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CD: ROBERT RADECKE: SYMPHONY OP. 50 – Sinfonie Orchester Biel Solothurn, Kaspar Zehnder

05.12.2020 | cd

CD: ROBERT RADECKE: SYMPHONY OP. 50 – Sinfonie Orchester Biel Solothurn, Kaspar Zehnder

 

Radde

Über 2000 Dirigate an der Lindenoper

Auch über 2000 Dirigate an der Lindenoper und ein von den Berliner Philharmonikern ausgerichtetes Gedenkkonzert bewahren nicht vor dem Vergessen.

Als 2011 der Pfarrer der deutschen Kirche in Murten Kaspar Zehnder, künstlerischer Leiter des Festivals „Murten Classics“, ansprach, war Robert Radeckes Musik seit gut 100 Jahren nicht mehr erklungen. Christoph Radecke, der Pfarrer der deutschen Kirche in Murten und Urenkel von Robert Radecke und dem Schweizer Komponisten Johann Carl Eschmann, wies Zehnder darauf hin, dass er neben Noten auch Briefe von Robert und Clara Schumann an Radecke im Nachlass seines Urgrossvaters verwalte. So war das Interesse Zehnders geweckt. Im Juni 2015 konnte die teilweise durch Crowdfunding finanzierte Aufnahme im Calvinhaus in Biel beginnen. 2016 veröffentlichte das auf unbekannte klassische Musik spezialisierte Label cpo die Aufnahme.

Radecke wurde am 31. Oktober 1830 im schlesischen Dittmannsdorf in eine aussergewöhnlich musikalische Familie hineingeboren: sein Vater war Organist und Kantor der Gemeinde und Robert zeigte schon im Jugendalter eine beeindruckende musikalische Leistungsfähigkeit. Nach dem Gymnasium in Breslau studierte Radecke von 1848 bis 1850 am Konservatorium in Leipzig. Seine Abschlussprüfung bestritt er als Violinist mit Mendelssohns Violinkonzert, als Pianist mit Schumanns Klavierkonzert und als Dirigent mit der eigenen ersten Sinfonie in A-Dur. In den folgenden Jahren besuchte Radecke, er war Geiger im Gewandhausorchester, zweiter Direktor der Sing-Akademie und Chor- und Musikdirektor am Stadttheater, die Familie Schumann in Düsseldorf, Franz Liszt in Weimar und Richard Wagner in Zürich.

Nachdem Radecke 1853 sein Militär-Jahr beim Kaiser-Alexander-Regiment in Berlin absolviert hatte, liess er sich in Preussens Hauptstadt nieder und wurde rasch zu einer prägenden musikalischen Persönlichkeit. Neben Auftritten als Klavier-Virtuose organisierte er von 1858 bis 1863 grosse Chor- und Orchesterkonzerte und übernahm die Leitung der Soireen der königlichen Kapelle. Ab 1863 war Radecke Musikdirektor der königlichen Oper, ab 1871 königlich-kaiserlich Hofkapellmeister auf Lebenszeit und dirigierte so über 2000 Abende an der Lindenoper. 1875 wurde Radecke in die Königliche Akademie der Künste berufen, leitete ab 1883 als künstlerischer Direktor das Stern’sche Konservatorium und war ab 1892 Direktor des Königlichen Instituts für Kirchenmusik. 1907, nach einem halben Jahrhundert erfolgreichen Einsatz für das Berliner Musikleben trat er von seinen Ämtern zurück. Zu seinem persönlichen Bekanntenkreis zählten Robert und Clara Schumann, Liszt, Wagner, Brahms, Richard Strauss und zu seinem Freundeskreis gehörten Woldemar Bargiel, Joseph Joachim, Heinrich von Herzogenberg und Max Bruch. Am 21. Juni 1911 starb Robert Radecke in Wernigerode im Harz.

Die zahlreichen Ämter und, nachdem 1880 seine Frau bei der Geburt des achten Kindes gestorben war, die Sorge um die Familie brachten es mit sich, dass Radecke nur selten zum Komponieren kam. Sein Gesamtwerk von gut 200 Positionen beinhaltet nur 14 Werke für Orchester. Die Ouvertüre zu Shakespeare’s „König Johann“ Op. 25 von 1860 stammt aus jenen Jahren, in den Radecke Konzerte auf eigene Rechnung organisierte und entsprechend die Möglichkeit hatte, auch eigene Werke aufzuführen. Die Entstehung der Sinfonie in F-Dur Op. 50 (1877) erstreckt sich über gut 25 Jahre. Die ersten Skizzen entstanden bereits 1851 bei einer Sommerreise durch Süddeutschland und die Schweiz. Mindestens teilweise an den Ufern des Zürichsees entstanden, gibt Radecke hier einen Überblick über sein handwerkliches Können und erweist sich absolut auf der Höhe seiner Zeit. Die zwei Scherzi für Orchester Op. 52 greifen auf ältere Werke zurück und gehören zu den letzten publizierten Orchester-Werken Radeckes. Über die Entstehung des Nachtstücks für grosses Orchester Op. 55 ist wenig bekannt: es ist das letzte Werk, das Radecke mit einer Opus-Zahl versah.

Radeckes Orchestermusik erinnert immer wieder an Schumann, Brahms und Mendelssohn und Andere. Immer wieder dringt der Operndirektor durch, der grossen Wert auf Sanglichkeit und Melodie legt. Seine Musik ist packend, erzählend, kraftvoll und emotional.

Dem Sinfonie Orchester Biel Solothurn unter seinem Chef-Dirigenten Kaspar Zehnder, das sich, so im Trailer der Produktion nachzuvollziehen, hervorragend mit der unbekannten und ungewohnten Musik angefreundet hat, ist ein grosser Wurf gelungen.

Die Aufnahme reisst mit und lässt den Zuhörer begeisternde Werke eines zu Unrecht Vergessenen entdecken!

 

04.12.2020, Jan Krobot/Zürich

 

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