadenz zwischen Abgrund und Morgenlicht zu wahren erlaubt. Rein systematisch bettet Hasselhorn die Humperdinck und Korngold Arien zwischen Mahlers „Revelge“ und „Um Mitternacht“, das wiederum nach Hans Pfitzners „Herr Oluf“ (nach einer Ballade von Johann Gottfried Herder), Op. 12, Mahlers „Urlicht“ platziert. Vielleicht ist diese schaurige Ballade die große Überraschung des Albums, weil Pfitzner die Ästhetik und die Effekte von Schuberts „Erlkönig“ nutzt, und doch ganz eigen mit dem spätromantischen Idiom (die Gewalt in Moll sezierende Dissonanzen, den Ritt imitierende lautmalerische Gestaltungselemente) zur Geschichte des Verlobten, der wegen dreimaliger Ablehnung eines Tanzes mit der Tochter des Erlkönigs mittels eines tödlichen Schlags aufs Herz bestraft wird, verschmilzt.
Bevor das Album mit der aufwühlenden Kostprobe aus Alban Bergs „Wozzeck“ und Mahlers in weltabgewandtem Vergehen badendem Rückertlied „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ schließt, dürfen wir uns über zwei Raritäten freuen.
Alexander von Zemlinskys „Der alte Garten“ (auf ein Strophengedicht von Joseph Freiherr von Eichendorff) weist einen gespenstisch morbiden Hauch aus dem Jenseits als auch ein märchenhaft surreales Ende über den Anblick einer schlafenden Lautenistin aus, die verklärt Vergangenes vor des Erzählers Eltern Tod in nächtliche Klänge bei Springbrunnengeplätscher durch den Garten wehen lässt.
Walter Braunfels‘ „Auf ein Soldatengrab“ nach Hermann Hesse thematisiert das Soldaten-Sterben im Krieg aus der Wahrnehmung einer überlebenden Geliebten samt einer pathetisch Heimatgeist und Jugend durch Ahnen-Chor Gesänge verherrlichenden Apotheose. Hier hat Braunfels – autobiografisch belegt – aus eigenem Erleben geschöpft, als der Komponist 1915 in die deutsche Armee berufen wurde.
Dennoch ist es nicht zuvörderst das abwechslungsreiche Programm (Mahler-Lied-Aufnahmen gibt es wie Sand am Meer), das die Exzellenz des vorliegenden Albums bestimmt. Samuel Hasselhorn weiß die einzelnen Figuren vom Soldaten („Revelge“), über den Spielmann, den Pierrot bis zum Wozzeck mit heißem Theaterblut zu beleben bzw. dem Erzähler („Herr Oluf“, „Auf ein Soldatengrab“) mit klarer Diktion ein charaktervolles singdarstellerisches Profil zu verleihen. Weit gesponnene Phrasen, die Tonbildung sul fiato, eine wundervolle Legatokultur, eine dem lyrisch-poetischen Gehalt der vertonten Gedichte geschuldete Artikulation und berückende Piani vermag Hasselhorn stets treffsicher aus seinem sängerischen Zauberhut zu holen. Grandios!
Hinweis: Schubert 200 Projekt – Gemeinsam mit Ammiel Bushakevitz startete Samuel Hasselhorn im Herbst 2023 einen musikalischen Parforceritt durch die letzten Lebensjahre Franz Schuberts: In fünf Alben sollen unter dem Label harmonia mundi bis 2028 anhand jeweils vor 200 Jahren entstandener Werke die späten musikalischen Pfade des Komponisten nachgezeichnet werden. Das erste Album mit „Die Schöne Müllerin“ erschien im September 2023.
Dr. Ingobert Waltenberger