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CD „THE ERNST HAEFLIGER EDITION“ zum 100. Geburtstag des Tenors am 6. Juli 2019 – Deutsche Grammophon

04.07.2019 | cd

CD „THE ERNST HAEFLIGER EDITION“ zum 100. Geburtstag des Tenors am 6. Juli 2019 – Deutsche Grammophon

Nach Christa Ludwig, Gundula Janowitz und Brigitte Fassbaender wird nun auch dem Schweizer Tenor Ernst Haefliger die Geburtstags-Ehre einer umfassenden, auf 12 CDs gebannten Aufarbeitung des akustischen Erbes bei der Deutschen Grammophon zuteil. Das romantische Lied (Schubert, Schumann, Brahms und Wolf), Bach-Passionen und Kantaten, diverses Barockes, über allem Mozart, aber auch Beethoven, Bruckner, Wagner, Mahler, Kodaly, Janáček und Schoeck bilden das breite Spektrum an Komponisten, das gleichsam die stilistische Bandbreite des Sängers widerspiegelt.

Der in Davos geborene Musiker, unüberhörbar ein gelehriger Schüler des Julius Patzak (ferner von Fernando Carpi in Prag), verfügte über einen hell timbrierten, instrumental geführten lyrischen Tenor mit einem hohen Potential an dramatischer Expansion. Eine seltene Gabe, die das breit fachübergeifende Repertoire erst ermöglichte. Vom Sängertypus her ist er damit einem Anton Dermota nicht unähnlich. Blitzte hie und da die Urigkeit eines Schweizer Senner-Jungen durch, ist Haefilgers Stimme dennoch durchwegs kunstreich getrimmt. Haefliger prägte markante und unvergessliche  Mozart-Rollenprofile. Im Liedgesang war Haefliger sowieso eine Klasse für sich. Er vermochte akribische Textverständlichkeit und -ausdeutung  mit einer herb bronzenen  Mittellage und metallisch auftrumpfenden Höhen, also beeindruckend viriler Stimmkraft, zu vereinen. Haefliger war ein kontrollierter Sänger mit intellektuellen und grundmusikalischen Talenten, mit dem die Pferde kaum durchgingen.  Das sicherte ihm eine lange Karriere. Eine unglaubliche rhythmische Präzision, die Meisterschaft im minutiös abschattierten Phrasieren, aber auch eine vollkommene Uneitelkeit verleihen vielen seiner Interpretationen etwas Letztgültiges.

Meine erste Begegnung auf Tonträgern mit Ernst Haefliger war sein herausragender, primär wie ein dramatisches Lied vorgetragener Florestan in der Aufnahme mit Leonie Rysanek unter der dynamischen Stabführung von Ferenc Fricsay. Das ist mir von der Interpretation her einleuchtender als die vielen wilden in der Partie losbrüllenden Helden, die doch laut Textbuch eigentlich am Verhungern und Verdursten sein müssten. Der Dirigent liefert das nächste Stichwort: Fricsay war wohl der zentrale musikalische Partner im künstlerischen Leben von Ernst Haefliger gewesen. Er folgte ihm 1952 an die Deutsche Oper Berlin, wo er bis ins Jahr 1974 das exquisite Ensemble bereicherte.

Haefligers Karriere als Konzertsänger war  nicht minder bedeutend. Der Evangelist in Bachs Passionsvertonungen mögen hier ebenso als Beispiel dienen wie etwa seine Mitwirkung in Erstaufführungen von Frank Martins Oratorien „Le vin herbé“ (Zürich 1942), „In terra pax“ (Genfer Rundfunk 1945), und „Golgotha“ (Genf 1949).

Die umfangreiche Box enthält ferner Kostproben aus dem italienischen und französischen Fach des Sängers. Dennoch ist hier trotz stimmlich beeindruckender Momente zu konstatieren, dass der stilistisch überwiegend dem deutschen Fach zuzuordnende Sänger Rhetorik über Legato stellt und damit wohl keinen schmachtenden oder glaubhaft eifersüchtigen Alfredo in Verdis „La Traviata“ abgibt.

Auf Tonträgern hat Haefliger Großes geleistet. Die Stimme dürfte wohl ideal für Mikros gewesen sein. Trotz nicht berauschender pianistischer Leistungen von Jacqueline Bonneau oder Michio Kobayashi sind etwa die Aufnahmen von Schuberts „Die schöne Müllerin“ oder „Die Winterreise“vokale Solitäre im Katalog. Zu Haefligers besten Platten, Referenzen bis heute, zählen das „Tagebuch eines Verschollenen“ von Leoš Janáček mit Rafael Kubelik am Klavier oder der „Psalmus Hungaricus“ von Zoltán Kodály mit dem Radio-Symphonie-Orchester Berlin unter Ferenc Fricsay. Mir persönlich gefallen auch die ausgewählten Bach-Einspielungen mit dem Münchener Bach-Orchester und Chor unter Karl Richter oder das ekstatisch jubelnde Bruckner „Te Deum“ mit den Berliner Philharmonikern und Eugen Jochum.

Ernst Haefliger nahm auch für die Labels Angel, Columbia, Vanguard und Philips Records auf. Er unterrichtete von 1971 bis 1988 Gesang an der Münchner Hochschule für Musik und tat sich als Theoretiker und Buchautor hervor: „Die Singstimme“, „Die Kunst des Gesangs“, Schott-Verlag. Der Pianist Andreas Haefliger ist sein Sohn. Haefligers Namen trägt der erste Schweizer Gesangswettbewerb für junge Opernsängerinnen und -sänger von internationalem Format. Der „Concours Ernst Haefliger“ fand im August 2006 in Bern und in Gstaad zum ersten Mal statt.

Die Edition wartet mit digitalisierten bekannten Aufnahmen, aber auch CD-Premieren, wie die Arie des Chapelou aus „Der Postillon von Longjumeau“ von Adolphe Adam bzw. die Beethoven-Lieder „Ich liebe dich, so wie du mich“ und „Adelaide“ mit Erik Werba am Flügel auf.

Fazit: Eine Box als stilistische Lehrstunde gepflegten Tenorgesangs abseits von Klischees. Erfreulich!

Weitere CD-Empfehlungen: Beethoven „9. Symphonie“ mit Elisabeth Schwarzkopf, Elisa Cavelti,  Ernst Haefliger und Otto Edelman mit dem Philharmonia Orchestra, dem Luzerner Festwochenchor unter Wilhelm Furtwängler, 1954, AUDITE oder Gustav Mahler „Das Lied von der Erde“  unter Bruno Walter mit Mildred Miller, Ernst Haefliger und dem New York Philharmonic, Sony.

Inhalt: 

Schubert: Die schöne Müllerin D. 795; Winterreise D. 911; Schwanengesang D. 957; Sprache der Liebe; Wonne der Wehmut; Stimme der Liebe; An den Mond; Rastlose Liebe; Sei mir gegrüsst; Der Jüngling an der Quelle; An die Laute; An Sylvia; Der Musensohn
Brahms: Geheimnis; In Waldeseinsamkeit; O komme, holde Sommernacht; Botschaft; Wir wandelten; Wenn du nur zuweilen lächelst; Eine gute, gute Nacht; Unbewegte laue Luft; Tambourlied; O liebliche Wangen; Der Mond steht über dem Berg; Meine Liebe ist grün wie der Fliederbusch 
Schumann: Dichterliebe op. 48; Des Knaben Wunderhorn; Meine Rose; Der Nussbaum; Mondnacht; Schöne Fremde; Sängers Trost; Geisternähe; An den Mond; Ich wandelte unter den Bäumen; Lieb‘ Liebchen, leg’s Händchen auf Herze mein; Schöne Wiege meiner Leiden; Der Himmel hat eine Träne geweinet; Märzveilchen; An den Sonnenschein; Ins Freie 
Beethoven: An die ferne Geliebte op. 98; Ich liebe dich WoO 123; Adelaide op. 46; Arien aus Fidelio op. 72
Bach: Kantate BWV 55 „Ich armer Mensch, ich Sündenknecht“; Arien aus den Kantaten BWV 1, 8, 21, 26, 45, 65, 108; Kyrie & Benedictus aus Messe h-moll BWV 232; Arien aus Magnificat BWV 243, Matthäus-Passion BWV 244, Johannes-Passion BWV 245 
Schoeck: Wanderlied der Prager Studenten op. 12 Nr. 2; An meine Mutter op. 14 Nr. 1; Nachruf op. 20 Nr. 14; Das bescheidene Wünschlein op. 24a Nr. 7
Wolf: Heimweh; In der Frühe; Auf einer Wanderung; Der Gärtner; Er ist’s
Bruckner: Te Deum
Mahler: Das Lied von der Erde – Ausschnitte
Kodaly: Psalmus Hungaricus op. 13; 3 Lieder op. 14 
Janacek: Tagebuch eines Verschollenen
Händel: Arien aus Serse, Giulio Cesare, Samson, Der Messias
Machaut: Balades
Telemann: Der getreue Musikmeister (Auszüge)
Hoffmann: Kantate „Meine Seele rühmt und preist“
Mozart: Arien aus “Die Zauberflöte”, “Die Entführung aus dem Serail”, “Cosi fan tutte“, “Don Giovanni”
Rossini: Arien aus dem “Stabat Mater” und “Il Barbiere di Siviglia”
Verdi: Arie „O Freunde, so leeret in vollen Zügen“ aus “La Traviata”
Massenet: Arien aus “Manon”
Wagner: Arie „Mit Gewitter und Sturm aus fernem Meer“ aus “Der Fliegende Holländer”
Adam: Freunde, vernehmet die Geschichte aus dem “Postillion von Longjumeau”.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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