CD TRANSCRIPTIONS – MENDELSSOHN-BARTHOLDY: Lieder ohne Worte, Doppelkonzert in d-Moll in Bearbeitungen von Andreas N. Tarkmann; Coviello
Es muss gesagt sein: Dem Gros an Bearbeitungen von allem für alle stehe ich bestenfalls skeptisch gegenüber. Und wir erleben derzeit eine Flut an Allerwelts-Arrangements. Am schlimmsten ist es, wenn Melodien, die schon im Verdacht stehen, beim Anhören Diabetes zu fördern, noch einmal mit einer dick-instrumentalen Zuckerschicht überzogen werden. Natürlich kommt es darauf an, welche Musik wie und für welches Instrument oder welche Stimmlage bearbeitet wird. Sorry, aber bei Goldberg-Variationen für Gitarre oder Akkordeon arrangiert, streike ich, ebenso, wenn Sarah Brightman sich an ‚Nessun dorma‘ & Co versucht, um Extreme anzusprechen.
Aber zurück zu unserem Album. Hier hören wir Stücke von Felix Mendelssohn-Bartholdy in Bearbeitungen des deutschen Allrounders, Oboisten, Komponisten und vielbeschäftigten Arrangeurs Andreas Nicolai Tarkmann. Und sei es, dass Tarkmann als ehemaliges Mitglied der Jungen Deutschen Philharmonie halt ein besonderes Gespür für das von ihm erlernte Instrument hat und/ oder über ein spezielles Feeling für die Musik von Felix Mendelssohn-Bartholdy verfügt – immerhin brachte ihm die Harmoniemusik von Mendelssohns Sommernachtstraum in der Fassung für Bläsersolisten einen Echo Klassik ein – jedenfalls überzeugt, ja begeistert mich das, was ich höre.
Eigentlich müssen wir für die Entstehung des Albums zehn Jahre zurückgehen. Damals wurde beim Niederrhein Musikfestival das Doppelkonzert für Violine und Klavier des 14-jährigen Felix in einer Bearbeitung für Harfe und Flöte uraufgeführt. Auch Harfe und Flöte sind bei Bearbeitungen nicht von vornherein vom Verdacht der puren größeren Gefälligkeit und leichteren Genießbarkeit befreit. Gerade hier gilt es daher zu differenzieren nach dem sinnigen Hofmannsthal-Spruch „Und in dem Wie, da liegt der ganze Unterschied“. Wenn Solisten wie der wohl weltbeste Harfenist Emmanuel Ceysson, seit September 2020 Solo-Harfenist des Los Angeles Philharmonic (zuvor in der gleichen Position an der Opéra National de Paris und an der New York MET) und die großartige Annette Maiburg am Werke sind, ist das halt schon eine edle Sache.
Zumal das Südwestdeutsche Kammerorchester Pforzheim unter der Leitung des wunderbar musikantischen Douglas Bostock all das Überschwängliche und den sportiven Elan der romantisch-poetischen Musik nicht verzuckern, sondern akzentuiert-flott das jugendliche Ungestüm und die strenge Polyphonie, beides energetisch aufgeladen, tiefenscharf sowie elastisch federnd nicht aus den Augen verliert. So bleibt die Balance zwischen der märchenhaften Eloquenz, der Feenhaftigkeit der Musik und ihrer formgebenden Strukturen gewahrt.
Natürlich verschieben sich die klanglichen Relationen und das Verhältnis der Solostimmen zueinander und zum Streichorchester, wenn statt Violine und Klavier Flöte und Harfe im Einsatz sind. Besonders die Flöte bringt eine reizvolle Klarheit im Vergleich zur Geige ins Spiel, die sich etwa in den zahlreichen kontrapunktischen Passagen gut macht. Insgesamt handelt es sich also um eine gelungene Übung, die alle Vorzüge der Musik Mendelssohns mit liebender Einfühlung berücksichtigt und die manchen entzückten Fan finden wird. Man glaubt Tarkmann aufs Wort, wenn er Mendelssohn als den „vollkommenen Komponisten der deutschen Frühromantik bezeichnet.“ Eine Einschätzung, die ich teile.
Das Album startet mit einer Bearbeitung für Oboe und Streichorchester von sieben der 48 Mendelssohnschen Lieder ohne Worte (Op. 19, Nr. 1; Op. 30, Nr. 2, 4, 6; Op. 85, Nr. 6; Op. 67, Nr. 5, 6), ursprünglich für Klavier solo geschrieben. Tarkmann hat die Bearbeitung auf Wunsch von Albrecht Mayer erstellt. Unglaublich, aber wahr ist, dass diese Bearbeitungen so klingen, als hätte sie Mendelssohn selbst vorgenommen.
Bei der Auswahl spielte eine große Rolle, ob die Stücke den technisch virtuosen Möglichkeiten der Oboe entgegenkommen. Aber nicht nur: Diese sieben ‚Lieder ohne Worte‘ von Mendelssohn „sind voll von versteckten Nebenstimmen, angedeuteten Kontrapunkten und sich häufig variierenden Kadenzschemata, die man als Bearbeiter dann so ausgestalten kann, dass das Streichorchester deutlich mehr am musikalischen Geschehen teilnimmt, und in einen konzertanten Dialog mit der Solo-Oboe tritt. Dies ist nicht nur musikalisch interessanter, sondern auch für den Oboisten kräfteschonender, weil er dann auch immer wieder eine etwas längere Atempausen zum Regenerieren hat.“
Der spanische Oboist Ramón Ortega Quero ist der mehr als kundige Solist der vorliegenden Aufnahme. Seit dem Frühjahr 2008 ist er Solo-Oboist des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks. Dass Ortega Quero einer der einfühlsamsten und brillantesten seines Fachs ist, kann anhand dieser poetisch leuchtenden als auch erzählerisch ausdrucksstarken Interpretationen wieder einmal erfahren werden. Alleine sein exquisites Spiel ist die Anschaffung des Albums wert. Dazu gebührt dem Orchester und dem Dirigenten auch hier uneingeschränkte Anerkennung.
Dr. Ingobert Waltenberger