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CD „SCHWARZE ERDE“: CORINNA SCHEURLE singt Lieder von Bartók, R. Schumann, Kodály und A. Berg; Solo Musica

27.04.2024 | cd

CD „SCHWARZE ERDE“: CORINNA SCHEURLE singt Lieder von Bartók, R. Schumann, Kodály und A. Berg; Solo Musica

„Botschaften aus einer Epoche, die uns fern geworden ist, und die doch von dem handeln, was Menschen zu aller Zeit beschäftigt: Liebe, Tod, Natur, Heimat, Verluste – Versuche, das mit Worten und Tönen zu ergründen, was unser Leben ausmacht, fruchtbare „schwarze Erde“ des Menschseins.“ Georg Holzer

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Lieder von Béla Bartók und Zoltán Kodaly greifen in der Regel auf Volksweisen zurück. Die beiden Tonsetzer sammelten die Melodien eifrig, um sie in eigenen Kunstwerken anzuverwandeln. Alleine schon durch die Schlichtheit, tänzelnden Rhythmen, archaisch kühnen Harmonien und impressionistischen Stimmungsmalerein verknüpfenden Klaviersätze erhalten sie jene unverwechselbare Note des frühen 20. Jahrhunderts, die sie als Kunstlieder bzw. Kunstmusik ersten Ranges ausweist. Wie so oft in der Poesie, drehen sich die Mehrzahl der Lieder thematisch um Sehnsucht, unglückliche Liebe, Trauer und Todesgedanken in einem eigenbezogenen Abtasten.

Was für ein Glück, dass sich mit der Mezzosopranistin Corinna Scheurle eine Musikerin deutsch-ungarischer Abstammung dieser Liedpreziosen, programmatisch sinnig gewählt und feinschmeckerisch serviert, angenommen hat. Sie bringt für die Interpretation der Acht ungarischen Volkslieder von Bela Bartók und die Sieben Gesänge Op. 6 von Zoltan Kodály nicht nur authentische Sprachkenntnisse sowie einen beherzt saftig-runden Mezzo ins Spiel, sondern wartet in ihrem Vortrag mit Temperament, dynamischer Tiefenstaffelung, aber auch jenen lehmigen, melancholischen Tonfarben auf, die besonders das zwischen manisch euphorisch und dunkel verhangen schwankende Liedschaffen von Kodály wie ölig-klebrige Seelenschlieren durchziehen.

Die fünf Lieder Op. 40 von Robert Schumann (Märchenveilchen, Muttertraum, Der Soldat, Der Spielmann, Verratene Liebe) stehen in der frühromantischen Tradition. Zwischen Bartók und Kodály verstört die wesentlich direktere Musiksprache beim ersten Hinhören interessanterweise. 1840, in nur wenigen Tagen des Julis entstanden, ist auch das Jahr, in dem Schumann endlich seine große Liebe Clara Wieck heiraten darf. Es sollte eines der bedeutendsten Lied-Jahre des Komponisten werden. Die ersten vier Lieder gehen auf dänische Gedichte von Hans Christian Andersen in Adelbert von Chamissos Übertragung ins Deutsche zurück. Auch hier dominieren Düsteres resümierende Motive, nur im letzten Lied, dessen Text einer Sammlung griechischer Volkslieder von Claude Fauriel entstammt, geht es recht banal um einen von einem schwatzhaften Stern geheim beobachteten und sodann in die Welt hinausposaunten Kuss.

Der Pianistin Klara Hornig gelingt es, in der Stimmungen und Emotionen verdichtenden Klavierbegleitung die gesungenen Worte um kongruent intensivierende bis die melodischen Linien kontrastierende Ausdrucksnuancen eindrücklich zu bereichern. Den Höhepunkt des Albums bilden hier wie auch in der gefühlvoll aufgerauten, expressionistischen Tongebung von Corinna Scheurle die Sieben Gesänge von Kodály (Einsamkeit, Brieffragment, Teil des Lebens, Der Frühling, Traurig braust der Wald, Ersticken). Von traumatischen Reminiszenzen durchzogen, beleuchten diese faszinierenden inneren Monologe den fraglichen Sinn des Erlebten, endlose Trauer um Unwiederbringliches, die eigene (nicht als hoffnungsfroh empfundene) Standortbestimmung und das zaghaft noch zu Erwartende. Mit dem Lied, dessen schon vielsagender Titel „Ersticken“ voller pessimistischer Abgründe steckt, schließt der Zyklus in einer tränenreichen Rückschau auf versunkenes Glück.

Das Hadern mit der eigenen Vergangenheit und die Unzufriedenheit mit dem Lebenswerk ist auch der Inhalt des ersten Lieds „Schlafen, schlafen“ nach einem Gedicht von Friedrich Hebbel aus Alban Bergs „Vier Liedern“ Op. 2 (1909/1910). Die anderen Lieder gehen auf surreal symbolistische Texte von Alfred Mombert zurück. Als spiritueller Seher verstand er sich, dieser heute vergessene Mombert, dessen Lyrik die genuinen Vorlagen für Bergs innovative, jeglicher Funktionsharmonik abholden Lieder bildet. Corinna Scheurle singt mit erzählerischer Einfühlung vom Heimfinden aus dem dunkelsten Land, schlafbefangenem Wanken durch die Gassen, und vom Mädchen im grauen Kleide, deren Augen durch Düsterriesenstämme fiebern. Vielleicht ist es gerade der Schlusssatz des Lieds „Warm die Lüfte“, dessen universelle Wahrheit das natürliche Paradoxon unseres Erdendaseins auf den Punkt bringt: „Der Eine stirbt, daneben der Anderer lebt: Das macht die Welt so tiefschön.“

Die Übersetzung der Kodály-Lieder vom Ungarischen ins Deutsche hat die Sängerin Corinna Scheurle selbst vorgenommen.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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