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CD ROSSINI: MATILDE DI SHABRAN ossia Bellezza, e cuor di ferro, römische Erstfassung 1821 – live Rossini Festival in Wildbad Juli 2019; NAXOS

Volltreffer mit der „Schönheit und das Eisenherz“: Rossini in Wildbad schlägt Pesaro  

21.12.2020 | cd

CD ROSSINI: MATILDE DI SHABRAN ossia Bellezza, e cuor di ferro, römische Erstfassung 1821 – live Rossini Festival in Wildbad Juli 2019; NAXOS

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Volltreffer mit der „Schönheit und das Eisenherz“: Rossini in Wildbad schlägt Pesaro

 

Das Interesse an diesem komisch-heroischen Melodramma giocoso ist vor allem Juan Diego Flórez zu verdanken, der in der Rolle des frauenverachtenden, griesgrämigen und tyrannischen Ritters Corradino gleich drei Mal reüssierte: 1996 in Pesaro als Einspringer in letzter Minute für den sich aus der Rolle zurückziehenden  Bruce Ford (und damit seine Weltkarriere als begnadeter Lirico leggiero begründete), 2004 wiederum in Pesaro (ein CD-Mitschnitt der Aufführung, der die revidierte neapolitanische Version zugrunde liegt, mit der leichtgewichtigen Annick Massis als Sopran-Partnerin, ist 2006 bei DECCA erschienen) und 2012 in Bologna, wo er neben Peretyatko, Bordogna und Goryachova brillierte (was auch einer DVD/Blu-ray, ebenfalls bei DECCA herausgekommen, nachzusehen ist).

 

2019 hat sich das Rossini Festival in Bad Wildbad an diese Opera semiseria-Rarität gewagt und auf voller Linie gesiegt. Das überaus witzige, nach heutigen Maßstäben kuriose mittelalterliche Frauenpower-Libretto stammt von Jacopo Ferretti. Auch die ,Bauernbuam‘ stimmen im Finale des zweiten Aktes in den von Matilde entfesselten Jubelgesang „Die Frauen sind geschaffen, um zu siegen und zu herrschen“, ein. Und alle dürfen sich freuen, dass die misanthropische Doofpfeife Corradino fortan unter den Fittichen der weiteres Unheil abwendenden klugen Matilde steht. 

 

„Matilde di Shabran“ oder „Die Schönheit und das Eisenherz“ des 29-jährigen Rossini war seine letzte Oper für Rom. Die Meisterkomödien „Barbier von Sevilla“ und „Cenerentola“, letztere ebenso auf ein Libretto von Ferretti, waren vorangegangen. Die Geburt des tollen Werks gestaltete sich reichlich schwer. Rossini konnte das umfangreiche Libretto unmöglich in der vereinbarten Zeit vollenden, zumal er auch Neapel mit „Zelmira“ in der Pflicht stand. Also schwindelte Rossini vorerst einmal, um das Werk nicht als Pasticcio bezeichnen zu müssen in der festen und schließlich auch realisierten Absicht, später die Eigen- und Fremdanleihen zu ersetzen: Für die Premiere entlieh Rossini nicht nur die Ouvertüre kurzerhand seiner eigenen Oper „“Edoardo e Christina“. Ein Schelm, wer nicht Melodisches aus dem „Barbier“ heraushörte. Rossini bat aber auch seinen Freund Giovanni Pacini um Mithilfe, der für sechs Nummern verantwortlich zeichnet. 

 

In dieser köstlich gerührten Ursprungsfassung darf die Aufführung in Wildbad tatsächlich als Weltpremiere bezeichnet werden. Corradino ist wohl die schrägste Parodie einer Figur (eines in seiner Männlichkeit wohl gewaltig unsicheren Tyrannen und Halsabschneiders), die Rossini jemals in Noten gesetzt hat. Der auf einer spanischen Burg einsam sitzende Ritter und fanatische Frauenhasser hat zwei Wahlsprüche, die in der Vorhalle zu lesen sind: „Dem ungebetenen Eindringling wird der Schädel zertrümmert“ und „Wer die Ruhe zu stören wagt, wird verhungern und verdursten“. Tatsächlich lässt er den ans Burgtor klopfenden Dichter Isidoro nicht gleich umbringen, sondern in den Kerker werfen. Das geschieht in einem ungemein virtuosen Quartett mit dem Auftritt des schwer hysterischen Koloratur-feuerspeienden Corradino, das gleich den ersten Höhepunkt der Oper bringt.   

 

Im Juli 2019 muss wohl ein musikalischer Glücksschwan über dem Nordschwarzwald gekreist sein. Das in dem Sommer vielbeschäftigte Krakauer Passionart Orchestra und der Górecki Kammerchor, die tapfer, aber weniger brillant auch die zweite Sommerproduktion mit Meyerbeers „Romilda e Costanza“ bestritten, liefen unter der Leitung von José Miguel Pérez-Sierra zu Hochform auf. Über dreieinviertel Stunden Musik netto und keine Sekunde Langeweile. Das kauzige Ritterdrama fegt wie ein Tornado über die Bretter und schmeichelt sich wie eine schnurrende Katze mit spitzen Krallen in die Ohren des Zuhörers. Pérez-Sierra peitscht die großen Ensembles ordentlich an und zieht die Tempi bis zum Anschlag an, dass einem schwindlig werden könnte. Aber auch die romantischen Bögen dürfen ausschwingen – bisweilen möchte man dazu schunkeln. 

 

Im Zentrum der Aufführung stehen Corradino und Matilde. Michele Angelini erweist sich als ein Florez an agiler Gurgel und Verzierungskunst ebenbürtiger Sänger. In der Oper muss er einiges aushalten: Im zweiten Akt kulminiert die Absurdität der Handlung. Der emotionale Eigentorschütze muss von seinen Erzfeinden Edoardo und Don Raimondo Lopez, dem verachteten Hexen-Dichterling und der geliebhassten Frau befreit werden, die er vorerst selber die Felsen hinabstürzen lassen wollte. 

 

Für den März 2021 wäre Angelini für „l barbiere di Siviglia“ an der Met gebucht gewesen (was Pandemie-bedingt wie so vieles ausfällt). Zu einem virilen Timbre gesellt sich ein strahlend fokussierter Ton, eine enorme Musikalität und eine stimmliche Beweglichkeit der Sonderklasse. Ganz große Klasse und Show halt. Damit wäre er der dritte US-Amerikaner, der derzeit neben Michael Spyres und Lawrence Brownlee bei Rossini die Opernwelt in Bann und außer Atem hält. 

 

Noch bevor Matilde die Bühne betritt, stellt sich die russische Kontraaltistin Victoria Yarovaya in der Hosenrolle des Edoardo Lopez mit der anspruchsvollen Cavatine „“D‘un tenero padre pensando al dolore“ vor. Mit üppiger Stimme und sonorer Tiefe würzt sie  diese Tancredi-ähnliche Partie mit gehörig Pfeffer. Dass sie mit mancher Höhe nicht so ganz auf „Du und Du“ steht und einige kleine Noten im Ungefähren hängen, tut den theaterwirksamen Auftritten kaum Abbruch. 

 

Matilde tritt ihr Liebesprojekt mit augenzwinkernder Sicherheit an. Da hat die kluge Dame wohl sofort erkannt, dass der zu erobernde Wüterich wohl eher eine bestimmtere Gangart braucht und kein Hascherl. Die junge spanische lyrische Sopranistin Sara Blanch wirft sich mit mit ihrem herrlich frischen Sopran mit Verve und belkantesker Leuchtkraft in die Stimm-Schlacht. Die leichtgängige, in der Höhe ganz freie Stimme harmoniert perfekt mit dem Tenor von Michele Angelini. 

 

Dem feindlichen Burgnachbar Raimond Lopez leiht der chinesische Bass Shi Zong behäbig grimmigen Gegenwind zum tenoralen Exzess. Der Leibarzt Aliprando und der Dichter Isidoro als freche Buffo-Baritonrollen werden von ihren Interpreten Emmanuel Franco und  Giulio Mastrototaro genüsslich ausgekostet. In kleineren Rollen sind Lamia Beuque als Contessa d’Arco (die ihrerseits ein Heirats-Auge auf den Ritter geworfen hat), Ricardo Seguel als Turmwächter Ginardo und Julian Henao Gonzales als Egoldo/Rodrigo zu hören. 

 

Fazit: Brillante Ensembleleistung. Die beste Rossini Operngesamtaufnahme des Jahres!

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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