Russische Klaviermusik mit Jimin Oh-Havenith bei audite erschienen
Filigran und leuchtkräftig
Eine interessante Werk-Kombination bietet die südkoreanische Pianistin Jimin Oh-Havenith mit einer Auswahl russischer Klaviermusik. Sie lehrte an den Musikhochschulen in Mainz und Frankfurt und tritt seit 2013 wieder als Solistin auf. Den Anfang dieser akustisch recht weiträumigen CD macht Modest Mussorgskijs Zyklus „Bilder einer Ausstellung“. Der mit Mussorgskij befreundete russische Maler Victor Hartmann gab im Jahre 1874 die Anregung zu dieser Komposition. Schon die marschartige „Promenade“ gewinnt bei dieser Aufnahme sofort Profil, der Wechsel von Fünfviertel- und Sechsvierteltakt gerät nie aus dem Gleichgewicht. Das pentatonische Hauptmotiv und die modulatorischen Rückungen besitzen wie die anderen Motive eine klare Struktur. Das groteske Herumstolpern eines Zwerges bei „Gnomus“geht gehimnisvoll in die tonmalerische Musik bei „Das alte Schloss“ über. Zu einem ostinaten Bass auf Gis gewinnt dieses traurige Lied immer größere Intensität. Die Ostinato-Bässe des polternden Ochsenkarrens „Bydlo“ und das pittoreske Bild vom „Ballett der Küchlein in ihren Eierschalen“ zeigen durchaus abwechslungsreiche Klangfarben. Staccati, Vorschläge und Trillerketten entfalten eine fulminante Rasanz. Schauerlich-kühne Akkorde beschreiben die gespenstischen „Katakomben“, deren thematische Zusammenhänge hier von unheimlicher Wirkung sind. Der mystische Vorgang wird mit Tremolo-Figuren und Vorhaltsharmonien wirkungsvoll beschrieben. Nicht allzu barbarisch zeigen sich die Rhythmen und Akzente bei „Die Hütte der Baba Yaga“, wo der Ritt der Hexe in atemloser Weise Gestalt annimmt. Feuerwerksartige Oktavenpassagen leiten zuletzt zu „Das große Tor von Kiew“ über. Und es gelingt Jimin Oh-Havenith in fulminanter Weise, einen großen dynamischen Bogen über dieses beeindruckende Klanggewölbe zu spannen. Goldschimmernde Kathedralen scheinen den Harmonien den letzten Schliff zu geben. Sehr filigran und leuchtkräftig spielt die Pianistin dann die Preludes op. 2/2 und op. 48/2 sowie die Etüden op. 42/4 und op. 42/5 von Alexander Skrjabin. Extreme Weitgriffigkeit, komplizierte Sprung- und Akkordtechnik sowie raffinierte Polymetrik wechseln sich hier ab. Vor allem die wechselnde dynamische Gestalt trifft Jimin Oh-Havenith immer wieder ausgezeichnet. Durchaus kraftvoll und robust kommen zum Abschluss die Preludes op. 23/2, 23/10, 32/10 und 32/13 von Sergej Rachmaninoff daher. Neben berauschender Klangfülle verblüffen immer wieder Akkordfolgen mit ihrer Nähe zu Quinten- und Quartenparallelen. Die Motivvielfalt kulminiert wie bei einem Mosaik, dessen verwirrende Verbindungen sich erst ganz allmählich auflösen. Vor allem die bei Rachmaninoff zuweilen kritisierte schwache thematische Substanz tritt hier nie in den Hintergrund, sondern gewinnt aufgrund des transparenten Musizierstils immer mehr an Profil.
Alexander Walther