CD RUDOLF SCHOCK: OPER AUF DEUTSCH Vol. 2; Profil/Hänssler
Operngesamtaufnahmen von Hoffmanns Erzählungen, (1950) Così fan tutte (1954), Fra Diavolo oder Das Gasthaus zu Terracina (1954), Eugen Onegin (1952) und Pique Dame (1947)
Rudolf Schock hatte das, was wohl landläufig als tolle Naturstimme mit individuell gefärbtem Timbre und hohem Wiedererkennungswert bezeichnet werden darf. Er verfügte über Charisma und einen untrüglichen Instinkt für das Theater. Außerdem war Schock – ähnlich wie Waldemar Kmentt – ein Allrounder, der deutsches, italienisches, französisches und slawisches Fach, lyrische wie heldische Rollen gleichermaßen gut bediente wie die Operette oder das Lied. Schock war aber auch ein Künstler, der geschickt auf dem Klavier der medialen Vermarktung spielte, und dem Fernsehen nach Abebben der stimmlichen Möglichkeiten eine zweite Karriere als schlagersingender Entertainer oder Schauspieler in Filmen wie „Das Dreimäderlhaus“ verdankte.
Der aus einfachen Verhältnissen stammende Rudolf Schock baute seine Karriere kontinuierlich auf, den Beginn machte er als Tenor im Chor der Bayreuther Festspiele. Nach dem Krieg begann er neben seinem Schallplattenvertrag mit der EMI rasch für verschiedene deutsche Rundfunkstationen Opern aufzunehmen. Mit Partnerinnen und Partnern, die wohl als die Crème de la Crème der deutschsprachigen Opernszene betrachtet werden dürfen. Aus heutiger Sicht ist es als ein ausgesprochenes Glück zu sehen, dass diese in technischer Hinsicht als spektakulär zu bezeichnenden Aufnahmen in deutscher Sprache aufgenommen wurden. Stilistisch waren Schock und viele der anderen damaligen Stars ohnedies vom deutschen Repertoire, der sich daraus ergebenden Phrasierung, Artikulation und dem starken Wortbezug geprägt. Die Fremdsprachenkenntnisse der meisten Opernsänger (Frau Schwarzkopf u.a. einmal ausgenommen) waren hingegen – vorsichtig formuliert – rudimentär.
Außerdem finde ich ganz grundsätzlich, dass Opern in der jeweiligen Landessprache gesungen durchaus ihre Meriten haben und eben einen anderen ganzheitlicheren Zugang erschließen als dies Opern in der Originalsprache interpretiert erlauben. Textbuch oder Ober/Untertitel? Nicht nötig. Für ein überwiegend (vor allem) einer Sprache mächtiges Publikum bewirken in deutscher Sprache gesungene Opern nicht zuletzt einen Katalysator für Popularität und Breitenwirkung der Gattung Oper.
Die Zeitspanne der Aufnahmen des Vol. 2 erstreckt sich von 1947 bis 1954. Die Alben zeigen den 35-40-jährigen Tenor auf dem Gipfel seiner Möglichkeiten. Als Appendix zu den fünf Opern gibt Rudolf Schock noch 4 Lieder von Tschaikovsky, (Klavier Erhard Michel 1947/1948) zum Besten.
Dass sich die Mode des Singens und vor allem die Gestaltung von Portamenti und Phrasen seit den Fünfziger Jahren massiv geändert hat, ist eine Banalität. Abgesehen von Zeitgeschmack und unabhängig vom Stadium seiner Karriere sind aber einige stilistische (technische?) Vorbehalte evident: Schock singt die kleinen Noten oft nur beiläufig, so manche Intonationstrübung stört das empfindliche Ohr. Letzteres dürfte aber auch der Tatsache geschuldet sein, dass Korrekturen wahrscheinlich kaum möglich waren. Und so mancher hohe Ton kommt nicht frei schwingend, sondern bis auf kraftvoll gesetzte Akuti steif und nasal daher. Auf der Habenseite stehen eine bestens fokussierte und projizierte Stimme mit beeindruckender Attacke und dramatischem Aplomb sowie eine fantastisch satte Mittellage. Textverständlichkeit und die klangfarbliche Charakterisierung der Rolle/einer Arie sind ebenso stets vorbildlich. Ein Draufgänger war Schock, ein Theatervollblut, was sich halt auch positiv auf die Lebendigkeit und Plastizität seiner Rollenporträts auswirkt.
Die fünf Operngesamtaufnahmen sind natürlich nicht nur Dokumente eines einzigen Sängers, sondern stehen für ein beeindruckendes Panorama der gesamten Opern-Nachkriegszeit in Deutschland, wo bei den Protagonisten wie Dirigenten aus dem Vollen geschöpft werden konnte. Künstler wie Martha Mödl (Giulietta), Alexander Welitsch (vier Bösewichte), Wilma Lipp (Olympia, Zerline in Fra Diavolo), Sena Jurinac (Tatjana), Gottlob Frick (Fürst Gremin), Margarete Klose (Gräfin), Elisabeth Grümmer (Lisa), Suzanne Danco (Fiordiligi), Ira Malaniuk (Dorabella), Edith Oravez (Despina) sind selbstverständlich nicht nur für Nostalgiker relevant, sondern zeigen auch einem jungen Publikum, wie wahrhaftig und ausdrucksstark Oper mit charaktervollen und edel timbrierten Stimmen klingen kann.
Dieser pädagogische Aspekt ist die eine Seite. Die (Wieder-)Begegnung mit diesen Mitschnitten bereitet durchwegs ein diebisches Vergnügen. Szenen wie diejenige der Olympia der Wilma Lipp, die Briefszene mit Sena Jurinac, die Arien und Ensembleszenen von Fiordiligi (die belgische Sopranistin Suzanne Danco kann es von der Stimmqualität her mit Lisa della Casa aufnehmen) und Dorabella (die großartige Ira Malaniuk), die Lisa der Elisabeth Grümmer, der Gremin von Gottlob Frick oder der Räuberhauptmann Fra Diavolo des die Rolle herrlich ironisierenden Rudolf Schock bieten vollkommenes Opernglück. Freudentränen treibt‘s einem in die Augen beim Hören all dieser einzigartigen Stimmen.
Und die Dirigenten? Der Ungar Eugen Szenkar leitet einen temperamentvollen „Hoffmann“, Hans Schmidt-Issersted eine schlanke, umwerfend flotte „Così fan tutte“ (neben der berühmtem Karajan Aufnahme ist dies auch sängerisch eine der besten Interpretationen der Mozart-Oper im Katalog), Wilhelm Schüchter einen sehr preussisch kantigen „Fra Diavolo“, dafür einen genießerischen „Eugen Onegin“, Artur Rother eine kappellmeisterlich korrekte „Pique Dame“.
Das Klangbild der Aufnahmen schwankt je nach Alter, die Restaurierung der Bänder ist überwiegend aufsehenerregend gut (z.B.: Così fan tutte) gelungen. Übersteuerungen gibt es in „Fra Diavolo“ und „Hoffmanns Erzählungen“ zu konstatieren. Von der Balance her sind die Stimmen in Relation zum Orchester bevorzugt, was Melomanen freuen dürfte. Alle Aufnahmen wurden zwar bereits als nicht autorisierte „Bootlegs“ von verschiedenen Firmen herausgebracht. Wer sie in bestmöglicher Tonqualität hören will, wird auf die neue Box zurückgreifen müssen.
Hinweis: Vol. 1 der Serie „Opern auf Deutsch“ stellte Rudolf Schock als Tenor in fünf italienischen Opern vor: Rigoletto, Die Macht des Schicksals, Tosca, L‘elisir d‘amore und Cavalleria rusticana.
Dr. Ingobert Waltenberger