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CD „UNITY“ REINHOLD FRIEDRICH Blechbläserquintette von Rameau, Vivaldi, Telemann, Ewald, Lutoslawski und Arnold; Solo Musica

20.08.2024 | cd

CD „UNITY“ REINHOLD FRIEDRICH Blechbläserquintette von Rameau, Vivaldi, Telemann, Ewald, Lutoslawski und Arnold; Solo Musica

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Zwei Trompeten, Horn, Posaune und Tuba und fertig ist das 2022 vom Trompeter Reinhold Friedrich gegründete Blechbläserquintett. Auf der Debüt-CD des Ensembles gibt es Barockes mit Romantischem und ein wenig klassischer Moderne garniert zu hören.

Bei den Mitgliedern des Ensembles handelt es sich um famose Orchestermusiker, die meisten von ihnen geben ihr Wissen lehrend auch an Jüngere weiter. Reinhold Friedrich war Solo-Trompeter beim Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks und ist mittlerweile Mitglied des Lucerne Festival Orchestras. Ebenfalls auf der Trompete hören wir Jeroen Berwaerts. Er war Solotrompeter beim NDR Elbphilharmonie Orchester und lehrt an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Der dänische Hornist Lasse Mauritzen spielte beim Royal Danish Orchestra, ist nun Solo-Hornist des Dänischen Rundfunks Kopenhagen. Der ehemalige Soloposaunist der Wiener Philharmoniker und des London Symphony Orchestra Ian Bousfield, seines Zeichens in der Schweiz lebender Brite, ist nun außerdem u.a. als Professor, Dirigent und Podcaster aktiv. Thomas Roisland (Tuba) kommt aus Norwegen, legte eine 15-jährige Station beim Norwegischen Radio-Orchester ein und ist nun Solo-Tubist beim Danish National Symphony Orchestra.

Die Sehnsucht von Orchestermusikern, sich mit Kammermusik zu beschäftigen, ist so verständlich wie Legion. Allerdings haben wir da eher die Streicher im Kopf, vielleicht in Kombination mit Klavier, Oboe oder Klarinette.

Blechbläserensembles sind da wegen der Endlichkeit originärer Werke über die Jahrhunderte hinweg aus einem rareren Stoff. Natürlich handelt es sich bei den auf dem Album „Unity“ präsentierten Nummern um eine Mischung aus Arrangements von Orchester- oder für andere Instrumentenkombinationen vorgesehenen und eigens für Quintett in dieser Besetzung geschriebenen Werken.

So hat die Suite aus Jean-Philippe Rameaus Oper „Dardanus“ Steven Verhelst für Jeroen Berwaerts bearbeitet. Das Arrangement von Antonio Vivaldis Triosonate „La Follia“ stammt vom Posaunisten Brian Bindner, dasjenige besonders gelungene von Georg Philipp Telemanns Trio Sonata TWV42 in a-Moll von Gunter Carlier. Eine Rarität finden wir in dem dritten Blechbläserquintett in Des-Dur, Op. 7, des russischen spätromantischen Tonsetzers, Cellisten, Bauingenieurs und Publizisten Viktor Ewald. Nach einer Mini Ouvertüre (2:50) von Witold Lutoslawski hören wir das dramaturgisch geschickt kontrastierende Quintett Nr. 1 von Malcolm Arnold, gelernter britischer Trompeter und Komponist u.a. von 30 Filmmusiken. Als launischer Drüberstreuer endet das Album mit einem „Lullaby for Boris Brexit“ The Beatles. Dieses Beatles Medley von Steven Verhaerts wartet mit drei melodischen Highlights der englischen Kultband auf, in Form eines ironisierenden Schlaflieds (aber schlafen zu fetzigen Trompeten „Ob-La-Di, Ob-La-Da’s“ wird wohl kaum jemand) in Anspielung auf Boris Johnson, der den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU mit besonderer Hartnäckigkeit betrieben hat.

Barockmusik und Trompetenklänge gehen immer, lieferten diese Instrumente vielfach den passenden Ausdruck zu erhabener Festlichkeit, hymnischer Selbstbehauptung und royalem Prunk. Rameaus Suite zur Musik seiner tragédie lyrique „Dardanus“ erzählt nicht die mythologische Geschichte der Oper, sondern fasst die markantesten Eingebungen des Komponisten in der Ouvertüre und den Sätzen Air vif, Air Vivement und Tambourins zusammen. Der helle Klang des Ensembles kommt dem tänzerischen Gestus (letzter Satz) dieser Musik und der duftigen Stimmung französischer Barockorchester sehr entgegen. Zu bewundern ist, wie gut dieses Quintett einem Ruderfünfer ähnlich rhythmisch loslegt, beschleunigt und offenbar rasante Temposchürzungen (Rameaus ‚Tambourins‘, aber auch in Vivaldis Triosonate) liebt. Die vielen kleinen Verzierungen, lustvolle Triller, die kontrapunktischen Geflechte werden transparent, präzise und in technischer Vollendung zelebriert.

Besonders eindrücklich vermag es dieses Spitzenensemble, die verschiedenen Stimmungen und Temperamente der Triosonaten von Vivaldi und Telemann durch gänzlich unterschiedliche Klangfarben darzustellen. Da können dieselben Instrumente je nach gefordertem Klangcharakter leise singen, emphatisch jubeln (‚Cantabile‘) und triumphieren, aber auch klagen, leise trauern, gedämpfte Melancholie oder einfach nur Nachdenklichkeit (‚Largo‘) vermitteln.

Viktor Ewalds viersätziges Quintett in Des-Dur, in dem der Komponist verschiedene (Volks)Lieder, aber auch einen Choral verarbeitet hat, begegnet uns bei Reinhold Friedrich und Ensemble als ein wunderbar elegant-beschwingtes Stück (Allegro moderato), voller Launen, feiner Theatralik und überwiegend animierender Leichtfüßigkeit. Und nicht zu vergessen: mit harmonischen Wendungen, zum Steinerweichen schön. 1912 begründete Ewald mit seinem ersten Quintett überhaupt erst die Gattung des Blechbläserquintetts in der Besetzung mit zwei Trompeten, Horn, Posaune und Tuba.

Mein persönliches Lieblingsstück des Albums ist Malcolm Arnolds Quintett Nr. 1., weil es die Ausdrucksvielfalt dieser so spezifischen Kammermusik am eindrücklichsten widerspiegelt. Wie Ewalds Quintett genau für diese Besetzung geschrieben, verblüfft das Stück ungeachtet der nur fünf Instrumentalisten mit orchestralen Wirkungen sondergleichen. In den drei Sätzen Allegro vivace, Chaconne und Con Brio geht Arnold an die Grenze des Machbaren. Nicht so für unser Brass Quintett, das selbst die vertracktesten Anforderungen des an Gershwin erinnernden, jazzigen letzten Satzes mit überschäumender Freude angeht. Im Allegro vivace hören wir Gaukler durch städtische Straßen hüpfen, die Lüfte frühlingshaft durchweht. Die Chaconne hingegen nährt Bilder voll dämonischem Huschen, lässt es gehörig wetterleuchten und scheint in operngestischer Elegie auszuhauchen.

Das Debütalbum von Reinhold Friedrichs Brass Quintett eint Klassiker und Bearbeitungen, die die Vorstellungen von den Möglichkeiten der beteiligten Instrumente erweitern bzw. neu kalibrieren. Weit entfernt von einer oberflächlichen Zurschaustellung virtuosen Könnens ist es die gemeinsam empfundene stupende Musikalität, die diese fünf Musiker tatsächlich zu einer Unity zusammenwachsen lässt. Die Spielfreude überträgt sich in jeder Sekunde auf die Hörerschaft. Eine Bemerkung zur an sich brillanten Tontechnik: Bisweilen hatte ich den Eindruck, dass die Tuba ein Mehr an Prominenz im Gesamtklang durchaus verdient hätte.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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