CD SHARON KAM spielt KLARINETTENKONZERTE von WEBER, KURPINSKI und CRUSELL, ORFEO
Veröffentlichung: 6.3.2020
Das zweite Klarinettenkonzert von Carl Maria von Weber in Es-Dur Op. 74 gehört zum Standardrepertoire eines jeden Solo-Klarinettisten, der auf sich hält. Das kann wohl keiner vom Konzert für Klarinette und Orchester in B-Dur von Karol Kazimierz Kurpiński vom Klarinettenkonzert Nr. 1 in Es-Dur Op. 1 des Bernhard Henrik Crusell behaupten.
Auf der zu besprechenden CD musiziert das ORF Vienna Radio Symphony Orchestra unter der mitreissend animierten Leitung von Gregor Bühl, mit dem unsere Solistin Sharon Kam verheiratet ist, alle drei Werke in jeder Hinsicht wunderbar. Über Webers Klarinettenkonzerte ist alles gesagt. Vielleicht darf daran erinnert werden, dass dieser Heinrich Joseph Baermann, für den Weber in enger Abstimmung schrieb, ein wahrer Teufelsklarinettist gewesen sein muss. Was zudem von Interesse ist, dass die in Haifa geborene, nun in Hannover lebende Sharon Kam die beiden Weber-Konzerte gemeinsam mit dem Grand Duo concertante für Klavier und Klarinette in Es-Dur schon 1996 gemeinsam mit dem Gewandhausorchester Leipzig unter Kurt Masur für Teldec (heute Warner) eingespielt hat. Im direkten Vergleich punktet die ältere Aufnahme mit einem romantisch verträumteren Sound, dafür sorgt die hervorragende Aufnahmetechnik des ORF dafür, dass der Klang der Klarinette direkter abgebildet ist.
Sharon Kam ist eine der besten Klarinettistinnen der Welt. Vor allem ihr Ansatz und die Variabilität der Tongebung frappieren immer wieder aufs Neue. Sie beherrscht gleichermaßen die sanftesten Pianissimi, kann aber durchaus dramatisch expressivere Töne anschlagen. Bloßer Wohllaut genügt ihr im Gegensatz zu anderen berühmten Kollegen nicht. Kam scheint auf ihrem Instrument die melodischen Bögen erzählend vorzusingen und damit das ganze Repertoire an menschlichen Empfindungen von melancholischer Nachdenklichkeit bis jauchzendem Glück abzubilden. Vor allem das Kecke und Übermütige in der Weber’schen “alla Polacca”, die den Übergang zum Konzert und auch die Quintessenz des Fragments des polnischen Komponisten Karol Kurpińskibildet bildet, erzeugen auf jeden Fall gute Laune. Der Warschauer Hofkapellmeister und Operndirekter Kurpiński schrieb u.a. 26 Opern, er unterrichtete und dirigierte die ersten Klavierauftritte von Frédéric Chopin. Vom Klarinettenkonzert ist leider nur ein Satz erhalten, ein „Sonaten Allegro mit drei Themen, die höchst kunstvoll verarbeitet werden und gerade im Solopart sowohl Ausdruckskraft und Virtuosität fordern“, wie Christian Heindl im Booklet weiß.
Ganz anders wiederum liegt der Fall des Schweden Bernhard Henrik Crusell. Er war Literat, Übersetzer, Komponist und Klarinettist zuerst in einer Militärkapelle, dann in der Königlichen Hofkapelle Stockholm. Er schrieb für sein Instrument drei Konzerte, drei Quartette und drei Duos. Crusell liebte hörbar Mozarts Klarinettenkonzert, war aber stilistisch nicht zuletzt der deutschen Frühromantik verpflichtet. Mir gefällt dieses Konzert vom gesamten Album am besten. Crusell haftet wie Weber nicht bloß am Virtuosen, sein grandios musikantisches Werk wartet in der Tradition Haydns und Mozarts mit technischen Finessen aller Art, aber auch tiefer Empfindsamkeit im Adagio auf. Die Qualität der melodischen Eingebung sowie die augenzwinkernd spielerisch gestalteten Durchführungen halten jedem Vergleich mit den genannten Göttern der Musikgeschichte stand.
Fazit: Ein grandioses Album uneingeschränkt ohne Nebenwirkungen zu empfehlen. Dazu müssen Sie auch keinen Arzt oder Apotheker fragen. In Zeiten wie diesen gar nicht so schlecht.
Dr. Ingobert Waltenberger