The SWR Recordings – Georges Pretre mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR
Meister des elektrisierenden Tempos
Der Dirigent Georges Pretre wurde vor allem von der Belcanto-Legende Maria Callas besonders geschätzt. Nach ihrem Tod bestürmte ihn die Presse, doch er schwieg und wollte Details aus ihrem Leben nicht preisgeben. Geboren wurde er am 14. August 1924 in Waziers im Norden Frankreichs. 1946 begann er seine internationale Karriere an der Oper von Marseille, 1956 an der Opera comique in Paris. An der Metropolitan Opera New York, der Mailänder Scala und der Wiener Staatsoper feierte er Triumphe. Er starb am 4. Januar 2017 im Alter von 92 Jahren. Die fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR (dem heutigen SWR Symphonieorchester) wird auf einer vom SWR herausgegebenen Jubiläums-Edition von 8 CDs dokumentiert. SWRmusic präsentiert hier klangtechnisch gelungene Aufnahmen, die beweisen, dass Pretre vor allem ein Meister des französischen Repertoires war. Davon zeugt nicht nur die rhythmisch ungemein expressive Wiedergabe der „Symphonie fantastique“ op. 14 von Hector Berlioz, wo der „Hexensabbat“ des abschließenden fünften Satzes mit seiner wilden Fuge wirklich unter die Haut geht. Man hört Ächzen, gellendes Lachen und fernes Schreien mit virtuos-atemloser Entfesselung. Nicht weniger eindrucksvoll wirkt die subtile Wiedergabe der Suite Nr. 2 „Daphnis et Chloe“ von Maurice Ravel – eine Ballettmusik, deren zauberhafte impressionistische Farbtönungen bei Szenen wie „Tagesanbruch“, „Pantomime“ und „Allgemeiner Tanz“ (Bacchanal) in betörender Weise hervorblitzen. Noch dichter und bedrängender erscheint dann die grandiose Interpretation von Ravels „La Valse“, eine geistvolle Huldigung an den Wiener Walzer aus dem Jahre 1921. Die dämonischen Tiefen des Triebes werden hier bis zum verstörenden Exzess ausgelotet, der wiegend-elektrisierende Rhythmus reisst den Hörer in unmittelbarer Weise mit. Abgerissene Melodiewendungen huschen gespenstisch in flimmerndem Licht vorüber. Im schräg-funkelnden Rausch des Dreivierteltakts beschwört Georges Pretre hier in einzigartiger Weise den Geist von Johann Strauß. Erstaunlich packend und rhythmisch ungemein elektrisierend ist auch die Interpretation von Anton Bruckners Sinfonie Nr. 4 in Es-Dur, der so genannten „Romantischen“. Vor allem das bewegte Scherzo des dritten Satzes ist ausgezeichnet gelungen. Dichtgedrängt erklingt das Thema der Jagdhörner durch die dämmerige Waldesstille. Und das Trio wiegt sich in schöner Harmonierückung. Mit ungewöhnlich breiten Tempi, aber nicht übertriebenen Ritardando-Momenten wartet dann die „Rosenkavalier“-Suite op. 59 von Richard Strauss auf. Die Schleusen melodischer Kraft werden hier wirklich verschwenderisch geöffnet. Charakterisierungsreichtum kennzeichnet auch die Wiedergaben der Tondichtungen „Till Eulenspiegels lustige Streiche“ op. 28 und „Don Juan“ op. 20 von Richard Strauss, wo sich die Themen mit dem Hornfanal in einem hymnischen Rausch emporheben. Grandios interpretiert Pretre die zündenden Rhythmen des pompösen Siegesmarschen der römischen Legionen bei Ottorino Respighis sinfonischer Dichtung „I Pini di Roma“. Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR musiziert die donnernden Ostinato-Einbrüche wie Kometeneinschläge. Und bei Igor Strawinskys „Feuervogel“ sticht das Intervall der übermäßigen Quart und verminderten Quint nicht aufdringlich hervor – Georges Pretre dirigiert das Werk auch nicht mit so harten Rhythmen wie „Maestro“ Strawinsky selbst. Und doch strahlt die russische Melodie mit geradezu überwältigender Klarheit hervor. Weitere Höhepunkte dieser einzigartigen Edition sind ferner die konzentriert durchdachten Wiedergaben von Ludwig van Beethovens Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 „Eroica“ sowie „“Egmont“-Ouvertüre und die klanglich robuste Deutung der Sinfonie Nr. 1 in c-Moll op. 68 von Johannes Brahms. Dur-Energie und der unbeugsame Kampf gegen die schicksalhafte Macht der Halbtonschritte führt bei Brahms zum aufstrahlenden Schlusstriumph. George Bizets Sinfonie C-Dur lässt Georges Pretre mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR mit klassizistisch-sphärenhafter Leichtigkeit musizieren. 1996 wurde Pretre zum Chefdirigenten des Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR ernannt.
Alexander Walther