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CD „TANGO CONCERTANTE“ Vol. #1 – ARDE TRIO; Ars Production Hommage an Astor Piazzolla zum 100. Geburtstag   

10.04.2021 | cd

CD „TANGO CONCERTANTE“ Vol. #1 – ARDE TRIO; Ars Production

Hommage an Astor Piazzolla zum 100. Geburtstag 

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Tango ist modern. Längst hat sich dieser die Partner in erotischem Knistern und Kräftemessen fesselnde argentinische Balztanz auch in seiner rein konzertanten Variante bewährt. Diese Entwicklung ist wohl mit dem strahlendsten und berühmtesten Namen der Tangomusik, dem argentinischen Bandoneonspieler und Komponisten Astor Piazzolla zu verdanken. Am 11. März 2021 hätte er seinen 100. Geburtstag gefeiert. 

 

Das ardeTrio mit Omar Massa (Bandoneon), Markus Däunert (Violine) und Danusha Waskiewicz (Viola) legt nur ein vor Spannung vibrierendes Album vor, das sich sowohl der Entwicklungsgeschichte des Tango verplichtet sieht als auch dessen Proponenten Astor Piazzolla zum 100 Geburtstag ein würdiges Ständchen darbringen will. Das Handzuginstrument Bandoneon ist übrigens die Erfindung des Deutschen Hans Band und wurde durch Einwanderer über die USA nach Argentinien gebracht. 

 

Die Kulturgeschichte des Tango ist vielfältig, von den Städten Buenos Aires und Paris ebenso wie von der Region Andalusien geprägt. Von kleinen Formationen in Hafenkneipen, Cafés und Bordellen bis hin zu den großen Tangoorchestern („Orchestra Tipica“) der 50-er Jahre spannt sich der historische Bogen. Heute (vor Corona und gleich danach) ziehen ,Milongas‘ (=argentinisches Tanzfest“) in Berlin und Potsdam genau so Interessierte an wie sie vor allem für Touristen in Buenos Aires allerorts angeboten werden.

 

Ich sehe sie vor mir in Buenos Aires, die stolz schmachtenden Tangopaare auf den Straßen, die zerrissenen Netzstrümpfe und abgetretenen Absätze: Das skeptisch Zugewandte, den Kampf um die eigene Souveränität, das Ringen um ,Oben oder Unten‘, das Nachlassen und Aufbäumen, das sich Anschmiegen und Trennen, das Einsame im Zweisamen, das Traurige im Vergänglichen, die Schönheit in der Einfachheit, die Würde in der Gleichberechtigung. 

 

All diese Gefühle und Gedanken eröffnen sich beim Hören dieses wohl magischen Albums: Neunmal Piazzolla und sieben Kompositionen von Omar Massa, dem Bandoneonisten des Trios. Sogar ein „Tango-Lullaby“ ist dabei, das Massa für seine im Frühjahr 2020 geborene Nichte geschrieben hat. Da der in Berlin lebende Musiker Corona-bedingt nicht reisen konnte, hat er kurzerhand ein Band nach Hause geschickt. Welch wunderbare Idee der Bindung von Nähe und Zuneigung.

 

Auf der CD wechseln sich Kompositionen von Piazzolla mit denjenigen bzw. Arrangements von Massa ab. Piazzolla erweiterte das Spektrum der ursprünglich volkstümlichen Musik, indem er Elemente des Jazz und einer klassisch-romantischeren Ausdrucksskala zufügte als auch in Rhythmik, Harmonik und Melodik komplexere Töne anschlug. Wie dieser Progress an Boden gewinnt, kann in den Stücken des Zyklus „Historie du Tango“ ,Bordell 1900‘, ,Cafe 1930‘ und ,Night Club 1960‘ nachempfunden werden.

 

Massa wiederum versucht in der Fortschreibung des Werks von Piazzolla höchst beeindruckend impressionistische Stimmungen, aber auch knalligere Klangfarben zu integrieren. Den Höhepunkt bildet auf jeden Fall die dreiteilige „Tango Etude“, die Massa seinen Freunden und Kollegen von ardeTrio gewidmet hat. Im Großen ist es ihm ein Anliegen, den Tango Nuevo eigentönend ins 21. Jahrhundert zu führen. 

 

Die Intensität, mit der die drei Musiker die atmosphärische Vielfalt an konzertanten Tangoformen vermitteln, ist atemberaubend.  Omar Massa, der ein Feuerwerk an hitzigen Rhythmen abbrennt und melancholische Töne mit einer meeressalzigen Träne im Ton anstimmt. Markus Däunert, der durch seine führenden Tätigkeiten im Mahler Chamber Orchestra und im Lucerne Festival Orchester Claudio Abbado besonders nahe stand, begeistert sowohl im virtuosen Zuschnitt seines Auftritts als auch der Vielfalt an Techniken und sehnsuchtstrunkenen Legatophrasen. Die Bratschistin Danusha Waskiewicz, lange Jahre am ersten Pult bei den Berliner Philharmonikern erfolgreich, vervollständigt in dunkler grundierten Lagen eine junge Formation (2019), von der wie noch viel erwarten können. Schließlich deutet der Hinweis „Vol. 1“ auf dem CD-Cover darauf hin, dass noch Weiteres folgt. 

 

Wussten Sie, dass beim Tango nicht nur enorme Endorphine und Testosteron ausgeschüttet werden, es wird gar gemutmaßt, dass Tango aufgrund der einzigartigen Bewegungsfolgen sogar Krankheiten zu heilen vermag? Ein temperamentvoller Seelentröster ist die Musik – vorausgesetzt erstklassig dargeboten wie vom ardeTrio – auf jeden Fall.  

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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