CD „THE AUSTRIAN CONNECTION“ – SARAH BETH BRIGGS spielt Werke von Haydn, Mozart, Schubert und Gál; AVIE Records
Mit Bedacht und breiten Tempi beginnt Sarah Beth Briggs die Melodie zur ersten österreichischen Hymne. Das „Gott erhalte Franz den Kaiser“ erklingt zu Beginn der gleichnamigen Variationen von Joseph Haydn weniger mit stolz geschwellter Brust denn in liedhafter Einfachheit. Haydn selbst schätzte die Wirkung seiner Auftragsarbeit überaus, sodass er sie in seinen letzten Lebenstagen an jedem Morgen spielte und Trost und Erhebung daraus zog. Politisch war die Komposition ab 1797 Hymne des Hauses Österreich und von 1826 bis 1918 die offizielle Hymne des Kaisertums Österreich. Haydn verarbeitete die wunderschöne Melodie im langsamen Satz seines „Kaiserquartetts“ mit vier reizvollen Variationen und hat 1799 die vorliegende Klavierfassung erstellt, die vor allem in den raschen Variationen durch Einfallsreichtum und eine wahrlich meisterliche Behandlung des Themas besticht.
Das Programm der CD will eine Verbindung zwischen dem späten 18. Jahrhundert (Haydn, Mozart) über die Frühromantik (Schubert) bis zum letzten großen Komponisten, der an der tonalen österreichisch-deutschen Tradition festhielt, nämlich Hans Gál, herstellen. Dabei geht die britische Pianistin chronologisch vor und nimmt sich nach den Variationen Haydns Klaviersonate in C-Dur Hob. XVI/50 aus dem Jahr 1794 vor. Wiederum hinterfragt Briggs bei der der Pianistin Therese Jansen gewidmeten Sonate die Genealogie der Strukturen und entblättert behutsam Schicht um Schicht der mal improvisatorisch, mal schalkhaft daher rauschenden Musik Was besonders gefällt, ist, dass Briggs einen klar umzirkelten Anschlag wählt, behutsam den Pedalanweisungen folgt und die Verzierungen ganz aus dem Handgelenk hinzaubert.
Haydn hat die Sonate während eines Aufenthalts in London geschrieben und laut Briggs die “Klangwelt seiner Sinfonien aus der Zeit heraufbeschworen”, als da waren die “Mit dem Paukenschlag“, “Le Miracle” und diejenige “Mit dem Paukenwirbel”. Die Pianistin hat im Kopfsatz die Wiederholung der Exposition ausgelassen, um die Monothematik und Haydns außergewöhnliche Einfallskraft hervorzuheben. Also nicht wundern, wenn Sie die Dauer des Allegros etwa in der Aufnahme von Alfred Brendel (10:05) mit derjenigen von Briggs vergeblichen (6:33), dann heißt das nicht, dass die Pianistin so viel schneller unterwegs ist.
Wolfgang Amadeus Mozarts 1778 in Paris entstandene Sonate in A-moll, K. 310, sieht Briggs als ruhelos, ja dämonisch und voller heftiger Dissonanzen. In ihrer Interpretation streicht sie das vorausweisende Element im Sinne von Beethovens Energie und Intensität hervor. Das funktioniert im ersten Satz und im Presto bestens, im ‚Andante cantabile con espressione‘ hätte ich mir einen weniger sachlichen Ton, ein sanglicheres Legato vorstellen können. Der dramatisch obsessive Charakter der Musik ist autobiographisch aus der Tatsache zu erklären, dass Mozarts Mutter Anna Maria, die ihn auf der Reise begleitet hatte, in Paris verstorben ist.
Schuberts A-Dur Sonate D 664 stammt aus dem Jahr 1819 und ist gleichzeitig mit dem Forellenquintett entstanden. Briggs gelingt es, das lyrisch Verträumte der Musik, diesen “im Himmel getanzten Wiener Walzer” des Finales mit federnder Eleganz und nobler Schlichtheit zu vermitteln.
Briggs besondere Liebe gilt dem Komponisten Hans Gál, von dem sie bei AVIE Records bereits das Klavierkonzert, ein Klaviertrio und Variationen über ein populäres Wiener-Lied eingespielt hat. Auf dem neuen Album nimmt sie sich der “Drei Präludien” Op. 65 aus dem Jahr 1944 an. Der in Brunn am Gebirge geborene Komponist ungarisch-jüdischer Abstammung konnte sich nach der endgültigen Emigration 1938 in Edinburgh als Universitätsprofessor für Musiktheorie, Kontrapunkt und Komposition etablieren. Er leitete das Edinburgh Chamber Orchestra und tat sich später auch als Autor musikhistorischer Biographien hervor. Hans Gáls überaus melodische Musik hat Schubert und Brahms als fürsorgliche Väter und den Kontrapunktiker Bach als fernes Idol. Gal konnte sich jedoch mit einem ganz persönlichen Stil zu einer eigenständigen künstlerischen Persönlichkeit entwickeln. Seine Werke gilt es nach wie vor zu entdecken. Vielleicht werden seine bis 1933 umjubelten Opern eines Tages ja nicht nur in Heidelberg und Osnabrück, sondern auch von der Wiener Staatsoper wahrgenommen.
Die Präludien sind großartige Studien für Klavier voller Elan und Witz. Briggs zündet im Vivacissimo ein virtuoses Feuerwerk, im Lento setzt sie ganz auf einen poetisch verinnerlichten Ton. Das furiose flüchtige Schlusspresto gibt noch einmal Gelegenheit, auf dieser ureigenen österreichischen Musikreise die Ohren ganz weit aufzusperren, die stilistische Bandbreite des Gebotenen zu bewundern als auch Danke zu sagen für diese schöne und wichtige musikalische Liebeserklärung der hervorragenden Sarah Beth Briggs an Hans Gál.
Dr. Ingobert Waltenberger