CD „SISTERS“ KARINE DESHAYES & DELPHINE HAIDAN mit Arien und Duetten iZm mit dem Wirken von Maria Malibran und Pauline Viardot-Garcia; NoMadMusic
La Malibran und ihre jüngere Schwester Pauline Viardot-Garcia gehören zu den sagenumrankten Figuren der Oper des frühen 19. Jahrhunderts. Beide reüssierten als Mezzosopranistinnen vordringlich in Rossini-/Bellini-/Donizetti-Rollen. Sie entzückten nach Zeitzeugenberichten mit ihrem passionierten Vortrag, ihrer großen Ausdruckstiefe als auch -spektrum, ihrem Bühnencharisma und ihren außergewöhnlich beweglichen Stimmen die Welt der Oper.
Dabei schafften sie es, durch alle gnadenlosen Filter des musikhistorischen Vergessens bis heute als allseits verehrte Primadonnen ihren festen Platz am Opernhimmel gefunden zu haben. Wobei die fast unvorstellbaren Superlative der Rezeption der Auftritte als auch der frühe Tod der Malibran mit nur 28 Jahren infolge eines Sturzes vom Pferd (50.000 Menschen sollen 1836 ihrer Beerdigung beigewohnt haben) sicherlich zur Legendenbildung beitrugen und das Wiedererwachen des Interesses an bedeutenden Komponistinnen des 19. Jahrhunderts zudem die Rolle der beiden berühmten Sängerinnen als Tonsetzerinnen stärker in den Fokus des aktuellen Interesses rückte.
Verständlich, dass Sängerinnen, die ein ähnliches Stimmfach pflegen, sich für die von den Schwestern Malibran/Viardot gesungenen Rollen, generell das künstlerische Profil der beiden Stars, interessiert haben bzw. interessieren. So lieferte Cecilia Bartoli mit ihrem Album „Maria“ im Jahr 2007 das Beispiel einer geglückten Ausarbeitung und Wiederbelebung, garniert mit einem 200-Seiten starken, hoch informativen Booklet. Das Album ist gespickt mit Perlen von Malibrans Vater Manuel Garcia über Rares von Giovanni Pacini, Giuseppe Persiani, Lauri Rossi bis zum Lied “Rataplan” der Malibran selbst. Dazu gab es noch eine 70-minütige Filmdokumentation „Malibran Rediscovered“ von Michael Sturminger.
Was Raritäten anlangt, so bietet auch das den Mezzo-Kolleginnen-Schwestern Malibran und Viardot gewidmete Album von Karine Deshayes und Delphine Haidan mit Pauline Viardots Arie ‚Pourrais-je jamais aimer une autre femme‘ aus der Kammeroper „Le dernier sorcier“, deren reizvoller Mélodie „Les Monts de Géorgie“ nach einem Text von Puschkin, oder zwei Ausschnitten aus Clémence de Grandvals Oper „Mazeppa“ Einiges. Leider beschränken sich die zwei Kostproben der Grandval auf rein Instrumentales (Entracte ‚Le jardin de Kotchoubey‘, Divertissement Nr. 3 dans Ukrainienne). Wie dies bedauerlicherweise auch bei der Opera semiseria „Fausto“ von Louise Bertin der Fall ist, wo nur die Ouvertüre aufgenommen wurde.
Überhaupt liegen vokal partiell Erfreuliches (Gluck Orphée ‚Amour; viens rendre á mon âme‘, Bellini I“ Puritani“ Szene der Elvira ‚Qui la voce sua soave‘, Duett „El Desdichado“ von Saint-Saens) und editorisch/programmatisch Ärgerliches im neuen Album eng beieinander. So verzichtete man generell auf Angaben sowohl im schmalen Beiheft wie auf der Rückseite des Covers, wer der beiden Mezzosopranistinnen welche Rollen übernommen hat.
Ob Rossinis „La donna del lago“ oder Glucks „Orphée et Euridice“, der Hörer kann anhand der eventuellen Kenntnis der beiden Stimmen ahnen, wann Deshayes und wann Haidan dran ist. Wer im Duett aus Hector Berlioz‘ „Les Troyens“ die Didon und die Anna, in Rossinis „Elisabetta, regina d’Inghilterra“ die Elisabetta oder die Matilde, in Rossinis „Semiramide“ die Titelpartie oder den Arsace verkörpert, dürfte selbst für manch geeichten Opernkenner zum mehr oder weniger lustigen Ratespiel werden.
Dazu kommt, dass – wie bereits angedeutet – von den 71,33 Minuten Spielzeit ein beträchtlicher Anteil auf rein Instrumentales entfällt, genauer ca. 25 Minuten, wobei man etwa die Ouvertüre zu Rossinis „Otello“ schon temperamentvoller und aufregender musiziert gehört hat. Dies ganz einfach deshalb, weil das Orchestre National Avignon-Provence unter der musikalischen Leitung von Déborah Waldman zwar gepflegt, aber spannungsarm agiert und so über braves Mittelmaß nicht hinauskommt.
Dr. Ingobert Waltenberger