CD:
THROUGH THE LENS OF TIME
Francisco Fullana (Violine),
David Fung (Klavier)
City of Birmingham Symphony Orchestra
Dirigent: Carlos Izcaray
Orchid Classics
Das Beiheft formuliert eine Einladung des 27jährigen spanischen Violinisten Francisco Fullana an seine Hörer. Er hat als erste CD-Veröffentlichung nicht einen obligaten Klassiker gewählt, sondern bietet eine „musikalische Reise, die an der Kreuzung zweier Wege steht“. Tatsächlich ist der übliche Weg zu barocker Musik heute eher retrospektiv ausgerichtet – in Instrumenten und Interpretation sucht man so „original“ wie möglich zu sein (so fremd das für unsere Ohren auch klingen mag). Fullana hingegen hat barocke Stücke, die von zeitgenössischen Künstlern neu geschaffen bzw. umkomponiert und –arrangiert wurden, gewählt. Und wenn man zuhört, muss man das Gelingen der Absicht konzedieren – das Gestrige klingt tatsächlich heutig.
Dominierend sind Vivaldis „Vier Jahreszeiten“, die der britische Komponist Max Richter „recomposed“ hat. Die Version wurde auch schon eingespielt – hier ist sie die Basis für die Geigenkünste des Solisten. Der zweite Komponist der CD ist Isang Yun, dessen „Königliches Thema für Violine solo” aus dem Jahre 1976 nach J.S. Bachs Musikalisches Opfer BWV 1079, neu “formuliert” wurde. Weiters gibt es von Alfred Schnittke die “Suite in the Old Style für Violine und Klavier” (am Flügel: David Fung). Und als vierter Zeitgenosse ist noch der Katalane Salvador Brotons i Soler mit seinen erst heuer entstandenen “Variationen über ein barockes Thema für Violine solo” vertreten.
Dabei ist die dramaturgische Reihung interessant, indem die “Vier Jahreszeiten” den Rahmen bilden, mit dem “Frühling” zu Beginn und dem “Winter” am Ende. Yun, Schnittke und Brotons sind dazwischen platziert, getrennt durch “Sommer” und “Herbst”. Das ergibt musikalisch raffinierte Stimmungsschwankungen. Wichtig ist es auch, dass es sich bei diesem “Neu-Denken” barocker Musik nicht um die billige Version des “Verjazzens” handelt, wie man sie oft in der Populärmusik erlebt hat , wo es nur darum ging, einfach bekannte alte Melodien mit fetzigen Rhythmen zu unterlegen. Hier handelt es sich nicht um spekulative Unterhaltung, sondern um ein starkes und anspruchsvolles musikalisches Erlebnis der eigenen Art.
Natürlich geht es vor allem um den Geiger – und Francisco Fullana darf alle Register ziehen, von einem aufgeregten, dünnen, minimalistischen Geigenstrich bis zu einem durchdringend süßen Ton. Wenig später ist ihm dann Stärke, Energie, Intensität des Spiels abverlangt, und er steigert sich auch mit hitzigen Staccati zu bewundernswerter Virtuosität. Mit einem Wort, das hohe Lob, das Fullana von Dirigenten und Kritikern schon erhalten hat, erweist sich hier als gerechtfertigt. Im Hintergrund, aber immer auf der Höhe der geforderten vielfältigen orchestralen Ausdrucksmöglichkeiten: das City of Birmingham Symphony Orchestra unter der Leitung von Carlos Izcaray.
Und die CD ist das, was man gar nicht so oft erlebt: Sie ist wirklich interessant.
Renate Wagner