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CD „SOULMATES“ – Klaviermusik von FRANZ SCHUBERT und LEOS JANACEK; HERBERT SCHUCH; CAvi-music

27.11.2022 | cd

CD „SOULMATES“ – Klaviermusik von FRANZ SCHUBERT und LEOS JANACEK; HERBERT SCHUCH; CAvi-music

„Was Schubert und Janacek miteinander verbindet, sind ihre Lebensumstände. Beide waren im Grunde Außenseiter. Schubert bewegte sich immer im Schatten des Giganten Beethoven und hatte zu Lebzeiten niemals den großen Erfolg seiner Musik.“ Herbert Schuch

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Dem auf spannende Programme abonnierten Herbert Schuch geht es in seiner neuen CD um Seelenverwandtschaften zweier Komponisten. Beide sind auf neugieriger Suche und auf Wanderschaft. Offene Augen und Ohren. Aus der Wahrnehmung dessen, was rundherum geschieht, amalgamiert mit der eigenen Gemütslage und Befindlichkeit, filtern sie ihre Stoffe und Themen.

Schuch bringt einen interessanten Verfremdungseffekt ins Spiel: Schubert habe nicht im pianistischen Sinne komponiert, seine Werke sind eher Streichquartette oder sogar ganze Sinfonien, die am Flügel gespielt werden. Janacek wiederum hat seine Klavierstücke mit dem Harmonium geschrieben.

Die Musik dieser Komponisten ist „in einer Art Traumwelt zwischen Wachen und Schlafen entstanden. Beide sind Komponisten, die ihren Klangraum tastend oder auch gehend erschließen“, wobei sie in ihren Werken ihre innersten Gefühle und Gedanken offenlegen.

„Auf verwachsenem Pfade“, der Klavierzyklus von Janacek, aus dem Schuch hier sechs Ausschnitte spielt, beschreibt schmerzensreiche Rückblicke aus einem wechselreich erinnerten Lebensabschnitt. Als 1903 seine geliebte Tochter Olga starb, beschrieb Janacek die Wege, die er an ihrer Seite gegangen war, als einen von Gras überwachsenen Pfad. Erinnerungen, die ihm so lieb waren, dass sie “glaube ich, niemals enden werden. Das Maß der dabei erlebten Leiden ist größer, als Worte zu sagen vermögen.“

Der Titel könnte gleichnishaft für die Spiegelung des menschlichen Daseins samt Auf und Ab in der Natur gelten. Aufbruch, einfach drauf losziehen, die Sehnsucht des Weggehens, einen Schritt nach dem anderen tun. Das Leid, das einem anhaftet, immer unter der Haut haben.

In den Impromptus D 899, Op. 90 und den Moments Musicaux Nr. 1, C-Dur, D 780, Op 94 und 2 in As-Dur erweist sich Schuch als ein Meister von Licht und Schatten, mit subtilem Anschlag: Sein einfach gehaltener Vortrag, das heißt ohne übermäßiges Rubato und Pedal, bewirkt, dass diese unglaubliche Klaviermusik, wo alles unaussprechliche Leid, die ganze „menschliche Komödie“ mitzuschwingen scheint, so nah und anrührend ist. Schuch empfindet Schubert hörbar als einen persönlichen Freund, ja wahrscheinlich selbst als einen Seelenverwandten.

Die große Überraschung kommt, wenn nach dem Andantino D 780 Janaceks zweites Stück aus dem „Verwachsenem Pfad“ mit dem Titel „Verwehtes Blatt“ erklingt und gleich darauf das Moment Musical Nr. 3 in f-Moll. Da stellen sich -wie auch im nachfolgenden Ablauf – tatsächlich Bezüge in der Art des Komponierens, der volksliedhaften Würze, des Tänzerischen, der Feinzeichnung und sanften Melancholie, des abrupten Wechsels von Heiterkeit und bedrückender Schwermut, der ahnungsvollen Bilder, die vor dem inneren Auge entstehen, her.

Der direkte Vergleich zeigt aber auch, wie avantgardistisch Schubert zu seiner Zeit schrieb und wie schwärmerisch beide Charaktere veranlagt waren. Dazu gesellen sich beidseits gestalterische Freiheiten sowie harmonische Wechselbäder. Janacek erzählt uns seine Geschichte folkloristischer und mit mehr rhythmischem Impetus. Aber es ist, wie Janacek selbst sagt, Erinnerungsmusik mit Bekenntnischarakter, sodass die slawischen Melodien, als Ursprung des Auftrags seines Lehrers Josef Várva, nicht im Zentrum des Interesses stehen. Schubert wiederum gefällt sich in seinen Impromptus bisweilen als Balladenerzähler.

Mich fasziniert an der CD, wie Schuch die Übergänge von einem Stück zum anderen oftmals ganz knapphält, sodass der Hörer gar nicht merkt, wo ein Stück endet und das nächste beginnt. Daraus erwächst das Gefühl einer großen kohärenten Erzählung, etwas Universelles, was offenbar beide Komponisten mit ihrer unverwechselbaren und doch so verwandten Musik auszudrücken vermochten.

Schuch führt uns einen Schubert in all seinen unendlichen Facetten vor, und vermag es dennoch, einen steten Bogen über dieses zerrissene, von unbeschwerten Kumpelabenden bis von stetem Liebeskummer und Krankheit geprägten Dasein zu spannen. Den Duktus, den Schuch bei Schubert anschlägt, behält er auch bei Janacek bei. Und es fügt sich tatsächlich.

Das Album endet mit Janaceks wunderbarem „Das Käuzchen ist nicht fortgeflogen“, einem Stück voller komplexer Gefühle, wo das “vertrauensvolle Lied des Daseins” immer wieder vom Motiv des Käuzchens untersetzt ist. Der Kauz tritt hier nicht als liebenswürdiger Waldbewohner, sondern als Metapher für Unheil und Tod auf.

In unserer groben und kurzlebigen Zeit ist dieses Album mit seiner zu purer klanglicher Schönheit geronnenen Sublimierung widriger Lebensumstände eine Wohltat. Herbert Schuch musiziert sensitiv und mit Herzblut. Sein kühnes Experiment ist aufgegangen, weniger von Logik und reinen Fakten getragen, sondern tief musikalisch verwurzelt. Großartig!

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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