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CD TONKÜNSTLER ORCHESTER – EMMANUEL TJEKNAVORIAN dirigiert „SCHEHERAZADE“ von Nikolai Rimski-Korsakov; Eigenlabel Tonkünstler Orchester

06.04.2021 | cd

CD TONKÜNSTLER ORCHESTER – EMMANUEL TJEKNAVORIAN dirigiert „SCHEHERAZADE“ von Nikolai Rimski-Korsakov; Eigenlabel Tonkünstler Orchester

 

Veröffentlichung: 7. Mai 2021

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Ein Glück, dass die niederösterreichischen  „Tonkünstler“ 2016 ein Eigenlabel gegründet haben, auf dem sie jährlich bis zu vier Produktionen veröffentlichen. Wie andere Orchester in österreichischen oder auch deutsche Bundesländern ist das technische und künstlerische Niveau der „Tonkünstler“ immer wieder – in diesem Fall namensgetreu – erstaunlich. Außerdem gibt es ja noch einen Kulturauftrag zu erfüllen. Da werden die Musikbegeisterten abseits der Hauptstädte oftmals seit Jahrzehnten mit hochqualitativen Aufführungen eines weit gestreuten (symphonischen) Repertoires versorgt.

 

Die „Tonkünstler“ haben wahrlich prominente Residenzen. Neben den Wiener Philharmonikern sorgen sie im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins für regelmäßig aufregend schöne und wichtige Abende. Daneben sind sie natürlich im Festspielhaus St. Pölten und in Grafenegg zu hören.

 

Noblesse oblige, steht der immense symphonische Kosmos zur Disposition, als Gradmesser im nationalen und europäischen Wettbewerb, aber freilich auch, um die Passion etwa für die Zauberwerke der russischen Klassik einem dankbaren Publikum vermitteln zu dürfen. 

 

Im Auditorium von Grafenegg im September 2020 eingespielt, überzeugt die hingebungsvolle  Interpretation des jungen Emmanuel Tjeknavorian, der sich mit der Aufnahme der „Scheherezade“ von Nikolai Rimski-Korsakov wohl einen Kindheitstraum erfüllte. In einer „Widmung“ verrät er uns, dass er schon als Fünfjähriger zu seiner Lieblingsplatte der „Scheherazade“ (Anm.: mit dem London Symphony Orchestra unter der Leitung seines Vaters Loris Tjeknavorian) auf einem eigenen Dirigierpodest leidenschaftlich den Stab schwang.

 

Das Album startet mit einer beschwingt flotten Wiedergabe der Ouverture zur Oper „Ruslan und Ludmilla“ von Michail Glinka. Dann als nach wie vor seine Wirkung nicht verfehlenden Reißer hören wir die „Scheherazade“ – Symphonische Suite für Orchester Op. 35 von Rimski-Korsakov. Emmanuel Tjeknavorian ist ja selber ein berühmter Geiger, hier hat er den feingliedrig virtuosen Solopart dem ersten Konzertmeister des Orchesters, Kirill Maximov, anvertraut. Mit der Geige ist natürlich die Erzählerin und ihre verführerische Stimme gemeint, “süß, fesselnd und klug.”

 

Im Stück geht es nämlich um nichts anders als um das Überleben durch und mit der Kunst, wenngleich Rimski-Korsakov die Suite nicht als Programmmusik aufgefasst haben will. Die Story in Kürze: Sultan Schahriar lässt jede seiner Frauen nach der ersten Nacht töten, weil er von ihrer Untreue überzeugt ist. Scheherazade rettet ihr Leben, indem sie seine Aufmerksamkeit durch Märchen fesselt, die sei ihm während 1001 Nächten erzählt.

 

Welch farbenfrohe und im wahrsten Sinne märchenhaft bezaubernde Musik Rimski-Korsakov zu den vier Episoden „Das Meer und Sindbads Schiff“, „Die Geschichte vom Prinzen Kalendar“, „Der junge Prinz und die junge Prinzessin“ und „Fest in Bagdad. Das Meer. Das Schiff zerschellt an einer Klippe unter einem bronzenen Reiter“ ersonnen hat, hat ihn nicht nur weltberühmt gemacht, sondern auch jedem Orchester das auf sich hält, eine Steilvorlage gegeben. Der Komponist gibt uns in der “Chronik seines musikalischen Lebens” den Schlüssel zum Verständnis des Werks: “Auf der Grundlage der völlig freien Behandlung des musikalischen Materials wollte ich eine viersätzige Orchestersuite schaffen, die einerseits durch gemeinsame Themen und Motive innerlich geschlossen ist und andererseits gleichsam eine kaleidoskopartige Folge von Märchenbildern orientalischen Gepräges hat.” 

 

Als Vergleichseinspielung habe ich mir die Aufnahme mit dem New York Philharmonic unter Leonard Bernstein (John Corigliano Violine) aus dem Jahr 1959 angehört. Bernstein setzt auf die Pole kammermusikalische Drosselung versus wuchtige Orchesterentladungen. Diese Herangehensweise legt die strukturellen Aspekte der Partitur offen, erzeugt jedoch durch die abrupten Wechsel Brüche, die bisweilen einen Spannungsabfall bewirken. Dafür gelingen Bernstein atemberaubende Steigerungen und vereinzelt große inegalisierte Höhepunkte.

 

Emmanuel Tjeknavorian ist weniger analytisch unterwegs. Er hält an einer großen romantischen Tradition fest, die auf einen durchgängigen Klangteppich setzt, den er abheben und durch die Lüfte fliegen lässt. Das orientalische Lehrstück an Instrumentierungskunst wirkt dadurch geheimnisvoll in seiner überwältigenden Orchesterpracht. Die Musik stellt nicht bloß Szenen nach, sondern ist nichts weniger als sie selbst, gekennzeichnet durch eine höchst kunstvolle sinfonische Verarbeitung von Themen und Motiven.

 

Den Abschluss des Programms bilden die ‚Polowetzer Tänze’ aus der Oper “Fürst Igor” von Alexander Borodin. 

 

Wer den Namen des Dirigenten noch nicht kennt, wird ihn sich merken müssen. Ihm gelang es, als jüngster “Artist in Residence” im Wiener Musikverein einen eigenen Zyklus gestalten zu dürfen. Schon 2017 war Tjeknavorian “Great Talent” des Wiener Konzerthauses. Als Geiger hat er einen Exklusiv-Vertrag mit Berlin Classics. Besonders freue ich mich aber, die vorliegende, wahrscheinlich beste CD des Orchesters als Maßstab nehmend, auf seine weiteren Erkundungen als Dirigent.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

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