CD „The High Horse“ – Best of Worst Vol. 1 – Klassische Musik und Diskokugelkitsch vom Feinsten
Die aufregend schrägste CD für Ihre Silvesternacht oder nostalgische Electropopabende
„Es ist so befreiend, Corona mit Richard Wagner zu paaren oder zu schauen, was passiert, wenn Henry Purcell mit David Hasselhoff zusammen ins Bett steigt.“ Simon Bucher
Die Schweizer Mezzosopranistin Stephanie Szanto und ihr Partner am Flügel Simon Bucher geben ein kultverdächtiges Debüt. Das Erfolgs-Rezept für strahlende Augen und lächelnde Lippen: Man parodiere bekannte Hits der 80er und 90-er Jahre in pathetischem Opernton und aberwitzig frech genialen Klavierarrangements und galoppiere hoch auf heißblütigem Ross miteinander um die Wette über Blumenwiesen und Tannenwald, augenzwinkernd über alle Konvention und Zäune hinweg. Das Umgekehrte kennen wir ja auch, leider humorbefreit bis zum Überdruss. Piepsige Popstimmen pirschen sich an Arienklassiker der Oper mit künstlerisch mörderischem Ergebnis an. Unüberbietbarer Tiefpunkt: Sarah Brightman singt „Nessun dorma“ aus Puccinis Turandot.
Beim Album „The High Horse“ aber setzen zwei feine Musiker elegant tänzelnd wie edle Lipizzaner zum großen Sprung an. Virtuos mit den Genres spielend, wird hier furios schnaubend arrangiert, werden mit geblähten Nüstern Noten gesetzt und wieder weggeräumt, vibratoberauscht gesungen, gesprochen, gehaucht und gelacht. Da ist bissiger Amoniak in der Luft, das Erlebnis ist garantiert schnupfenfrei. Wiehern vor Vergnügen darf das Publikum, das „Looking for Freedom“, „Blue“, „I’m too sexy“, „I like to Move it“, „Barbie Girl“ oder „Ich find dich scheisse“ in den lustvoll verwegenen „Klassik-Versionen“ hört. Nicht selten ist es schwer zu entschieden was besser ist, die Originale oder die fetzigen Schweizer Parodien.
Dazwischen gibt es einen Werbeblock, wo erst recht zum Teufel komm raus das Markanteste von „Schneekoppe“, „Milka“, „Zott“, Gutfried, die Wurst“, „Daewoo und Du – das Auto, Dein Freund“, „Migros“ und „Merci, dass es Dich gibt“ auf die operndampfende Wippschaufel genommen wird. Nach der Werbung geht es dann munter und heiter weiter mit Titeln wie „No Limit“, Voyage, Voyage“, „Bicycle“, The Rhythm of the Night“, „Bitch“, „Cotton Eye Joe“, „Ma Ya Hi“ und „Boom Boom Boom!“
Simon Bucher baut in den virtuosen Klavierpart wie improvisiert wirkende Klassikzitate ein. Orff, Gershwin, Chopin, Bach mischen sich so auf das Natürlichste mit Eiffel 65, Right Said Fred, Reel2Real oder Aqua. Er macht auch vor „Also sprach Zarathustra“ oder dem „Flohwalzer“ nicht halt, mal kommentiert er oder singt mit. Stephanie Szanto trillert, tiriliert, gurrt, haucht, jauchzt, jault und lullt mit ihrem mächtigen Mezzo koloraturverwegen all unsere Sinne ein. „Mir geht‘s so gut, weil ich ein Mädchen bin“ wandelt Lucilectric zu einer frühromantischen Schwärmerei. „Village People“ würden Stephanies Tempo „In the Navy“ sicher scharf finden.
Diese CD wird ganz sicher der unüberbietbare Hit nicht nur auf Ihrer Silvesterparty. Florence Foster Jenkins war gestern. Bei mir läuft das Album im Auto Schleife. Es vertreibt jeden Ärger und Sorgen sogar im unerträglichsten Berliner Straßenverkehr. Diese CD sollte auf Rezept vom Arzt verschrieben werden dürfen, für eine depressions- und burnout-freie Gesellschaft. Wir freuen uns schon jetzt auf die zweite Folge von „Best of Worst“.
Dr. Ingobert Waltenberger