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CD „THE COMPLETE WILHELM FURTWÄNGLER ON RECORD“ – Warner Classics

Der klanglich spektakulärste Furtwängler, den es je auf Tonträgern gab!

19.09.2021 | cd

CD „THE COMPLETE WILHELM FURTWÄNGLER ON RECORD“ – Warner Classics

 

Der klanglich spektakulärste Furtwängler, den es je auf Tonträgern gab!

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 Es gibt einige diskographische Vermächtnisse, die in Verbindung mit olympischen Leistungen und einer nicht zufälligen Legendenbildung rund um alles Musikalische und/oder Private wenige Künstler zu den eminentesten Zeugen der Interpretengeschichte gemacht haben. Dazu gehören sicherlich die Mitschnitte und Studioproduktionen mit Maria Callas, Enrico Caruso, Arturo Toscanini oder Wilhelm Furtwängler.

 

Warner verfügt nun mit den 55 neu aufgelegten CDs nicht – wie der Titel der Box suggerieren könnte – über das gesamte Plattenerbe des Pultgiganten und Komponisten Furtwängler. Die Edition versammelt jedoch alle Tonaufnahmen für His Master’s Voice HMV, Telefunken, Polydor, DG und Decca. Das Wichtigste ist aber: Was die Tontechnik hier zustande gebracht hat, grenzt an ein Wunder. 

 

Die Absicht der Herausgeber war es, alles zu vermeiden, was sich zwischen den musikalischen Diskurs und den Hörer schieben könnte, während es zugleich galt, unter Verwendung der neuesten Mittel der Tonbearbeitung das Maximum an Klanginformation zu gewinnen, die diese Dokumente enthalten. Daher lautetet die hohe Devise für Warner, alle früheren Übertragungen zu vergessen. Soweit das möglich war, wurde auf die originalen Quellen, auf die Bänder oder auf die von den ‚Metallmüttern‘ hergestellten Pressungen zurückgegriffen. Wo das nicht möglich war, wurden die besten kommerziellen Pressungen gesucht. Das waren vor dem Krieg vor allem die Platten von Polydor.

 

Eine möglichst am Ursprung orientierte Aufbereitung ist nicht nur wegen audiophiler Vorlieben bedeutsam, sondern trägt natürlich zur Objektivierung der musikalischen Tonträger-Hinterlassenschaft  bei. Ob etwa Beethoven oder Wagner bei Furtwängler relativ zu heutigen Hörgewohnheiten (zu) monumental klingt, ist bisweilen auch der unzureichenden akustischen Qualität vieler veröffentlichter LPs und CDs anzulasten. Um es vorwegzunehmen, auch auf dieser Box gibt es einen hoffnungslosen Fall, und zwar den Live Mitschnitt aus der Covent Garden Opera London des dritten Aktes der “Walküre” vom 26.5.1937 mit Kirsten Flagstad, Maria Müller und Rudolf Bockelmann, wo die Stimmen dermaßen unterbelichtet sind, dass ein Hören kaum lohnt. 

 

Furtwänglers Karriere verlief parallel zu den technischen Fortschritten, wobei die Aufnahmetechniken den Wiedergabegerätschaften ordentlich voraus waren. Im Booklet wird auch mit unsinnigen Überlieferungen aufgeräumt. So fühlte sich Furtwängler im Studio nicht unwohl, noch stand er der Schallplatte ablehnend gegenüber. Stephan Topakian: “Man könnte sagen, dass Furtwängler ein Phänomenologe der Musik war. Zuerst kam die Frage, wie es wahrgenommen wird, und erst dann  interessierte ihn, wie es ausgeführt wird. Furtwängler wollte die tiefsten Schichten eines Zuhörers berühren.” Und weiter: “Hören Sie die Furtwängler-Aufnahme einer Symphonie, die sie vor zehn Jahren gehört haben. Sie werden etwas anderes hören. Sie werden einem anderen kontrapunktischen Diskurs folgen. Ohne es zu wissen, hat Wilhelm Furtwängler die Musik in einer ‚interaktiven‘ Interpretation geliefert.”

 

Das Gros der Aufnahmen ist wunderbar räumlich, präzise in den Details, voller Spannung und weit, ja kosmisch gedachter Bögen. Darüber hinaus zeigen uns schon die Einspielungen aus den 20-er Jahren einen enorm modernen Kapellmeister, der als interpretatorische Schnittstelle zwischen dem 19. Jahrhundert und der mit jeglicher artikulatorischen Sorgfalt erarbeiteten Aufführungen der Jetztzeit gelten darf. Natürlich bestand das Ideal in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und knapp darüber hinaus in einem Mischklang, der weniger detailfixiert war. Übertriebenen Wert auf Transparenz legte man nicht, was die Konzentration auf die Wirkung einzelner Instrumente nicht so bedeutend erscheinen ließ, wie das aktuell der Fall ist. Also gibt es jetzt bei diesen frisch restaurierten, maximal entschleierten  Klangbildern die ideale Gelegenheit, radikal Schluss mit allen Vorurteilen und vorfixierten Bildern betreffend Wilhelm Furtwänglers Musizierstil zu machen.

 

Der charismatische Jahrhundertmusiker Wilhelm Furtwängler erweist sich in Sachen Beethoven, Bruckner und Brahms freilich als tendenziell mächtiger und streicherlastiger, als das die heutigen Spitzen-Orchester spielen würden. Aber auch das ist nur die halbe Seite der Medaille. Rein technisch gesehen gab es nie bessere Orchester als heute. Wer weiß, wie die faszinierende Furtwängler‘sche Sichtweise auf Spitzenwerke des klassischen Musikkanons heute aussehen würde. Seine grandios gezimmerten Legatobögen, atmosphärisch kompakten Steigerungen, sein untrügliches Gespür für innere Proportionen, die emotional intensiven Klangballungen und eine höchstpersönliche Temporegie machen Furtwänglers akustisches Erbe nach wie vor zur State of the Art dirigentischen Gold-Schürfens.

 

Wir alle kennen die hochromantischen Deutungen von Wagner oder Brahms. Aber Hand aufs Herz: Wer erstaunte nicht beim ersten Hören (ich habe der ganzen Box minutiös gelauscht) etwa bei der knackigen Pfiffigkeit und dem Witz bei Richard Strauss‘ „Till Eulenspiegels lustige Streiche“ samt einem Probenausschnitt aus dem Jahr 1903 mit den Berliner Philharmonikern aus der Hochschule für Musik Berlin. Nicht minder schlank, stimmungsvoll und dramaturgisch aufregend habe ich Mendelssohns Ouvertüre „Die Hebriden“ (Berlin 1930), Antonin Dvoraks „Slawischen Tanz“ in As-Dur Nr. 3 oder die beiden Rossini-Ouvertüren zu „La gazza Ladra“ oder „Il barbiere di Siviglia“ und vor allem die Mozart Ouvertüren zu “Le Nozze di Figaro” und “Die Entführung aus dem Serail“ erlebt. Bei Rossini gehe ich sogar so weit zu behaupten, das die Mehrzahl aller „Kenner“ beim „Blindhören“ es in Fragen von Brio und Rasanz schwer hätten, eindeutige  Unterschiede dieser Furtwängler Aufnahmen zu Arturo Toscanini oder Fritz Reiner auszumachen. 

 

Furtwängler war stilistisch ein durch und durch deutscher Dirigent, der der Klassik und der (Spät) Romantik in seinem Werkverständnis, aber auch in seinem eigenen kompositorischen Schaffen huldigte. Die von Furtwängler selbst 1951 im Studio mit den Berliner Philharmonikern aufgenommene Symphonie Nr. 2 in e-Moll darf ja (trotz Barenboims exzellenter Einspielung mit dem Chicago Symphony Orchestra aus den Neunziger Jahren) noch immer als eine veritable Entdeckung gelten, die es von der Inspiration oder dem kreativen Durchführungen her durchaus mit den Symphonien etwa eines Franz Schmidt aufnehmen kann. Höchste Musikalität ist eben nicht ein Kind irgend eines Zeitgeistes, sondern vor allem eine Mischung aus intellektueller Redlichkeit und eines genialischen künstlerischen Instinkts. Letzteres ist halt kaum erlernbar.

 

Die beiden Haydn-Symphonien  Nr. 88 (Berliner Philharmoniker vom Dezember 1951) und Nr. 94 (Wiener Philharmoniker, Jänner 1951 Musikverein Wien), klingen klassisch muskulös, aber überhaupt nicht spätromantisch verdickt. Meine persönlichen Favoriten umschließen auch die Schubert- und Tchaikovsky-Aufnahmen des Dirigenten. Bei Schubert gesellt sich zu diversen  Rosamunde”-Ausschnitten, der “Achten” in b-Moll (Wiener Philharmoniker, 1950), der “Neunten” in C-Dur D 944 (Berliner Philharmoniker, 1951),  in dieser Edition sogar eine Premiere auf Tonträger: Und zwar nochmals die “Unvollendete” in einem Live Mitschnitt von 1.10.1950 aus den Odd Fellow Planet in Kopenhagen mit den Wiener Philharmonikern. 

Die neue Edition ist natürlich nicht nur als Quelle für das künstlerische Bekenntnis eines großen Dirigenten relevant. Sie erweist sich auch ein Stück klingender Kulturgeschichte, das sich erst durch Furtwänglers fulminante Partner zu seiner vollen Größe entfaltet. Ob das die Wiener oder Berliner Philharmoniker sind, das London Philharmonic oder Philharmonia  Orchestra, Yehudi Menuhin (Beethovens ‚Violinkonzert‘: gibt es überhaupt was Schöneres als die feingewebte Spiel Menuhins?, Bartóks Violinkonzert Nr. 2 in b-Moll)), Edwin Fischer (Beethoven 5. Klavierkonzert) bzw. die Opernstars Kirsten Flagstad, Erna Berger, Lauritz Melchior, Margarete Klose, Ludwig Weber, Elisabeth Schwarzkopf, Hans Hopf, Dietrich Fischer-Dieskau, Martha Mödl, Leonie Rysanek, Anton Dermota, Elisabeth Grümmer, Josef Greindl, Wolfgang Windgassen oder Sena Jurinac. Sie alle bieten zusätzlich zu ihren singulären Leistungen die Chance für eine Standortbestimmung im Hier und Jetzt. Nicht Verklärung, nicht unkritische Anbetung sind da angesagt. Das haben diese Giganten auch gar nicht nötig. Nur dem genauen, unvoreingenommenen Hinhören, dem sich zu hundert Prozent Einlassen auf die künstlerische Substanz gilt es. Dafür bietet die vorliegende Box eine exzeptionelle Gelegenheit.

 

Inhalt der Box:

 

Furtwängler: Symphonie Nr. 2; Adagio solenne aus Symphonisches Konzert für Klavier & Orchester
Bach: Matthäus-Passion BWV 244 (Live-Mitschnitt Konzerthaus Wien 1954); Air aus der Orchestersuite Nr. 3; Brandenburgisches Konzert Nr. 3
Wagner: Tristan und Isolde (Gesamtaufnahme); Die Walküre (Gesamtaufnahme); Die Walküre (3. Akt / Live-Mitschnitt Covent Garden 1937); Götterdämmerung (Live-Mitschnitt Covent Garden 1937); Götterdämmerung (3. Szene Akt 3 / in zwei Einspielungen); Vorspiel & Isoldes Liebestod aus Tristan und Isolde (in zwei Einspielungen); Siegfrieds Trauermarsch & Siegfrieds Rheinfahrt aus Götterdämmerung (in zwei Einspielungen); Vorspiel & Karfreitagszauber aus Parsifal; Siegfried-Idyll; Tannhäuser-Ouvertüre (in zwei Einspielungen); Der Fliegende Holländer-Ouvertüre; Walkürenritt aus Die Walküre; Ouvertüren & Tanz der Lehrbuben aus Die Meistersinger von Nürnberg; Lohengrin-Ouvertüre (in zwei Einspielungen)
Beethoven: Symphonien Nr. 1, 3-9 (Nr. 5 in drei Einspielungen; Nr. 3, 4, 6, 9 in zwei Einspielungen); Violinkonzert op. 61 (in zwei Einspielungen); Romanzen Nr. 1 & 2 für Violine & Orchester; Klavierkonzert Nr. 5; Egmont-Ouvertüre op. 84; Cavatina für Streichorchester aus Streichquartett Nr. 13); Coriolan-Ouvertüre op. 62; Leonore-Ouvertüre Nr. 2; Fidelio (Gesamtaufnahme 1953)
Mozart: Symphonie Nr. 40; Serenaden Nr. 10 „Gran Partita“ & Nr. 13 „Eine kleine Nachtmusik“ (Nr. 13 in zwei Einspielungen); Le Nozze di Figaro-Ouvertüre; Die Entführung aus dem Serail-Ouvertüre; Arien „O zittre nicht“ & „Der Hölle Rache“ aus Die Zauberflöte
Brahms: Symphonien Nr. 1 & 2 (mit alternativen Takes); Violinkonzert op. 77; Haydn-Variationen op. 56a (in zwei Einspielungen); Ungarische Tänze Nr. 1, 3, 10 (Nr. 1 & 10 in zwei Einspielungen)
Schubert: Symphonien Nr. 8 „Unvollendete“ & Nr. 9 „Die Große“; Ouvertüre, Entr’acte Nr. 3, Ballett Nr. 2 aus Rosamunde D. 797 (in zwei Einspielungen)
Weber: Der Freischütz-Ouvertüren; Aufforderung zum Tanz; Oberon-Ouvertüre; Euryanthe-Ouvertüre
Mendelssohn: Violinkonzert op. 64; Ein Sommernachtstraum-Ouvertüre op. 21; Die Hebriden-Ouvertüre (in zwei Einspielungen / inkl. Probenmitschnitt)
Strauss: Till Eulenspiegel op. 28 (in zwei Einspielungen / inkl. Probenmitschnitt); Tod und Verklärung op. 24; Don Juan op. 20
Tchaikovsky: Symphonien Nr. 4 & 6; Serenade op. 48
Mahler: Lieder eines fahrenden Gesellen
Schumann: Symphonie Nr. 4; Manfred-Ouvertüre op. 115
Haydn: Symphonien Nr. 88 & 94
Franck: Symphonie d-moll
Bruckner: 2. Satz aus Symphonie Nr. 7
Bartok: Violinkonzert Nr. 2
Liszt: Les Préludes
Berlioz: Ungarischer Marsch aus La Damnation de Faust op. 24 (in zwei Einspielungen)
Rossini: La Gazza ladra-Ouvertüre; Il Barbiere di Siviglia-Ouvertüre
Dvorak: Slawischer Tanz op. 46 Nr. 3
J. Strauss II: Die Fledermaus-Ouvertüre; Kaiserwalzer; Pizzicato-Polka (mit & ohne Glockenspiel)
Gluck: Alceste-Ouvertüre (in zwei Einspielungen); Iphigenie en Aulide-Ouvertüre
Cherubini: Anacreon-Ouvertüre
Nicolai: Die lustigen Weiber von Windsor-Ouvertüre
Smetana: Die Moldau
Bislang unveröffentlichte Aufnahmen – Schubert: Symphonie Nr. 8 (Kopenhagen 1950); Testaufnahmen mit Werken von J. Strauss II, Wagner, Schubert, Tschaikowsky
„Wilhelm Furtwängler – A Memoir“ – Dokumentationen und Interviews

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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