CD ROSSINI PETITE MESSE SOLONNELLE – Philharmonie Luxembourg März 2018; PENTATONE
Mehr von solch grandiosen Alterssünden
Veröffentlichung: 5. April 2019
Der 71-jährige Rossini hat die italienische Sakralmusik mit dieser frisch unkonventionellen Komposition in lichte Höhen geführt. Die „letzte altersbedingte Todsünde“ des Schwans aus Pesaro ist nichts weniger als eine mit dem Lächelns Falstaffs geübte Annäherung eines altersweisen Opernkomödienschreibers an einen sehr persönlichen, Ehrfurcht gebietenden Gott. Die Zwiesprache des alten Rossini mit dem Herrn im Himmel stelle ich mir so wie die durchaus vergnüglichen Beispiele Don Camillos in den Romanen und Filmen von Giovannino Guareschi vor, garniert mit kontrapunktisch doppelt gewundenen Girlanden, chorischer Emphase und jauchzenden Arien. Die spirituelle Wirkung ist trotz manch opernhaft pathetischer Geste überwältigend. Zur musikalischen Ahnherrenschaft Bachs gesellen sich italienische Inventionen wie Stretta, schmissige Ensembles und sogar ein Allegro Cristiano.
Die als Auftragswerk entstandene Missa concertata wird hier in der Fassung für Orchester aus dem Jahr 1867 mit einer zusätzlichen Sopranarie dargeboten. Ursprünglich sah Rossini wegen der begrenzten Platzverhältnisse des neu erbauten Privathauses des Grafen Alexis Pillet-Will in Paris, wo die Uraufführung stattfand, lediglich acht Chorsänger vor, die von zwei Klavieren und einem Harmonium begleitet wurden. Allerdings hat die kleine prägnante Instrumentalbegleitung durchaus ihre Vorzüge, sie stützt die komplexe Rhythmik und hebt die „Exotik“ der Partitur.
Die vorliegende Studioeinspielung ist gelungen. Das liegt in erster Linie am spanischen Dirigenten Gustavo Gimeno, der seit 2015 den Posten eines musikalischen Direktors des Orchestre Philharmonique du Luxembourg bekleidet. Gimeno hält die Balance zwischen Orchester, Chor und Solisten bei hoher dynamischer Differenzierung und legt offenbar Wert auf viele liebevoll gestaltete Details in Phrasierung, Artikulation und Klangabmischung. Rhythmisch präzise, vermag er der doch prächtig gesprächigen Musik klare Kontur zu geben und den Musikfluss energetisch aufgeladen nach vorwärts zu drängen, was die Aufnahme positiv von anderen abhebt. Archaische Fugen, italienischen Zunder und zukunftsweisend kühne Harmonik, all das weiß Gimeno in ein musikalisch und kulinarisch gesegnetes Fest zu wandeln, Mandel- und Zitronenduft inklusive.
Dabei ist ihm vor allem die Wiener Singakademie eine kongeniale Mitstreiterin. Dank Chef Heinz Ferlesch, der im Laufe der Jahre bewiesen hat, dass man aus dem oft ungelenken Tanker eines Konzertchors ein wendig flottes Schnellboot mit allen Tugenden eines Kammerchors machen kann, klingt der Chor hier nicht sentimental schmachtend, sondern transferiert die Atouts barocken Musizierens in die exzentrische Romantik des 19. Jahrhunderts. Was der Musik insgesamt, dem Gesamtklang und der Präzision des etwa Palestrinamotetten nachempfundenen a cappella Stücks „Dona nobis pacem“ enorm zugute kommt. Die Singakademie kann ihre aktuellen Qualitäten nicht zuletzt in der monumentalen Chorfuge „Et resurrexit“ aus dem Credo beeindruckend unter Beweis stellen.
Von den Solisten fällt in erster Linie der lyrische Tenor des Kenneth Tarver auf. Der Mozart-geeichte Belcantist verfügt über eine gut fokussierte, silbern glänzende Stimme. Seine Arie „Domine Deus“ leuchtet heldisch, in den Ensembles kann er es auch sanfter. Die Salzburg- und Riccardo Muti-erprobte Sopranistin Eleonora Buratto harmoniert mit ihrem dunkel schimmernden Edeltimbre bestens mit dem hellen Mezzo der Sara Mingardo. Luca Pisaroni erdet die himmelfliegende Musik mit breit strömenden Bass, bisweilen täte eine ruhigere Stimmführung dem Stück und unseren Ohren gut. Tobias Berndt auf der Orgel schärft die kühne Harmonik im Preludio religioso Ritornello.
Wer trotz aller musikalischen Wonnen der vorliegenden Einspielung die Fassung mit zwei Klavieren und Harmonium bevorzugt, dem sei die Aufnahme mit dem RIAS Kammerchor unter Marcus Creed empfohlen.
Dr. Ingobert Waltenberger