CD: THE TRIALS OF TENDUCCI – A CASTRATO IN IRELAND – Irish Baroque Orchestra, Peter Whelan
Die Prüfungen des Giusto Fernando Tenducci
Bestrebt vergessene Musik wieder hörbar und dem Repertoire zugänglich zu machen, legt der irische Dirigent, Pianist und Fagottist Peter Whelan beim Label Linn ein höchst interessantes Konzept-Album vor. Die auf der Silberscheibe vertretenen Stücke mehrheitlich unbekannter Komponisten ordnet er in die Biographie des Kastraten Giusto Fernando Tenducci, genannt «Il Senesino» (nicht zu verwechseln mit Francesco Bernardi, genannt «Senesino»!), ein.
Giusto Fernando Tenducci wurde um 1735 in Siena geboren. Nach seiner Ausbildung am Konservatorium von Neapel begann seine Karriere entweder im Rahmen der Feierlichkeiten zur Hochzeit der spanischen Infantin Maria Antonia mit Vittorio Amadeo, Herzog von Savoyen (1750) oder mit der Rolle des Gasparo in Ferdinando Bertonis «Ginevra» am Teatro San Carlo in Neapel (1753). 1757 und 1758 ist er am Teatro San Carlo in Neapel überliefert und wurde dann nach London eingeladen, wo er 1758/1759 als Secondo Uomo am King’s Theatre engagiert war. In London machte sich Tenducci rasch einen schlechten Namen, unter Anderem durch einen Skandal mit Elizabeth Littleton, eine seiner aristokratischen Verehrerinnen. Es sollte aber nicht bei einem Skandal bleiben. Am 1. Januar 1760 reichte Francesco Giuliani vor Gericht eine Klage ein, Tenducci schulde ihm aus der Zeit in Italien noch eine grosse Summe Geldes. So kam Tenducci im Juni 1760 ins Schuldgefängnis von Southwark, wo er bis im Juni 1761 blieb.
1762 schaffte Tenducci als Arbace in der Uraufführung von Thomas Arnes «Artaxerxes» im Drury Lane-Theatre den Karriere-Durchbruch. Arnes «Artaxerxes» ist auf der CD mit zwei Tracks vertreten: der Szene 2 aus dem 1. Akt «Amid a thousand racking woes» und der 1. Szene aus dem 3. Akt «Water parted from the sea». In der gleichen Rolle trat Tenducci von Juli 1765 bis Mai 1766 in der ersten Dubliner Produktion von Arnes «Artaxerxes» auf. Das öffentliche Musikwesen, das im Mitte-Drittel des 18. Jahrhunderts auch viele ausländische Künstler anzog, ist mit Sinfonie in G-Dur (Allegro assai – Andantino – Presto; VR28) von Pierre van Maldere (1729–1768) vertreten.
Während seines Dublin-Aufenthalts war Tenducci auch der Gesangslehrer der Anwalts-Tochter Dorothea Maunsell. Im August 1766 traute ein katholischer Priester das Paar im Geheimen. Ihre kurze Flucht war bereits in Cork zu Ende, wo Tenducci in Gewahrsam genommen und vor Gericht gestellt wurde. Dorotheas Vater hatte aber ein Einsehen mit der jungen Liebe und erlaubte Mitte 1767 die Wiederverheiratung in einer protestantischen Kirche. Bald nach der Wiederverheiratung brach das Paar nach Edinburgh auf, wo beide in der ersten schottischen Produktion von Arnes «Artaxerxes» engagiert waren. Besonderes Charakteristikum dieser Produktion war die Ergänzung um drei schottische Volkslieder: «By Heav’ns Displeasure» (The Braes of Ballenden), «Where Shall I Wander?» (Lochaber) und «What Doubts Oppress» (Roslin Castle). «The Braes of Ballenden» hatte auf Tenduccis Wunsch sein Freund Johann Christian Bach für ihn arrangiert. Tenducci hatte Bach auch um ein Arrangement einer Arie aus Michele Mortellaris «Arsace», bei dessen Uraufführung 1775 in Padua er mitgewirkt hatte, gebeten. Es entstand «Ebben si vada – Io ti lascio» für Gesang, Streicher, Piano und Oboe. In Paris gedruckt wurde die Szene als «Rondeau sung at the Great Concert in London by Monsieur Tenducci in 1778 accompagnied at the fortepiano by Monsieur J. Christian Bach and on the oboe by Monsieur Fischer». Der erwähnte Johann Christian Fischer (1733–1800) ist auf der Aufnahme mit dem «Andante: Gramachree Molly with Variations» aus seinem Konzert für Oboe No. 7 in F-Dur vertreten. Drei Werke, die ebenfalls mit Tenducci in Verbindung zu bringen sind, stammen vom in Italien geborenen und in England tätig gewesenen Tommaso Giordani (um 1730–1806): «Caro mio ben», «Queen Mary’s Lamentation» und «The Celebrated Overture and Irish Medley to The Island of Saints» von James Messink. Tenduccis Ehe mit Dorothea Maunsell wurde im März 1776 in London geschieden.
Im August 1778 reiste Tenducci mit Johann Christian Bach nach Paris um die Uraufführung (14.12.1779) von dessen «Amadis des Gaules» an der Académie Royale de Musique vorzubereiten. Bei dieser Gelegenheit trafen sie mit Mozart zusammen, der seinem Vater berichtete, für Tenducci eine Scena zu komponieren. Die Scena ist nicht erhalten, aber «Exsultate, jubilate» KV 165 (Exsultate, jubilate – Fulget amica dies – Tu virginum corona – Alleluia) dürfte einer Vorstellung der Klangwelt geben.
In seinen späten Jahren ist Tenducci in Dublin und London nachgewiesen, bevor er Ende 1789 nach Italien zurückkehrte, wo er am 25. Januar 1790 in Genua starb.
Das Irish Baroque Orchestra unter seinem künstlerischen Direktor Peter Whelan musiziert ausgesprochen elegant und höchst konzentriert. Ganz im Sinne Whelans kommen die verschiedenen Stile ideal zur Geltung. Tara Erraught brilliert mit ihrem vollen, farbenreichen Mezzosopran.
Ein in jeder Beziehung bestens gelungenes Album!
08.06.2021, Jan Krobot/Zürich