Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

CD „UN-ERHÖRT“ DANIEL BEHLE singt Lieder von RICHARD STRAUSS, u.a. den „Krämerspiegel“ Op. 66 und die „Gesänge des Orients“ Op. 77; Prospero

06.02.2021 | cd

CD „UN-ERHÖRT“ DANIEL BEHLE singt Lieder von RICHARD STRAUSS, u.a. den „Krämerspiegel“ Op. 66 und die „Gesänge des Orients“ Op. 77; Prospero

 

„Es war einmal eine Wanze, die ging, die ging aufs Ganze. Gab einen Duft, der nie verflog. Und sog und sog. Doch Musici, die packten sie und knackten sie. Und als die Wanze starb und stank, ein Lobgesang zum Himmel drang.“ Alfred Kerr aus „Der Krämerspiegel“

71p03p1+r5l. Sl1200

 

Im Jänner 2017 aufgenommen, war diese CD eigentlich zum 70. Todestag von Richard Strauss geplant. Nun ist sie endlich erschienen und wir freuen uns über ein tenorales Feuerwerk der Sonderklasse. Daniel Behle, ich habe ihn – schon lange her – das letzte Mal an der Pariser Oper in Lehars  „Lustiger Witwe“ live erlebt. Das war im März 2012. Meine Besprechung ist im Online-Merker Archiv nachzulesen. Seither hat sein im lyrischen (deutschen) Fach angesiedelter Tenor, dem er im Wesentlichen treu geblieben ist, eine enorme und nachhaltig aufgebaute Entwicklung in Richtung dramatischere Rollen genommen. Die Rollendebüts als Lohengrin und Florestan sind absolviert, ich bin überzeugt, eines Tages werden Stolzing und vielleicht auch Siegfried folgen. 

 

Daniel Behles Tenor ist toll fokussiert, mittlerweile mit der seltenen Gabe zu heldischer Attacke gesegnet. Er verfügt über ein männlich markantes Timbre und ist enorm höhensicher, was er gerade auf dieser CD erneut eindrücklich und virtuos unter Beweis stellt. 

 

Das braucht Behle auch, um die unverschämten, ja geradezu irrwitzigen Anforderungen zu bewältigen, die Richard Strauss seinem Tenor etwa in den späten „Gesängen des Orients“ (1928) abverlangt. Das sind zwar „nur“ fünf Lieder mit etwas über 15 Minuten Musik, die – wie Behle anmerkt – von der Tessitura, der Leichtigkeit der Bögen und den langen Legatophrasen her eigentlich einem hohen lyrischen Sopran in die Kehle geschrieben wäre. Genau so anspruchsvoll wie der Kaiser in der „Frau ohne Schatten“ oder der Bacchus in der „Ariadne auf Naxos“ und netto auch kaum kürzer oder gar dankbarer, gibt es kaum Aufnahmen dieses Werks. Es sei nicht verschwiegen, dass Behles Grenzgang nicht immer ganz leicht und spielerisch gelingt. Aber er umschifft die Kippen klug disponierend, gezielt die sog. Voix mixte mit kopfigeren Klangvaleurs nutzend.

 

Ich habe außer Behle nur eine aktuell erhältliche CD mit Strauss‘ Op. 77 mit Christine Brewer und Roger Vignoles gefunden. Unter den Baritonen haben sich Andreas Schmidt und Fischer-Dieskau daran gewagt. Auch für den Pianisten dieser Aufnahme, Oliver Schnyder, sind diese „Gesänge“ kein Spaziergang, sondern enorm anspruchsvoll. Erfreulicherweise ist Schnyder ein großartiger Mitgestalter und ergänzt Behles tenoralen Stierkampf mit musikantischem Urinstinkt, ätherisch poetischem Spiel samt spürbar eigener Duftmarke.

 

Das Zentrum der CD bildet freilich der „Krämerspiegel“ Op. 66 nach zwölf Gesängen von Alfred Kerr (1918), der als köstliche kalte Rache am Berufsstand der Verleger bezeichnet werden darf. Musikalisch zählt der Zyklus zum Allerfeinsten und meisterlich Ausgetüfteltsten, was Strauss überhaupt je komponiert hat. Auch wenn Behle wahrscheinlich zu Recht sagt, dass der Zyklus für das Klavier anstrengender ist als für den Tenor (Hören Sie sich etwa die großartigen Klaviersoli im achten Lied „Von Händlern wird die Kunst bedroht“ an! Kenner werden spätere Eigen-Anleihen in der himmlischen Mondmusik in „Capriccio“ wiedererkennen), bedarf es hier neben der gehörigen Stimmkraft und Höhe vor allem einer perfekten, am Kabarett gedachten Diktion und eines passend ironisierend sarkastischen Tonfalls, wie dies die genial bissigen Texte von Alfred Kerr vortun. Was Heinz Zednik in seiner Aufnahme aus dem Jahr 1991 wienerisch zugespitzt darstellen konnte, klingt bei Behle sprachlich durchaus ähnlich markant, aber opernhafter, wie dies Julius Patzak in der großartigen, unerreichbaren Aufnahme mit Walter Klien (1955, Preiser Records LP) vorgeführt hat. Unbeschreiblich gut und boshaft ist das neunte Lied „Es war mal eine Wanze“. Wer sich spätestens da noch nicht in diesen einzigartigen Zyklus verschossen hat, dem ist auch nicht zu helfen. Der Zyklus klingt mit einem verträumt romantischen  Klaviernachspiel aus, der das berühmte Thema aus dem achten Lied (später in Capriccio in einer hinreissenden Orchester-Apotheose zu prominentesten Ehren gekommen) wieder aufgreift. 

 

Richard Stokes beschreibt die Entstehungsgeschichte ausführlich in einem informativen Booklet-Aufsatz. Hier ist das ganze Dilemma rund um eine Vertragsklausel, die der Verlag  Bote & Bock anlässlich der Veröffentlichung des Op. 56 einfügte und ihm automatisch die Rechte am nächsten Liederzyklus zusichern sollte, als Auslöser einer kunstgeschichtlich einmaligen Kontroverse bis ins kleinste Detail nachzulesen.

 

Den Start des wichtigen und schon alleine der beiden Repertoireraritäten wegen höchst empfehlenswerten Albums bilden sechs Lieder, die um die Jahrhundertwende entstanden sind (Winterweihe, Winterliebe, Waldseligkeit, Traum durch die Dämmerung, Morgenrot). Halt oder ist da nicht beim Lied „Schmetterling“ als „Entstehungsdatum 2017 vermerkt? Befand sich das kurze Lied auf einen Text von Hermann Hesse etwa auch im Tresor der Jeritza oder hat es der Schelm Behle gar selbst geschrieben? Pst, ein Geheimnis muss bleiben. Das müssen Sie schon selbst herausfinden. 

 

Das geheimnisvolle Rätsel zu lösen und sich mit den im Album in der vorliegenden exzellenten Interpretation aufgenommenen vokalen Kostbarkeiten näher zu befassen, lohnt auf alle Fälle, zumal auch das Cover – dem Haus Prospero sei Dank – graphisch wieder einmal alle Stück‘ln spielt und Maßstäbe an keck bunter Zeichenkunst setzt und zur Anschaffung einlädt.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

Diese Seite drucken