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CD „ROMA TRAVESTITA“ – BRUNO DE SÁ singt Arien von A. Scarlatti, Vinci, Vivaldi, di Capua, Arena, Galuppi, Cocchi, Conforto, Fajer und Piccinni; Erato

06.09.2022 | cd

CD „ROMA TRAVESTITA“ – BRUNO DE SÁ singt Arien von A. Scarlatti, Vinci, Vivaldi, di Capua, Arena, Galuppi, Cocchi, Conforto, Fajer und Piccinni; Erato

Strahlende Leuchtrakete im Sopranistenfach!

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Veröffentlichung: 19.9.2022

In der Ornithologie sind Sopranisten gar lustige Vögelchen aus der Familie der Sperlinge, die in tropischen Bergwäldern mit dichtem Unterbewuchs bei den Vulkanen der Kamerunlinie in Nigeria und Kamerun, in den Wäldern entlang des Albert-Grabens in Ostafrika, am Mount Elgon im westlichen Kenia oder anderswo in Afrika mit ihrem Gezwitscher Mensch und Natur erfreuen.

In der Welt der Oper versteht man unter einem Sopranisten ganz simpel einen Mann, der – ohne zu falsettieren – in der Sopranlage singen kann. Samuel Mariño aus Venezuela oder Dennis Orellana aus Honduras haben in jüngerer Zeit mit erstaunlich qualitätsvollen Auftritten im Barockfach bzw. auf CDs klargemacht, dass es an der Zeit wäre, ein neues Kapitel in der Rezeption und Interpretation von Alter Musik aufzuschlagen.

Ab Mitte des 16. Jahrhunderts führte der verhängnisvolle Bibelsatz „Mulieres in ecclesias taceant“ (1, Korinther 14, 34) dazu, dass Frauen als Mitwirkende von in Kirchen zelebrierter sakraler Musik ausgeschlossen waren. Das war Papst Sixtus V. nicht weitreichend genug. Er verbot Frauen ab 1588 generell, in der Öffentlichkeit auf der Bühne zu singen. Das heißt, alle Opern, Oratorien und Theater in Rom mussten ohne Frauen auskommen. Während in England mit diesem Unsinn 1661 wieder Schluss war, entwickelte sich in Rom in zwei Jahrhunderten eine spezielle Theaterform, wo alle Frauenrollen fortan von Kastraten gesungen wurden. Opern in Rom waren damals also rein männlich besetzt.

Einige der u.a. auf Frauenrollen spezialisierten Sänger erlangten unglaublichen Starruhm, wie Carestini, Farinelli oder Giovanni Belardi. Noch im berühmten Farinelli-Film von Gérard Corbiau aus dem Jahr 1994 wurde auf einen Trick zurückgegriffen, um das Stimmfach des Kastraten einigermaßen glaubhaft vermitteln zu können. Die Stimmen des amerikanischen Countertenors Derek Lee Ragin und der polnischen Koloratursopranistin Ewa Małas-Godlewska wurden elektronisch so zusammengeschnitten, dass für den Zuhörer der Eindruck einer bruchlosen, drei Oktaven umfassenden Sopranstimme erweckt wurde.

Das wäre heute nicht mehr nötig. Orellana oder de Sá sind heute derart halsbrecherisch virtuos und koloraturfix unterwegs, wie es einst Dame Joan Sutherland oder Beverly Sills waren.

Die erste Solo-CD des Brasilianers Bruno de Sá markiert einen absoluten Höhepunkt im glitzernden Universum der Barockoper. Die Faszination über die Geschmeidigkeit, die Geläufigkeit, die Akrobatik, den Umfang und die Ausdrucksmöglichkeiten der menschlichen Stimme ist mit de Sá um eine Facette reicher geworden. Unglaublich aber wahr, de Sá klingt wie ein lyrischer Koloratursopran. Die Probe aufs Exempel beim Hören zu Hause fiel eindeutig aus: Da singt eine Frau, meinte mein Partner.

Was Bruno de Sá trotz seiner beiden oben erwähnten exzellenten Kollegen an die Spitze seines Fachs stellt, ist die Selbstverständlichkeit der Tongebung, die bruchlose Überwindung aller Register, die seelenvollen Legatobögen, die feuerwerksgleiche Umsetzung noch in den vertracktesten Verzierungen und stratosphärischsten Koloraturen, ohne je merklich an Grenzen zu stoßen. De Sá: „Die Stimme selbst war das Objekt der Faszination und Begierde sowohl für das Publikum als auch für die damaligen Komponisten, die sich Werken für virtuose Sänger widmeten, die ihrerseits unzählige Frauenfiguren zum Leben erweckten.“

Um dem Publikum diese vokalen Blitzgewitter der römischen Operntravestien näher zu bringen, sind auf dem Album nach einem Konzept von Max Emanuel Cencic Opernausschnitte aus einem Zeitraum von 40 Jahren (1721-1760) zu hören, darunter acht Weltersteinspielungen. Paradenummern der Divos aus den Opern „Farnace“ von Leonardo Vinci, „Vologeso, Re de Parti“ von Rinaldo di Capua, „Achille in Sciro“ von Giuseppe Arena, „“Evergete“ von Baldassare Galuppi, „Adelaide“ von Gioacchino Cocchi, „Livia Claudio Vestale“ von Nicola Conforte und „Pompeo Magno in Armenia“ von Francisco Javier Garcia Fajer geben bei ihrer Tonträgerpremiere einen Eindruck davon, wie und in welcher Ausdrucksbreite römische Oper im 18.Jahrhundert funktioniert hat.

Aber auch die eine oder andere Oper, von der bereits Einspielungen vorliegen, kommt erneut zu Plattenehren. Die beiden Arien der Griselda aus Alessandro Scarlattis „Griselda“ oder die stilistisch so unterschiedlichen Arien der Leocasta und Arianna aus Antonio Vivaldis „Giustino“ mögen hier als prominente Beispiele dienen.

Nachdem Joan Sutherland in den 60-er Jahren die Arie ‚Furie di donna irata‘ der Lucinda aus der Opera buffa „La buona figliuola, o La Ceechina“ von Niccolò Piccinni aufgenommen hat, ist es Bruno de Sá, der sich auf dem Album mit dieser vokalen Zirkusnummer (diesmal aber komplett) mit aufsteigenden Stakkato Tönen in der höchsten Lage verabschiedet und sich zugleich aufs schönste empfiehlt. Lassen Sie sich verzaubern!

Im September 2021 debütierte de Sá beim Bayreuth Baroque Opera Festival unter George Petrou als Berardo in Porporas „Carlo il Calvo“. In dieser Rolle war de Sá auch im Theater an der Wien und im Concertgebouw in Amsterdam zu erleben.

Auch dieses Jahr wird Bruno de Sá wieder Gast beim Barockopernfestival in Bayreuth sein und am 16.September ein Konzert unter dem Motto der neu erschienenen CD „Roma Travestito“ wieder mit dem Orchester Il Pomo d’Oro unter der musikalischen Leitung von Francesco Corti geben. Der Bayerische Rundfunk überträgt dieses Konzert am 27.9.2022 um 20.05 Uhr.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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