CD „RIVALES“ – VÉRONIQUE GENS und SANDRINE PIAU singen Arien und Duette von Monsigny, Edelmann, J.C. Bach; Gluck, de Persuis, Grétry, Cherubini, Sacchini und Dalayrac; alpha
Brillante Primadonnenrangeleien – die französischen Diven Véronique Gens und Sandrine Piau auf den Spuren von Madame Saint Huberty und Madame Dugazon
Veröffentlichung: 8.4.2022
„Auf der Bühne bilden die beiden Sängerinnen einen vollendeten Gegensatz: Dugazons Kunst ist von Zärtlichkeit, Feingefühl und Naivität geprägt, die der Saint-Huberty gefällt sich in Pathos und majestätischem Gebaren. Die Dugazon ist impressionistisch, subtil; die Saint-Huberty expressionistisch, schwülstig. Die eine spielt die Tochter des Hauses, die Soubrette oder die Schäferin, die andere die Königin, Zauberin oder die antike Heroin.“ Dratwicki
Duo Recitals für Sopranistinnen sind rar: Im besonderen Fall von „Rivales“ muss schon auf das 1980 erschienene DECCA-Album von Renata Scotto und Mirella Freni zurückgegangen werden, um eine genauso aufregende und dramatisch explosive CD zu hören, wie diejenige, die die beiden wohl zugkräftigsten und charismatischsten französischen Sopranstars der Gegenwart mit „Rivales“ vorgelegt haben.
Die Comédie -italienne und die Académie royale de musique in Paris zählten wohl zu den allerersten Opernadressen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Beide Institute verfügten über Primadonnen, die durch Stimmpracht und exquisite schauspielerische Leistungen glänzten. Librettisten und Komponisten wetteiferten darum, den beiden passende Rollen auf ihren Leib zu schneidern. Das hatte eine beachtliche musikgeschichtliche Bedeutung, weil diese bejubelten Künstlerinnen, weit davon entfernt, jahrzehntelang über technisch vollkommene Stimmen zu verfügen, das Repertoire und die großen Rollen der Zeit nachhaltig geprägt haben.
Madame Saint-Huberty, eine gebürtige Strassburgerin, fällt nach ihrem Engagement an die Académie royale de musique 1777 alsbald Gluck auf, der für manche Heroine in seinen Opern Maß an den Talenten der Saint-Huberty nimmt. 1782 triumphiert sie in Jean-Frédéric Edelmanns „Ariane dans l’île de Naxos“, später entzückt sie Melomanen mit ihrer magischen Stimme und Ausdruckskunst einer großen Tragödin, die auch in komischen Rollen reüssierte, in Opern wie Piccinis „Didon“, Sacchinis „Chimène“, Salieris „Les Danaïdes“ oder Lemoynes „Phèdre“ und legte die Latte in Glucks „Iphigénie en Tauride“ oder „Alcestre“ hoch. Vom Stimmtypus her soll sie aus heutiger Sicht ein hoher dramatischer Mezzo gewesen sein. In Rollen mit zu hoher Tessitura soll sie sich geplagt haben, aber ihr „natürliches Charisma, ihr feuriges Temperament und die Intelligenz ihres Spiels machten sie zu einer brennenden Fackel“ (Benoît Dratwicki). Anfossi, Paisiello und Johann Christian Bach gehörten zu ihren bevorzugten Komponisten.
Madame Dugazon wurde 1755 in Berlin als Tochter eines Tänzers und Ballettmeisters geboren. An der Comédie-italienne reüssierte sie zwanzig Jahre lang als jugendliche Liebhaberin. Grétry, Monsigny und Dalayrac sind die Komponisten, in deren Opern sie das Publikum begeistert. Und das auch in Opern, deren „Partitur die Stimme nirgendwo zur Geltung bringt – alles verdankt sie ihrem rührenden und subtilen Spiel.“ Später in der Karriere schlüpft sie bevorzugt in Mutterrollen, wie etwa derjenigen der Pauline in Persuis‘ „Fanny Morna“. Im Gegensatz zu Madame de Saint-Huberty dürfte Madame Dugazon ein leichter lyrischer, aber wenig virtuoser Sopran gewesen sein. Das eher kleine Stimmkaliber machte sei durch ihre Ausstrahlung auf der Bühne wett.
Julien Chauvin, der vielleicht aktuell beste französische Dirigent Alter Musik und sein Ensemble Le Concert de la Loge, haben in den Partituren von Grétry, Monsigny, Gluck, J.C. Bach, de Persuis, Dalayrac, Sacchini, Edelmann und Cherubini gewühlt und sind fündig geworden. Unter den elf Nummern der CD finden sich laut Booklet acht Weltersteinspielungen. Nur von Glucks „Le Clemenza die Tito“ und „Alceste“ sowie Sacchinis „Renaud“ (letztere in der Edition Singulares, Stiftung Bru Zane erschienen) gäbe es bereits Aufnahmen. Das ist nicht richtig: Das Label cpo hat 2002 bereits die Oper „“La Clemenza di Scipione“ von Johann Christian Bach herausgebracht (Duett auf der CD „Rivales“ Track 3)
Und natürlich ist die Kombination der beiden am Höhepunkt ihrer Möglichkeiten stehenden Gesangskünstlerinnen Veronique Gens und Sandrine Piau ein Glücksfall. Die Stimmen sind zwar von Farbenpalette, Timbre und dramatischer Kraft wahrscheinlich weitaus ähnlicher als es die der Saint-Huberty und die Dugazon gewesen sein müssen. Aber was die beiden französischen Primadonnen in all den dramatischen und melancholischen Szenen um verlassene, unglückliche Frauenfiguren nahe dem Tode, flehentlich höhere Mächte beschwörend oder heftig dagegen aufbegehrend, an stimmlicher Kraft, Schönheit und Ausdruck entwickeln, ist schlichtweg sensationell. Genau so überraschend gut und in ihrer naturbeschwörenden Hochdramatik einprägsam ist die hier erstmals zu hörende Musik von Monsigny, Edelmann, de Persuis & Co.
Das Album beginnt mit einer heftiges Gewitter, den Aufruhr der Elemente samt furchterregenden Blitzen dramatisch lautmalenden Orchestereinleitung. Pierre-Alexandre Monsigny Arie „Où suis-je“ aus der Oper “La Belle Arsène“ kann es mit den besten Koloraturfurienvehikel ihrer Art (Mozarts Elettra etc.) aufnehmen. Die arme Arsène eilt einsam durch die nächtlich dunkle Nacht, von Blitzen verfolgt. Aline hat sie verlassen, orientierungslos in der wilden Natur sieht sie Monster und schreit um Hilfe.
Nicht weniger eindrucksvoll ist Jean-Frédéric Edelmanns Sene „Mais, Thésée est absent“ aus der Oper „Ariane dans l’Île désert“, deren berauschende Expressivität auch für eine Maria Callas ein dankbares Vehikel abgegeben hätte. Die von Theseus verlassene Ariadne sieht sich plötzlich schutzlos der unwirtlichen felsigen Natur auf der Insel Naxos ausgesetzt. Sie will den Treulosen zurückhaben, er möge ihr doch die Angst nehmen. Erst als sie versteht, dass der Abschied endgültig ist, dreht sich ihr Flehen in furiose Wut. Der Schuft soll doch in der Hölle braten, die hitzigen Schlangen mögen sein perfides Herz verschlingen.
Als drittes sei das Duett „Me infelice! Che intendo?“aus der Oper „La Clemenza di Scipione“ von Johann Christian Bach erwähnt. Wenn sich Arsinda und Luceio zu Ende des Duetts zu einem koloraturglitzernden Miteinander aufschwingen, wähnt sich der Hörer in einer Vorversion von Bellinis „Norma“. Der musikalischen Kostbarkeiten ist damit aber kein Ende: Der große Auftritt des Sesto „Se mai senti“ aus Christoph Willibald Glucks „La Clemenza die Tito“, einer über 10-minütige da capo Arie, ist ein empfindsames Kammerstück, wie für Sandrine Piau erfunden. Und wenn Véronique Gens mit der großen Arie der Alceste „Divinités du Stix“ aus Glucks gleichnamiger Oper im dunkel umflorten Tragödienton die Götter der Unterwelt adressiert, so ist das ganz große Oper und Musikglück pur. Aus Louis-Luc Loiseau de Persuis‘ Oper „Fanny Morna“ hören wir die Arie „Ô divinité tutélaire“. Sie startet mit einem bewegten Melodram. Die Geschichte ist herzzerreißend und der menschliche Betrug gigantisch: Paulines Gatte Edmond liegt in Ketten, weit weg. Der üble Patron hat vor vielen Jahren die ältere Fanny geheiratet. Der jüngere Edmond verlässt sie, als er ihrer überdrüssig wird. Vier Jahre später heiratet er Pauline. Als die einsam lebende Fanny davon erfährt, wendet sie sich an einen Minister, der zufällig Edmonds Vater ist. Der wiederum weiß, was zu tun ist. Recht geht hier einmal vor Familie. In der Arie fleht Pauline die Götter an, trotz allem das Band der Liebe nicht aufzulösen.
Weitere aufwühlend schöne Musik ist mit der Arie der Rosette „Dès notre enfance unis tous deux“ aus André-Ernest-Modeste Grétrys Oper „L’Embarras des Richesses“, in den Duetten „Un moment à l’autel“ aus Luigi Cherubinis „Démophon“ sowie „Ciel protecteur des malheureux“ aus Nicolas Dalayracs „Camille ou le souterrain“, „Barbare amour, tyran des coeurs“ aus Antonio Sacchinis „Renaud“ und „Cher objet de ma pensée“ aus Grétrys „Aucassin et Nicolette“ zu entdecken.
Das i-Tüpfelchen dieses exzeptionellen Albums ist – ich kann es nicht oft genug betonen – das naturgewaltige und sogar in den elegischen Momenten spannungsvolle Dirigat des Julien Chauvin, der diese französischen Opernjuwelen diamantenklar zum Funkeln bringt, ohne alle raffinierten Details der kunstvollen Instrumentierung aus den Augen zu verlieren. Stupend!
Dr. Ingobert Waltenberger