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CD: SERENISSIMA – A Musical Portrait of Venice around 1726 – The 1750 Project, Benoît Laurent

09.01.2021 | cd

CD: SERENISSIMA – A Musical Portrait of Venice around 1726 – The 1750 Project, Benoît Laurent

Serenissima: A Musical Portrait of Venice Around 1726 | Outhere Music

Kopfkino allererster Güte!

Mit «Serenissima – A Musical Portrait of Venice around 1726» legt «The 1750 Project» zweifelsohne eine der interessantesten Einspielungen des gerade ebenen begonnenen Jahres vor. Wie das? Der Oboist und künstlerische Leiter von «The 1750 Project», Benoît Laurent, hat die Aufnahme gleichermassen lehrreich wie interessant konzipiert: der Zuhörer macht, als fiktiver Reisender auf seiner Grand Tour, im Jahre 1726 in Venedig Station. Warum gerade 1726? 1726 steht für eine ästhetischen Wende in der Musikgeschichte und in diesem Jahr waren in Venedig mehrere der besten italienischen Komponisten anwesend, so Antonio Vivaldi (1678-1741), Nicola Porpora (1686-1768), Giuseppe Sammartini (1695-1750) und Domenico Scarlatti (1685-1757).

Die Ankunft in Venedig bedeutete damals für jeden Besucher, denn er gelangte nicht über die Piazzale Roma oder den Bahnhof Santa Lucia in die Lagunenstadt, sondern betrat die Serenissima nach einer Bootsfahrt vom Bacino San Marco her, einen kleineren oder grösseren Schock. Das im Wasser funkelnde Licht, die betäubenden Gerüche des Meers und der Gewürze und die gespenstische Ruhe sind für ihn völlig unbekannt. Die grösste Überraschung dürfte aber die Allgegenwart der Musik gewesen sein. »Man singt auf den Plätzen, in den Straßen, auf den Kanälen; die Händler bieten ihre Ware singend dar, die Arbeiter singen, wenn sie ihre Arbeitsstelle verlassen, die Gondolieri, wenn sie auf ihre Herrschaften warten.« schrieb Carlo Goldoni zur Musikbegeisterung seiner Mitbürger.

Erste Station des Venedig-Aufenthalts ist eine Abendgesellschaft in einem der herrlichen Palazzi. Im Verlaufe der «Accademia» werden sich die Angehörigen der Noblesse in ihren poetischen und musikalischen Künsten miteinander messen. Dazu haben sie auch ein paar Berufsmusiker eingeladen. Die Kantaten, die Laurent für die Aufnahme ausgesucht hat, gehören zu denen, die bei solchen Accademie vorgetragen wurden. Sie sind für einen Sänger bestimmt, den entweder lediglich ein Basso continuo (Porporas «Questo è il platano» für Sopranstimme eines Kastraten oder einer Frau), oder ein Begleitinstrument (Vivaldis «All’ombra di sospetto» RV 687; Dialog der Stimme mit einer Traversflöte) begleitet. Streicherensemble wie bei Vivaldis «Che giova il sospirar, povero core» (RV 679) waren ebenfalls möglich. Diese drei Kantaten stehen für unterschiedliche Aspekte des aufkommenden galanten Stils (neapolitanischer) Prägung. Die Geschmeidigkeit der Gesangslinie lässt in Porporas Kantate den neapolitanischen Stil erkennen, die Ornamentik in Vivaldis Kantaten den galanten Stil.

Zu den wichtigsten Attraktionen Venedigs in jener Zeit gehörten die Opernhäuser. Während Vivaldi seine Opern im Teatro Sant’Angelo aufführte, dort sein Publikum, seine künstlerische Heimat hatte, waren Porporas Werke im Teatro San Giovanni Grisostomo zu erleben. Die Arie «Pietoso Ciel difendimi» aus der Oper «Arianna e Teseo». Bei der Uraufführung spielte kein geringerer als Giuseppe Sammartini das Oboen-Solo dieser Arie. Perrine Devillers überzeugt in den Stücken mit vokaler Beteiligung mit einem frischen, jugendlichen Sopran.

Der Bereich der Kammermusik ist auf der Silberscheibe mit Vivaldis Concerto für Oboe, Streicher und Basso continuo in D-moll (RV 454), Sonate für Violine und Basso continuo in A-Dur (RV 758), Domenico Scarlattis Sonate für Tasteninstrumente in E-Dur, K. 162 und Giuseppe Sammartinis Sonate für Oboe und Basso continuo in C-Dur (GSM 1323b)

The 1750 Project unter Benoît Laurent spielt die hier versammelten Werke mit enormer Farbigkeit und Lebendigkeit. Aufgenommen wurde die Musik vom 30. Mai bis 2. Juni 2019 in der Kirche St. Martin in Marilles in Belgien. Mit dem ersten Ton aber entführen sie den Zuhörer für wunderbare fast 77 Minuten nach Venedig.

Kopfkino allererster Güte!

10.01.2021, Jan Krobot/Zürich

 

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