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CD „SONATEN für drei Violinen“ – ENSEMBLE DIDEROT; Audax Records

Klangsache, Klangsprache

05.05.2021 | cd

CD „SONATEN für drei Violinen“ – ENSEMBLE DIDEROT; Audax Records

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 Klangsache, Klangsprache

 

Manchmal frage ich mich, wie hoch der Turm an gestapelten Partituren Alter Musik wohl wäre, die in den letzten 30 Jahren vom Archivstaub befreit und auf Notenpulten von Musikern weltweit landeten, mit oder ohne Mikro dabei. Es würden schon hunderte an Metern sein. Opern, Vokalmusik oder Instrumentales für ein, mehrere Instrumente oder größere Ensembles. Unter den Komponisten begegnen wir genialen Grenzgängern und kommerzielleren Nasen, die neben der kreativen Begabung durchaus auch einen Hang zu multiplen Verwertungen via Fließbandproduktion hatten.

 

Als ganz und gar originell und ansprechend erweist sich die hier präsentierte barocke Kammermusik für drei Violinen, Cello, Cembalo oder Orgel von 12 verschiedenen Komponisten etwa zwischen 1600 und 1700, die Johannes Pramsohler mit seinem Ensemble Diderot auf seiner neuen CD vorstellt. Es handelt sich natürlich nicht durchwegs um Sonaten im engeren Sinn der Formenlehre, sondern um Instrumentalmusik, die Pramsohler als Ensemblesonate bezeichnet. Wir haben es mit vierstimmigen Stücken (drei Oberstimmen und Bass) zu tun, die wesentlich komplexer und effektvoller sind als die viel gebräuchlicheren zweistimmigen Triosonaten, bei denen der Stimmentausch im Vordergrund steht. 

 

„Die Formen im vorliegenden Programm reichen von typisch italienischen Patchwork Sonaten in freier Gestalt, die ihren Ursprung in der Instrumental-Canzone haben (Gabrieli, Fontana, Buonamente) über Tanzsuiten mit Sonaten Einleitung (Hacquart), monumentalen Einzelsätzen, wie Pavanen (Purcell, Baltzar) und Sätzen mit ostinatem Bass (Pachelbel, Purcell), Variationen über Choralmelodien (Sommer) bis hin zu Werken, die sich dem Typus der hochbarocken Kirchensonate annähern (Schmelzer, Torelli, Dornen).“

 

Dem französischen, in Paris stationierten Ensemble Diderot unter der Leitung des Südtiroler Geigers Pramsohler gelingen immer wieder Spitzeninterpretationen raren Repertoires aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Das Besondere an der neuen CD ist das konkurrierende Zusammenwirken dreier instrumentaler Sopranstimmen, die miteinander um den ersten Platz auf der Bühne rittern. Wir können uns diebisch an einem echten barocken Primadonnenkrieg mit drei Violinen erfreuen. Damit ist natürlich nicht das stupend aufeinander abgestimmte Ensemble Diderot gemeint, sondern die Absicht der Komponisten, „technisch anspruchsvolle Stücke für Profis zu verfassen und nicht Dutzendware für Amateure“. Jeder darf mal Primgeiger sein, in der venezianischen Sonate von Giovanni Battista Fontana verweist sogar die dritte Violine die erste auf einen hinteren Platz.

 

Und tatsächlich: Das Reizvolle dieser italienischen, deutschen, flämischen und englischen Stücke (mit der Sonata a 3 Violine senza basso von Johann Joseph Fux ist auch ein Österreicher dabei) sind neben der melodischen und rhythmischen Vielfalt die so diversen Ansätze in der Verarbeitung der Motive und Stimmen, die kraftvolle Rhetorik, die waghalsigen Sprünge, der Tanz der Temperamente und die dialektische Dramaturgie. Wie hier die Violinstimmen Girlanden gleich durch die Lüfte fliegen, sich verschränken und wieder lösen, sich wie Gämsen im Hochgebirge jagen, sich umschmeicheln oder einander befetzen, ergibt kleine barocke Schau- und Hörspiele der Sonderklasse. Man mag sich Geschichten dazu ausdenken, oder es bevorzugen, den kunstvollen Achterbahnen der Fugen, Kanons und sonstigen kontrapunktischen Finessen zu folgen, eines steht über allem: die Übertragung der Freude, die die drei Stargeiger Johannes Pramsohler, Roldán Bernabé und Simone Pirri ausstrahlen. Ihr Ton trägt üppiges barockes Fleisch, blutleeres dünnes Gefiedle ist ihre Sache nicht. Dabei ist ihr Tun wendig und gelenkig, die Artikulation beredt ohne je geschwätzig zu sein. Die Bassesstimme übernimmt alternierend Gulrim Choi (Cello) oder Philippe Grisvard (Cembalo, Orgel).

 

Einige der auf der CD aufscheinenden Komponistennamen dürften zumindest Barockmusikfreunden durchaus bekannt sein: Johann Pachelbel, Giuseppe Torelli, Johann Joseph Fux, Giovanni Gabriele oder Johann Heinrich Schmelzer. Aber wer kennt schon Johann Sommer, Giovanni Battista Buonamente, Louis-Antoine Dornel oder Carolus Hacquart? Mit dem neuen Album bietet sich eine gute Gelegenheit, die Begegnung nachzuholen.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

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