Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

CD RUFUS WAINWRIGHT: DREAM REQUIEM für Erzähler, Sopran-Solo, Kinderchor, Chor und Orchester; Warner Classics

08.01.2025 | cd

CD RUFUS WAINWRIGHT: DREAM REQUIEM für Erzähler, Sopran-Solo, Kinderchor, Chor und Orchester; Warner Classics

Meryl Streep und Anna Prohaska starring in diesem Giuseppe Verdi und dem toten Hundewelpen ‚Puccini‘ gewidmeten Requiem

drea

„I had a dream, which was not at all a dream. The bright sun was extinguish’d, and the stars did wander darkling in the eternal space, rayless and pathless.“ Aus Lord Byrons „Darkness“

Am Anfang war das „Requiem“ von Giuseppe Verdi. Das Abspielen der Aufnahme dieses Requiems unter der Leitung von Fritz Reiner mit Leontyne Price und Jussi Björling via Musikkassette im Hause der Wainwrights in Quebec wühlte den 13-jährigen Rufus so sehr auf, sodass er diesen ‚musikalischen Kosmos der Extreme‘ unbedingt näher erforschen wollte. Also fuhr er nach Montreal und kaufte von seinem kargen Taschengeld einige Aufnahmen dieser opernhaft dramatischen Totenmesse. Eigentlich war die Familie jedoch primär für ‚folk music‘ zuständig, die sie auch öffentlich praktizierte.

So und mit Verdi fürs erste kompositorisch wie spirituell nicht übel ausgerüstet, legte der 1973 geborene Rufus McGarrigle Wainwright seither eine beachtliche Karriere als Sänger (Tenor), Songwriter und Komponist hin. Die begann schon früh und führten den Klavier-Eleven und Gitarristen mit der Folk-Gruppe „The McGarrigle Sisters and Family“ – bestehend aus Rufus, seiner Schwester Martha, seiner Mutter Kate und seiner Tante Anna – durch die Lande.

Heute kann der in Los Angeles lebende Künstler u.a. auf elf Alben und jede Menge an Filmmusiken zurückblicken. Sein Leben verlief in den frühen 2000-er Jahren aufgrund einer Crystal Meth Drogenabhängigkeit halluzinatorisch turbulent. Später engagierte sich Rufus Wainwright in Belangen von Umweltschutz und Bewahrung natürlicher Ressourcen. Seine erste Oper „Prima Donna“ über eine Sängerin, die ihr Comeback vorbereitet und sich in einen Journalisten verliebt, wurde zwar von der New Yorker MET in Auftrag gegeben, aber wegen Differenzen über die gewählte Sprache (Französisch) beim Manchester International Festival uraufgeführt. 2018 folgte als zweite Oper „Hadrian“ und ehrte die Eröffnung der Canadian Opera Company.

Des Melomanen Rufus Wainwright neuestes Opus „Dream Requiem“ wurde am 14.8.2024 im Auditorium de Radio France Paris aus der Taufe gehoben. Die musikalische Auseinandersetzung mit dem Tod des 50-Jährigen, eigentlich nicht sonderlich religiösen, katholisch erzogenen Komponisten rührte biografisch von existenziellen Erfahrungen aus der COVID 19-Pandemie als auch den heftigen Waldbränden in Kalifornien 2020.  

Wie schon in anderen Werken, amalgamiert Wainwright im „Dream Requiem“ Einflüsse aus der Welt der Alten Musik, der Oper, der Literatur (Lord Byrons Gedicht ‚Darkness‘, das den Kollaps der Welt nach dem Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora 1815 thematisiert) und Popkultur zu einem 75-minütigen Monumentalstück. Bei der Wahl von lateinischem Text und englischer Poesie könnte Benjamin Brittens „War Requiem“ Pate gestanden haben, das sich außer dem Messetext auf die Lyrik des Dichters Wilfred Owen bezog.  

Auf jeden Fall bildet die ausdrucksintensive Rezitation der bildmächtigen Visionen Byrons, teils ohne musikalische Unterlegung, teils melodramatisch durch die fantastische Meryl Streep geheimnisvoll-düster orakelnd schon alleine einen triftigen Grund, sich mit dieser Komposition näher zu beschäftigen.  

Musikalisch hören wir – wie schon die Widmung nahelegt – Reminiszenzen an die Klangcharakteristika eines Verdi sowie mächtige Chöre, die bisweilen in ihrer archaischen Wucht an Carl Orffs „Carmina Burana“ mit ihren mittelalterlichen Kirchentonelementen erinnern. Ein schon 2004 geschriebenes ‚Agnus Dei‘ integrierte Wainwright als a cappella Chor.

Apocalypse now: Anders als Andrew Llloyd Webbers „Requiem“, das sich vorrangig in pauspäckig seligen Engelstönen à la Fauré-Requiem ergeht, ist das „Dream Requiem“, oder sollen wir sagen die darin endzeitliche Albträume beschwörenden Geister, von durchwegs dunklerer Textur.

Bei der Rezeption kann in zwei Richtungen marschiert werden: Entweder an ist geneigt, im Detail zu versuchen, die Muster und Motive aus der Musikgeschichte ausfindig zu machen (ohrenfällig ist beispielsweise die thematische Nähe zu Puccinis „Suor Angelica“ in der Sequenzia IV: Ingemisco) und vielleicht zum Schluss zu kommen, dass Wainwright einer der vielen ist, die epigonal arbeiten, oder dieses Stück als hochdramatische, in packende Klänge aufgelöste Mahnung auf sich wirken zu lassen. Mit all den Überwältigungseffekten, Brüchen/Überlagerungen von Text und Musik, von instrumentaler Schlagfertigkeit, vokaler Eindringlichkeit (Anna Prohaska) und chorischem Aufbegehren.

„Verlust ist ein Fluss ohne Wiederkehr und Ufer“ sinniert Jörn Weisbrodt, in Hamburg geborener, deutsch-amerikanischer Kulturverwalter, Sänger, ehemaliger künstlerischer Leiter des Luminato Festivals, und Ehepartner des Komponisten in seinem Essay „Das Universum der Linderung“„Etwas stirbt oder ist schon verstorben, doch ehe wir einen Ausweg finden können und eine Katastrophe in Hoffnung und Lösungen wandeln können, müssen wir trauern.“ Und genau diese Katharsis zu offerieren, sind Kunst und Musik hervorragende Mittler/Katalysatoren.

Das Ineinandergreifen von mächtigen Chorstellen, in ätherische Höhen sich aufschwingende Sopran-Soli und Kinderchören, deren Verflechtung mit aufregend rezitierter Poesie, die scharfen Kontraste zwischen einer allerletzten Dämmerung und lichtvollerer Zartheit (konzertierende Solo-Bratsche im Offertorium) verfehlen ihre Wirkung nicht. Diese in R. Strauss‘sches Viola-Flirren getauchte Orchesterstelle nach Byrons trauernden Worten über den selbst nach dem Tod seines Herrchens sterbenden Hund, der ein letztes Mal dessen Hand leckt, ohne dafür Dank zu erhaltenist ein Nachhall an spätromantische Verklärtheit. „Der Hund, das Symbol der bedingungslosen wortlosen Liebe, bekommt das schönste orchestrale Nachspiel.“ Weisbrodt.

Bevor der Kinderchor sein nur noch von Paukenschlägen begleitetes „In Paradisum“ anstimmt, lässt die letzte Weissagung Byrons keine Hoffnung aufkommen. Alle Wesen sind tot. Das Universum, die „Unerbittlichkeit und das Vergehen von Zeit, die kein Ende und nur Anfänge“ kennt, bleiben: „The waves were dead; the tides were in their grave, the moon, their mistress, had expir’d before; the winds were wither‘d in the stagnant air, and the clouds perish’d; darkness had no need of aid from them – she was the Universe.“ Die Totenglocken läuten….

Die musikalische Umsetzung der komplexen Partitur gelingt allen Mitwirkenden, also der Maîtrise de Radio France, dem Choeur de Radio France sowie dem Orchestre philharmonique de Radio France unter der rhythmisch präzisen wie expressiv dringlichen musikalischen Leitung von Mikko Franck ganz vorzüglich. Der Live-Mitschnitt mit stürmischem Applaus am Ende ist nicht zuletzt aufnahmetechnisch hinreißend geglückt.

Das Album bietet neben den musikalischen Qualitäten Gelegenheit, den eigenen Standort wieder einmal neu zu bestimmen, ihn vielleicht perspektivisch anders zu denken. Denn einfacher wird es politisch, ökonomisch und ökologisch nicht mehr. Die einsame Insel als Refugium hat ausgedient. Wo ist die Zukunft, „zu der wir noch nicht wissen, wie wir uns verbinden können“. Das „Dream Requiem“ ist zudem ein klingendes Manifest gegen jegliche Naivität und „wird mich schon nicht treffen“ Mentalität. Und nicht zu vergessen, eine gewaltige Liebesapotheose an das Genie des Giuseppe Verdi.  Empfehlung.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

Diese Seite drucken