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CD „TRANSFORMATION“ – Die Geigerin LEA BIRRINGER spielt Solostücke von Bach, Reger, Ysaÿe, von Knorr und Auerbach; Rubicon

23.10.2021 | cd

CD „TRANSFORMATION“ – Die Geigerin LEA BIRRINGER spielt Solostücke von Bach, Reger, Ysaÿe, von Knorr und Auerbach; Rubicon

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Der Geigengigant Bach und seine Rezeption im Wandel der Zeit

 

Die Violinvirtuosin Lea Birringer hat die bahnbrechenden Kompositionen von Johann Sebastian Bach für Violine Solo und ihren Nachhall für spätere Generationen an Tonschöpfern genau unter die Lupe genommen. Mit einer sehr subjektiven Auswahl ist ihr damit ein lehrreiches wie sehr persönliches Album geglückt. 

 

Den Start macht Birringer mit Bachs bekannter „Partita für Violine Nr. 3 in E“, BWV 1006. Ausgehend von der elegant, einer französischen Barocksuite folgenden Partita mit Preludio, Loure, Gavotte en Rondeau, Menuett I, II, Bourrée und Gigue illustriert die Geigerin mit dem aus ihrer Sicht nach wie vor unterbewerteten “Präludium und Fuge in d-Moll”, Op. 117, Nr. 6 von Max Reger die Anreicherung barocker Formen mit neu gefasster kontrapunktischer Komplexität, anspruchsvoller Chromatik und romantischer Emphase. Dem die Moderne vorwegnehmenden, streng wirkenden Grenzgänger Reger gar nicht so unähnlich ist die virtuose Tonsprache des Belgiers Eugène Ysaÿe. In seiner zweiten, viersätzigen “Sonate in a-Moll”, Op. 27 nimmt Ysaÿe Anleihen bei Bach und dem Dies-Irae-Motiv aus dem gregorianischen Choral. Birringer gelingt es ganz hervorragend, die geheimnisumwehte Atmosphäre, die Siciliano-Rhythmen, das fein gewebte melodische Geflecht, die dekadent endzeitliche Stimmung mit allen technischen Finessen klanglich auszudeklinieren. Mit zwei sehr spannenden Entdeckungen schließt das Album: Der deutsche Komponist Ernst-Lothar von Knorr verarbeitet in seiner viersätzigen “Partita in g-Moll” aus dem Jahr 1946 das Volkslied “Es geht ein dunkler Wolk’ herein” in einer ‚Reihe von originellen Variationen‘, Lera Auerbach wiederum geht in ihrer zehnteiligen “par.ti.ta” mit “angedeuteten, indirekten, verzerrten und entstellten Bach-Zitaten“ äußerst kontrastreich zur Sache. Birringer: “Fasziniert von Zersetzung und Auflösung spinnt Auerbach dem musikalischen Text teilweise bis zum Zerfall hin weiter. Die Zerlegung des Wortes Partita ist vermutlich auch ein Ausdruck für die Zersplitterung und Brechung von Bachs Ausdrucksformen in eine zeitgemäße Tonsprache. Mit ihrem ganz eigene Idiom – einer fantasievollen, mit Assoziationen behafteten Annäherung an den Klangkosmos des Thomaskantors lässt sie uns gleichzeitig in die Vergangenheit sowie neugierig in die Zukunft blicken.”

 

Lea Birringer verwandelt die technisch teuflisch anspruchsvollen Vorlagen in blutvolle Musik: Sie lässt all die barocken Tanzsätze Bachs mit galanter Hand flott über das Parkett fegen, begegnet der Vielfalt der neoklassischen Brechungen mit ebenso viel stilistischen Varianten an Bogenstrich, Artikulation, Dynamik und agogischer Sorgfalt. Aus der dem jeweiligen Charakter der Sätze folgenden Phrasierung ragt so mancher schroffe Fels, besonders bei Auerbachs par.ti.ta ist Birringer in ihrem Element. Den Vortragsbezeichnungen folgt sie akribisch, füllt diesen 300 Jahr nach Bach entstandenen Graffiti sprühenden Klangkosmos jedoch mit (Eigen)Sinn und gefühlt großer Lebenserfahrung.

 

Stupend! 

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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