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CD SYMPHONIES OUBLIÉES – JORDI SAVALL mit Schumanns „Zwickauer“ und Bruckners „Nullter“; AliaVox Pädagogisch wertvoll

11.06.2025 | cd

CD SYMPHONIES OUBLIÉES – JORDI SAVALL mit Schumanns „Zwickauer“ und Bruckners „Nullter“; AliaVox

Pädagogisch wertvoll

jordi

Die Young Orchestra and Choir Professional Academy (YOCPA) ist ein wirksames und hochinteressantes Förderprojekt für junge Instrumentalisten und Choristen. Vom Alte-Musik Guru, Gambisten und Dirigenten Jordi Savall erdacht und geleitet, konzentriert sich diese internationale Initiative auf jährlich stattfindende Akademien und Konzerte mit den Ensembles Le Concert des Nations und Jove Capella Reial de Catalunya. In den jeweiligen Projekten agieren und spielen 50% Berufsmusiker und 50% an lernwilligen, mehr oder weniger praxiserfahrenen Nachwuchsmusikern. Letztere teilen sich wiederum in diejenigen, die schon an Akademien teilgenommen haben und solchen, die über Vorspielrunden ausgewählt werden. Im Zentrum der pädagogischen Lehre stehen ein tiefgehender Wissenstransfer und -austausch.

Anlässlich der Berufsbildungsakademie 2024 hat man sich auf Randwerke des romantischen Repertoires verstanden: Robert Schumanns Symphonie in g-Moll, „Zwickauer“ und Anton Bruckners Symphonie in d-Moll, die sogenannte „Nullte“, die schaffenschronologisch eigentlich seine „Zweite“ ist. Eine Woche im September stand den Beteiligten als Vorbereitungs- und Probenzeit zur Verfügung. Hierauf fanden Konzerte in verschiedenen europäischen Ländern statt und parallel dazu wurde minutiös an Einspielungen gearbeitet, die in der Namur Concert Hall im belgischen Namur an sechs aufeinander folgenden Tagen anberaumt waren.

Für das Symphoniefragment in g-Moll von Robert Schumann von 1832/33– es besteht aus zwei Sätzen mit knapp 20 Minuten Spielzeit – hat Savall auf die Zwickauer Version (ohne Posaunen) mit einigen Ergänzungen aus der Leipziger Edition zurückgegriffen. Als geistige Paten dieser von Savall in Anlehnung an Schuberts zehn Jahre zuvor entstandener Symphonie so bezeichneten „Unvollendeten“ standen der späte Mozart, Beethoven und eben Schubert parat.

Was Anton Bruckners sogenannte „Nullte“ anlangt, so ist die Bezeichnung „vergessen“ nicht mehr zutreffend. Mittlerweile liegen eine ganze Reihe von hochkarätigen Einspielungen vor, u.a. geleitet von Christian Thielemann (Wiener Philharmoniker), Andris Nelsons (Gewandhausorchester Leipzig) oder Markus Poschner (Bruckner Orchester Linz), um nur einige Neuere zu nennen. Das generell gestiegene Interesse als auch die Programmierung Savalls ist Bruckners 200. Geburtstag zu verdanken, der am 4. September 2024 begangen wurde.

Kenner werden in dieser 1869 vom 45-jährigen Komponisten geschriebenen Symphonie in d-Moll thematische Anleihen aus der f-Moll-Messe wahrnehmen. Mich überzeugen vor allem das Scherzo und das Finale, während mir beim gedehnt amorphen Andante nicht von ungefähr die Zuschreibung „himmlische Länge“ in den Sinn kommt.

Der Musikwissenschaftler Éric Chaillier ordnet die Nullte so ein: „Sie weist zahlreiche stilistische Eigenarten der Brucknerschen Symphonien auf: dazu gehören die Gegenüberstellung großer Klangblöcke, die gewagte Harmonik, harte Kontraste und Pausen. Typisch ist auch der getragene Charakter des ersten Satzes, der noch vor der Coda einen geistlichen Choral einschiebt. Es folgen ein tiefgründig meditatives Adagio (als Andante bezeichnet), ein nächtiges, stürmisches Scherzo und ein originelles, kraftvoll kontrapunktisches Finale.“

Das künstlerische Ergebnis kann sich hören lassen. An den neuen Aufnahmen Savalls mit dem dunkleren Klang von Le Concert des Nations bestechen vor allem der satte Streicherklang, das markante Blech, die rhythmische Kante, die dramatische Wucht (Kopfsatz von Schumanns Zwickauer, Bruckners Scherzo) und die flotten Tempi. In Sachen Transparenz und Durchsichtigkeit des Klangs hätte ich mir von diesem 1989 von Savall gegründeten Orchester mit seinen gewohnt historisch fundierten Interpretationen auf Originalinstrumenten mehr erwartet. Bewundernswert ist, wie intensiv Savall und das merklich höchst engagierte Mischensemble den romantischen Geist der Musik, ihre exzentrischen Licht-und Schattenspiele mit der klassisch formalen Fundierung und den jugendlichen Verrücktheiten bei Schumann treffen. Bei Bruckner stößt, wie bei Savall nicht anders zu erwarten, eine beherzte Spiritualität dazu.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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