CD: SCHEHERAZADE – A TALE: Doppelt gemoppelt: Erzähl- und reines Musikalbum von Rimsky-Korsakovs exotisch schillernder Tondichtung; Alpha Classics
„Mit ihren Worten erschafft sie Welten, und ihre Intelligenz hat beim Sultan und seinem ganzen Volk eine heilende Wirkung. Zunächst ist es die Liebe zu ihrem Volk, die sie dazu veranlasst, sich dem Sultan zu opfern, und später die Liebe zum Sultan, die sie dazu bringt, ihn von seinem Wahnsinn zu heilen. Ihre Heldentaten verschaffen ihr die Autorität, in Frieden zu regieren.“ Simone Menezes
Ich gestehe es gleich: Mit auf Tonträgern gesprochenen Texten mit Musik zwischendrin habe ich es nicht. Und so ist die erste CD des Doppelalbums mit in englischer Sprache gesprochenen Erzählungen von Simon Scardfield, Lynn Serfaty und Simone Menezes nicht mein Fall. Da wird die Geschichte der Heldin Scheherazade und ihrer Schwester Dinarzade in vier erzählerischen Episoden entsprechend den vier Sätzen von Rimsky-Korsakovs Tongemälde „Das Meer und Sindbads Schiff“, „Der Prinz Kalender“, „Der junge Prinz und die junge Prinzessin“, sowie „Feier in Bagdad“, von den Schauspielerinnen Golshifteh Farahani und Kristin Winters deklamiert, und dies mit freien Adaptionen von Texten aus Tausendundeiner Nacht und antiken Liebesgedichten.
Oftmals unterbrochen wird der Sprachfluss von kleinen Ausschnitten aus Rimsky-Korsakovs Sinfonischer Dichtung „Scheherazade“ aus dem Jahr 1888 in der Aufnahme mit dem Ensemble K unter der musikalischen Leitung von Simone Menezes.
Und genau diese Aufnahme in einer neuen Fassung (u.a. Vincent Paulet) mit einem Kammerorchester von 14 Instrumenten (2 Violinen, Viola, Cello, Kontrabass, Klavier, Flöte/Piccolo, Oboe, Klarinette, Fagott, Horn, Trompete, Posaune und Schlagzeug) ist der große Hit des Doppelalbums. Die Musik von „Scheherazade“ ist nämlich auf CD 2 in ihrer Gesamtheit ohne Gesprochenes zu hören. Statt einer Riesen-Streichergruppe sind zwei Violinen, alle anderen Instrumente solistisch besetzt, aufgeboten. Eine solche kammermusikalische Variante bietet den Vorteil, dass das effektvolle Stück artikulatorisch plastischer und lautmalerischer, die Instrumentenfarben flashiger und individueller erklingen.
Einen projektorientierten Zugang hat sich das Ensemble auf die Fahnen geheftet. Die italienisch brasilianische Dirigentin Simone Menezes, Gründerin und künstlerische Leiterin des flexiblen, 2020 ins Leben gerufenen Ensembles, durfte keinen Geringeren als Paavo Järvi ihren Mentor nennen. Dass ihr nicht nur das Schicksal und das mutige Tun der Scheherazade als allgemein gültige Parabel am Herzen liegen, sondern auch Nikolai Rimski-Korsakovs Tondichtung Op. 35, ist mit jedem Ton zu vernehmen.
Die breiten Tempi im ersten Satz erlauben es, episodenhafter zu denken, aber auch die Dramatik und die erotisch-verzierungsverliebten Komponenten des Stücks detailreich-intimer zu profilieren. Besonders das Holz profitiert von der neu markierten Gewichtung in der Instrumentierung, aber auch Rhythmik und die märchenhafte Atmosphäre gewinnen an Kante und poetischer Eindringlichkeit. Ein Sonderlob gebührt den Geigen. Nicolas Dupont und Manon Galy lassen in den wohl der Scheherazade gewidmeten Kantilenen die Luft flirren und die Saiten singen, dialogisieren im Lento des zweiten Satzes mit Oboe, Flöte, Klarinette und Fagott, bevor sich das Blech fanfarenartig zu Ton meldet. Dabei wollte der Komponist trotz der programmatischen Satzbezeichnungen und mit Leitthemen arbeitend die Fantasie der Hörerschaft inhaltlich nicht genau festlegen. Es sollten u.a. mittels Triangel und Tamburin sowie dem Intervall der übermäßigen Sekunde lediglich „eine reine kaleidoskopartige Folge von Märchenbildern orientalischen Gepräges“ erlebbar werden.
Im flott-festiven vierten Satz schlägt die Stunde des fabelhaften Perkussionisten Christophe Drelich, mit dem sich im Reigen aller Instrumente der genießerische Teil im Kreis der Geschichten hymnisch und zuletzt still ausklingend zu schließen beginnt.
Hinweis: Am Donnerstag, 26. September 2024, 19:30 Uhr, wird das Ensemble K & Simone Menezes „Scheherazade: Eine Erzählung in Musik, Poesie und Dialog“ im Berliner Pierre-Boulez-Saal präsentieren.
Kurzer Trailer von Alpha: https://www.youtube.com/watch?v=8mmiCEe8Ai8
Dr. Ingobert Waltenberger