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CD SEONG-JIN CHO spielt MAURICE RAVEL: Klavierwerke solo Gesamtaufnahme; Deutsche Grammophon

25.01.2025 | cd, REISE und KULTUR

CD SEONG-JIN CHO spielt MAURICE RAVEL: Klavierwerke solo Gesamtaufnahme; Deutsche Grammophon

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Irisierende Klangmalereien: Seong-Jin Chos Hommage zum 150. Geburtstag des französischen Komponisten

Am 7. März jährt sich Maurice Ravels Geburtstag zum 150. Mal. Der südkoreanische Pianist Seong-Jin Cho feiert in diesem Jahr ebenfalls ein persönliches Jubiläum. Vor 10 Jahren gewann der den prestigeträchtigen Warschauer Chopin-Wettbewerb. Seit 9 Jahren nimmt er exklusiv für das Gelblabel auf. Was lag also näher, als dass der junge Jubilar den älteren, kompositorisch so innovativen, lautmalerisch einfallsreichen, humorvollen wie in seinen Klangvorstellungen ungemein präzisen Tonsetzer künstlerisch mit einer chronologisch angeordneten Gesamteinspielung des gesamten Solowerks für Klavier gebührend feiert. Im Frühjahr folgen noch die beiden Klavierkonzerte Ravels, wobei Cho das Boston Symphony Orchestra unter der Leitung von Andris Nelsons zu seinen Partnern hat.

Das pianistische Solowerk Ravels gibt es nicht nur via Streaming, auf Silberscheibe oder auf Vinyl. Cho spielt dieses Mammutprogramm mit über zwei Stunden Musik (bei zwei Pausen) zudem live an zahlreichen Abenden im Februar und Mai dieses Jahres. So in Boston (2.2.), in der Carnegie Hall (5.2.), in Ann Arbor (7.2.), in Los Angeles, Walt Disney Concert Hall (11.2.), um nur einige zu nennen. Für das deutsche Publikum gibt es die Gelegenheit, diesen gesamten Ravel für Klavier solo in Hannover (27.4.), in Berlin, Philharmonie (29.4.), in Düsseldorf (12.5.), in Hamburg, Elbphilharmonie (13.5.) bzw. in Köln (19.5.) zu bestaunen.

Wenn man sich dieses Album von der frühen Sérénade Grotesque des 18-jährigen Ravel über das Menuet antique (1895), die Pavane pour une infante defunte (1899), die Jeux d’eau (1901), die Sonatine (1903-1905), Miroirs (1904 -1906), jeder der fünf Sätze ist einem Mitglied der Künstlergruppe Les Apaches gewidmet, Gaspard de la nuit (1908), das Menuet sur le nom de Haydn (1909), die Valses nobles et sentimentales (1910), die kleine Prélude a-moll (1913), À la manière de Alexander Borodine, À la manière de Emmanuel Chabrier, beide auf Einladung seines Freundes Alfredo Casella entstanden sowie Le Tombeau de Couperin (1914-1917) anhört, so steht außer Frage, dass Seong-Jin Cho vielleicht der aktuell berufenste aller Ravel-Interpreten ist.

In der Berliner Siemens Villa wurde das Programm von den Emil Berliner Studios in audiophiler Tonqualität aufgenommen und gemastered. Dennoch bleibt der Klang so natürlich perlend und farblich nuanciert, so nah am Zuhörer, dass man meint, neben dem Klavier zu sitzen. Einige Journalisten hatten die Ehre, einem Ravel Konzert (Album Show Case) des Seong-Jin Cho am 9.9.2024 in der Siemens Villa, das als Aufnahme für das offizielle Video (Link siehe unten) diente, lauschen zu dürfen. Da saß der nun 31-jährige, schlanke Pianist, umgeben von vielen Scheinwerfern und Mikros, und offenbarte dem Publikum den Reiz von Paris und von in zauberische Töne gegossener Natur.

Ravel zeigt schon in den ersten beiden Stücken „Sérénade grotesque“ sowie „Menuet Antique“ seine ganze Bandbreite an individuell erkennbarer Gravur und launisch aufrauschendem Stimmungszauber. Mit Einfühlung, klarem Anschlag und unglaublicher Sensitivität hat sich Seong-Jin Cio diese kontrastreichen Studien zu Eigen gemacht. Bewundernswert ist, auf welche Art und Weise Cho mit einem architektonischen Gespür für Strukturen, geschickt platzierten Temporückungen und einer riesengroßen dynamischen Palette an diese Klangemälde rangeht. In der Nutzung des Pedals erweist sich Cho als wesentlich raffinierter und detailsicherer als vergleichsweise Jean-Yves Thibaudet.  

In der berühmten Pavane pour une infante defunte über eine verstorbene Prinzessin herrschen ungemein zarte Töne vor, transparent und luzide in den Raum hineinimaginiert. Keine Totenklage wollte Ravel mit dieser Pavane schreiben, sondern eine diaphane Reminiszenz in leise und entrückte Farben tauchen. Es sollte der Eindruck einer Fantasie entstehen, wie solch ein Prinzessinnenkind wie aus einem Gemälde von Velázquez für kurze Zeit zu einem poetischen Schreittanz erwacht.

Die Jeux d’eaux sind von Ravel mit „Dieu fluvial riant de l’eau qui le chatouille“ überschrieben. Diese humorvolle Zueignung an eine lächelnde Flussgottheit lässt lautmalerisch alle Arten von in der Sonne gleißenden und im Licht sich brechenden Wassertropfen in schillernden Regebogenfarben erstehen. Das stille Glücksgefühl, das von dieser ruhigen und dennoch in unendlich fein abgestuften Varianten perlenden bis anschaulich aufspritzenden Musik ausgeht, weiß Cho, ganz Poet, in unzähligen Anschlagsnuancen zu formen, zu steigern und wieder vergehen zu lassen. Technisch in Sachen Glissandi, Triller und einem extrem weit ausgespreizten Klangspektrum bis an beide Enden der Tastatur wahnsinnig anspruchsvoll, lässt Cho den Flügel rhythmisch spielerisch und bei allen strikten Vortragsanweisungen gefühlt frei singen.

Sein Meisterstück liefert Cho in Miroirs ab, diesem fantastischen fünfteiligen Zyklus mit den Titeln ‚Noctuelles‘(Nachtfalter), ‚Oiseaux tristes‘ (traurige Vögel), ‚Une barque sur l’océan‘ (Barke auf dem Ozean), ‚Alborada del gracioso‘ (Morgenlied des Narren) und ‚La vallée des cloches‘ (Das Tal der Glocken). Die Abfolge von grell blendendem Licht und düsteren Schatten, die abrupten atmosphärischen Einbrüche und irrwitzigen Tempowechsel, die laut aufploppenden Perlagen als Gegensatz zu still dahin fließenden Träumereien, das dissonant scharfe Einritzen in erhabene Schönheit habe ich noch nie so überzeugend mutig und dennoch als eine kohärente Einheit begriffen gehört wie in dieser Aufnahme.

In Gaspard de la Nuit nach drei Texten aus dem Jahr 1842 von Aloysius Bertrand (Ondine – Nixe, Le gibet – Galgen und Scarbo – Kobold) gelingt es Cho, die vom Komponisten geforderte transzendentale Virtuosität und Schwerelosigkeit für diesen irrlichternden Teufel der Nacht in geheimnisvollen Schwärmen von Zwischentönen in dreidimensional wirkenden Schichtungen zu umkreisen.

Eine Besonderheit und Rarität, die nicht viele kennen dürften, bildet das Menuet sur le nom d’Haydn. 1909 zum 100. Todestag von Joseph Haydn vom Herausgeber der Revue musicale in Auftrag gegeben, stützt sich das Menuett auf ein Motiv aus fünf Noten, das im Zusammenhang mit Haydns Namen steht und mit kontrapunktischem Charme reizt.

Ravels letztes Stück für Klavier solo ist nicht nur dem Gedenken an einen barocken Komponisten gewidmet. Ravel hat jeden der sechs Sätze der Suite Le Tombeau de Couperin einem im Ersten Weltkrieg gefallenen Freund gewidmet.

Cho hat seinen eigenen Zugang und damit eine unverwechselbare Stimme zu Ravel gefunden. Im vollen Bewusstsein von Form und Klarheit entfesselt Seong-Jin Cho ein unfassbares Spektakel an klanglich lichtdurchfluteter Magie in tausendfach schillernden Impressionen. Fluide und trotz teils kühner Überlagerungen stets in inniger Humanität gepinselt, ersteht dieser pianistische Kosmos von Ravel als komplexe Gegenwelt zu einer oftmals vulgär schreienden Einfalt, wie sie unseren Alltag mehr und mehr bestimmt.

Kein Wunder, dass Cho Ravel als einen Menschen begreift „der leise lächelt, aber in seinen Augen Tränen“ sieht. Hören Sie seine gar nicht schwindelfreien Valses nobles et sentimentales und Sie werden verstehen, was der Musiker meint.

Link zu Seong-Jin Cho – Ravel: Sonatine, M. 40: I. Modéré – Official Music Video

https://www.youtube.com/watch?v=jJjDBuxhJsI

Hinweis: Seong-Jin Cho ist diese Saison Artist in Residence bei den Berliner Philharmonikern, mit denen er eine Fülle an Konzerten in Berlin und Baden-Baden bestreitet. Außerdem wird er auf Einladung der Berliner Philharmoniker am 29.4. im Kammermusiksaal der Philharmonie das Ravel Solo-Programm zum Besten geben.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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