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CD und Digital Release: VIKTORIA ELISABETH KAUNZNER, Saiga Antilope, solo musica 2025

11.03.2025 | cd

CD und Digital Release: VIKTORIA ELISABETH KAUNZNER, Saiga Antilope, solo musica 2025

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CD: VIKTORIA ELISABETH KAUNZNER, „Saiga-Antilope“ solo musica SM 437 [2024]

Mit ihrem neuen Album „Saiga-Antilope“ entwickelt die Geigerin und Komponistin Viktoria Elisabeth Kaunzner ein musikalisches Manifest von persönlicher Dringlichkeit. Die Emanzipation weiblicher Komponistinnen, der transkulturelle Dialog als Quelle künstlerischer Inspiration und ein ökologisches Bewusstsein, das Musik als Mittlerin zwischen Mensch und Natur versteht, bilden die Grundpfeiler ihres künstlerischen Anliegens. Dieses Konzept, gewachsen aus ihren Erfahrungen als international tätige Musikerin, Komponistin und Pädagogin, prägt die musikalische Palette auf ihrem neuen Release, in dem auch drei Eigenkompositionen Platz gefunden haben.

Gemeinsam mit ihrem multinationalen Ensemble UKOREVV navigiert Viktoria Elisabeth Kaunzner technisch versiert und sinnlich durch das anspruchsvolle Terrain zeitgenössischer Musik, die bei aller konzeptionellen Tiefe stets physisch und zugänglich wirkt.

Die Reise dieses Albums beginnt auf der „Silk Road“, wo sich der Panoramablick ins cineastisch-Schillernde weitet. Dabei erweist sich das 35-köpfige Ensemble aus 15 Nationen als aufmerksames Pendant, um lyrische Intensität zu erzeugen. Mikrotonale Nuancen asiatischer Provenienz treffen auf westliche Spieltechniken und lassen die treibenden Strukturen an Fahrt gewinnen.

In deutlichem Kontrast folgt Violeta Dinescus Stück „Roman Fleuve“, eine suitenartige Komposition neutönerischen Gepräges, die 2021 in Valencia uraufgeführt und von Kaunzner persönlich in Auftrag gegeben wurde. Auch wenn sich der Gestus hier assoziativ und manchmal abstrakt gebärdet, steht Kaunzners Violinspiel souverän im Zentrum und meistert mit expressiver Kantabilität und experimenteller Klangtextur einen Balanceakt zwischen Expression und Impression.

Das Titelstück „Saiga-Antilope“ eröffnet impressionistisch, beschreitet dann aber geerdete Wege. Kaunzners Komposition pulsiert rhythmisch mit balkanesken Elementen, transformiert jedoch die folkloristische Basis in eine zeitgenössische Klangsprache. Die Violine führt das Geschehen mit geschmeidiger Agogik, um den Bewegungsablauf dieses vom Aussterben bedrohten Steppentieres zu versinnbildlichen.

In melancholischer Lyrik versunken, dann zunehmend pathetisch aufbrausend, verschreibt sich auch Elena Kats-Chernins Auftragswerk „Times of Rain and Sun“ einem transkulturellen Aufbruchsdenken. Phasenweise tritt dabei die Violine mit einer koreanischen Gayageum ins Zwiegespräch – ein musikalischer Reflex auf Kaunzners Erfahrungen während ihrer Zeit als Professorin an der Kangnam University (2011-2018), aus der auch die spätere Gründung des UKOREVV-Ensembles hervorging.

Die Eigenkomposition „Jasmine Rice“ zeigt Kaunzners Umgang mit erweiterten Spieltechniken in einer Interaktion mit dem hier weitgehend improvisatorisch agierenden Orchester. In Claudia Monteros „Concierto para violín y orquesta de cuerdas“ schöpft Kaunzner aus dem Fundus lateinamerikanischer Musik, transformiert jedoch die tänzerische Energie des Tango Nuevo in eine eigene, zeitgemäße Klangsprache. Auch hier zeigt sich bei aller Kraftentfaltung ein Gespür für die feinen Schattierungen der Musik.

Mit einem weiteren selbst komponierten Stück, dem triumphal aufbrausenden „Lucid Dreams“, vollendet sich diese farbenreiche musikalische Reflexion über vereinigte kulturelle Welten und spezifisch weibliches Komponieren. In Zeiten, in denen kulturelle Aneignung einerseits und identitäre Abschottung andererseits den Diskurs dominieren, führt Kaunzners Album auf einen dritten Weg: „Saiga-Antilope“ lädt mit attraktiven Klängen zur Erkundung des Fremden ein, was zur Erweiterung des Eigenen führt – und liefert dabei ein Hörvergnügen der Extraklasse.

Stefan Pieper

 

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