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CD „TRANSATLANTIC“ – Musik von Copland, Dorman, Stravinsky, Takemitsu und Urquhart; onyx

25.11.2021 | cd

CD „TRANSATLANTIC“ – Musik von Copland, Dorman, Stravinsky, Takemitsu und Urquhart; onyx

 

Wundersame Jahresringe eines Baums

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Am Anfang war Craig Urquharts „Lamentation“ für Flöte und Streichorchester. Genauer gesagt, die Fassung für Flöte und Klavier, die im Sommer 2020 beim Schleswig-Holstein Musik Festival vom jungen griechischen Flötisten Stathis Karapanos und Christoph Eschenbach uraufgeführt wurde. Dann taten sich Komponist, der quirlige Flötist und der Dirigent dieses Albums, Garrett Keast, zusammen, um über eine orchestrierte Fassung nachzugrübeln. Wie nicht selten, wurde aus dem hübschen Baby mit wachsender Begeisterung ein ausgewachsenes Projekt. Mit der Flöte im Zentrum, zu der sich bei Avner Dormans Liederzyklus „Nofim“ sowie der Szene der Anne Trulove aus dem ersten Akt von Igor Stravinskys „The Rake‘s Progress“ auch die Sopranstimme von Chen Reiss gesellte.

 

Craig Urquhart ist ein Amerikaner, der in Berlin lebt und sich um das Leonard Bernstein Büro in der dt. Hauptstadt kümmert. Der ebenfalls in Berlin lebende amerikanische Dirigent Garrett Keast  machte sich auf die Suche nach Werken mit Flöte von Amerikanern, amerikanischen Einwanderern oder von Musik, die sich amerikanischen Geschichten verschrieben hat. Das Einzigartige an dem Album ist wohl, dass genau für dieses Programm ein eigenes Orchester gegründet wurde, die Berlin Academy of American Music. Die CD wurde mit dem gerade erst 6 Monate jungen Orchester mit Instrumentalisten aus fünf Kontinenten in Berlin, in den Teldex Studios im Jänner und Februar 2021 eingespielt. 

 

Das Ergebnis kann sich hören lassen, sowohl was das überzeugend originelle Programm, das energetisch mitreissende Musizieren als auch die fabelhafte Tonqualität anlangt. Den Start macht Stravinskys Konzert in Es-Dur „Dumberton Oaks“, das von einem reichen amerikanischen Paar zur Feier des 30. Hochzeitstags in Auftrag gegeben wurde. Die Uraufführung auf dem Gut wurde von keiner Geringeren als Nadja Boulanger dirigiert. 

 

Craig selber war Assistent von Bernstein, der während seiner schleswig-holsteiner Auftritte in Wulfshagen bei Jutta Gräfin zu Reventlow eingeladen war. Das Lamento hatte Craig als Zeichen seiner Trauer, aber auch seines Respekts gegenüber einem erfüllt gelebtem Leben nach dem Tod der Gräfin im Jänner 2020 notiert. 

 

Das Album kann auch mit einer Ersteinspielung aufwarten: der wunderschöne Liederzyklus „Nofim“ für Sopran, Violine, Flöte, Schlagzeug und Klavier des israelisch amerikanischen Komponisten Avner Dorman, auf einen hebräischen Text von Yuval Rapaport geschrieben, handelt von autobiographischen, programmatisch in Musik gesetzten Szenen aus dem Stadtviertel „Nofim“ in Tel Aviv. 

 

Toru Takemitsu wiederum hat die drei Teile seines impressionistisch anmutenden Zyklus „Toward the Sea II“ ,The Night‘, ,Moby Dick‘ und ,Cape Cod‘ genannt. Die Altflöte imitiert kunstvoll die Bewegung des Wassers, zu der sich die Harfenistin Marie-Pierre Langlamet mit wogenden Glissandoeffekten gesellt. 

 

Chen Reiss singt voller Charme und berührender Anmut schließlich die berühmte Szene der Anne Trulove „No word from Tom“, in der sie die wechselvollen Gefühle einer beginnenden Liebe mittels Rezitativ, Arie und virtuoser Cabaletta näher bringt. 

Zum effektvollen Abschluss der CD gibt es ein Wiederhören mit dem amerikanischen Klassiker „Appalachian Spring Suite“ von Aaron Copland. Wie die herrlichste Filmmusik, wo die Kamera in ruhigen und langen Einstellungen über weite amerikanische Landschaften gleitet, erklingt diese Neufassung für 13 Instrumente des ursprünglich von Martha Graham in Auftrag gegebenen Balletts. Sehnsuchtsklänge!

 

Es gibt sie, diese CDs, die in ihrer Frische, ihrer Spontanität, ihrer klanglichen Wandlungsfähigkeit und Buntheit sofort begeistern. Dass „Transatlantic“ eine  solche geworden ist, die man noch dazu immer und immer wieder hören möchte, ist wohl dem spürbaren Enthusiasmus aller Beteiligten zu verdanken. Stathis Karapanaos (Flöte), Chen Reiss (Sopran), die großartige Berlin Academy of American Music und ihr spiritus rector Garrett Keast vor den wohlverdienten Vorhang bitte. Bravo!

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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