CD SERGEI RACHMANINOV: Variationen über ein Thema von Chopin, Romanzen – ALEXANDER MELNIKOV und JULIA LEZHNEVA; harmonia mundi
CD SERGEI RACHMANINOV: Variationen über ein Thema von Chopin, Romanzen – ALEXANDER MELNIKOV und JULIA LEZHNEVA; harmonia mundi
Alexander Melnikov liebt und sammelt historische Tasteninstrumente. Freilich experimentiert er auch gerne auf ihnen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich Melnikov für dieses reine Rachmaninov-Album den Original Steinway des Komponisten als klangauthentisches Instrument ausgesucht hat. Das Album wurde in der Villa Senar im schweizerischen Weggis aufgenommen, Wohnsitz des russischen Komponisten, Pianisten und Dirigenten in den Sommermonaten 1932 bis 1939.
Die Variationen über ein Thema von Chopin (und zwar wählte Rachmaninov die 13 Takte des als Largo gestalteten Trauermarsches in c-Moll, Op. 28, Nr. 20) aus den Jahren 1902/03 sind trotz des dem polnisch-französischen Klaviervirtuosen abgeluchsten Hautthemas genuin russische Musik. Dem Thema (Largo) folgen 22 Variationen, die ersten zehn zu einem großen Bogen geformt, die weiteren wiederum in einer Art von drei Gruppen in sonatenähnlicher Logik thematisch gebündelt.
Alexander Melnikov legt Wert auf klangliches Gewicht in den langsameren mit Moderato, Lento, Largo oder Grave überschriebenen Variationen. In den Allegro-Passagen drückt Melnikov schon mal in dämonischer Rasanz aufs Gas, als wäre der Teufel hinter ihm her oder zumindest als gehorchte er einem übermächtigen Antrieb.
Rachmaninov hatte mit seinen Variationen nicht nur Chopin mit dessen wuchtig angestimmtem Ausgangspunkt einer musikalischen Wanderung von Schmerz zu Freude, durch Mühsal zu den Sternen besonders gewürdigt, sondern zudem noch Formen wie Nocturne oder Polonaise einfließen lassen. Die kompositorischen Ehrbezeigungen machen da nicht halt, sondern erstrecken sich im kontrapunktisch, harmonisch beziehungsreichen Geflecht der Variationen auf Bach, Mendelssohn, Schumann und Brahms.
Alexander Melnikov vermag auf dem brillanten Instrument mit dem für einen Steinway ungewöhnlich warmen Klang die komplexen architektonischen Strukturen offenzulegen, aber vor allem ein ungeheures Feuer der Leidenschaft bis zum euphorischen Finale zu entzünden. Kein Wunder bei der Vorlage: Rachmaninov hatte das 30-minütige Stück nach dreimonatigen Flitterwochen in Österreich, Deutschland, Italien und der Schweiz geschrieben.
Im zweiten Teil des Albums folgen Auszüge aus Rachmaninovs 15 Romanzen, Op. 26, den 12 Romanzen, Op. 21 und 14 Romanzen, Op. 34. Die primär als Primadonna des Belkantos und der Alten Musik bekannt gewordenen russische Sopranistin Julia Lezhneva zeigt sich hier von einer völlig anderen Seite. Von lyrisch verinnerlicht bis hochdramatisch auftrumpfend, ist in den Romanzen vor allem eine substanzvolle Mittellage gefragt. Und genau da hat Lezhneva Erstaunliches zu bieten: Sie lässt das bernsteinfarbene Gold ihres Soprans in tausend Facetten schillern und glühen. Darüber hinaus stürzt sie sich wie ihr kongenialer Begleiter in die kleinen Geschichten und emotionalen Augenblicksaufnahmen mit einer unmittelbar zu Herzen gehenden erzählerischen Intensität.
Biografisch liegt die Querverbindung zu den Chopin-Variationen einmal darin, dass die üppige Gage für Op. 21 dem Komponisten seine lange Hochzeitsreise erlaubte. Schließlich zeigt uns Rachmaninov mit seinen Liedern generell, welch vielfältige Stimmungen er in den poetisch-lyrischen Szenen u.a. als schwermütige melodische Juwelen, viele davon in opernhafter Dramatik aufrauschend, einfangen konnte.
Ein pianistisches und vokales Fest der Sonderklasse!
Dr. Ingobert Waltenberger