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CD RICHARD WAGNER PARSIFAL – Live-Mitschnitt von den Bayreuther Festspielen 2023; Deutsche Grammophon

27.06.2024 | cd

 

CD RICHARD WAGNER PARSIFAL – Live-Mitschnitt von den Bayreuther Festspielen 2023; Deutsche Grammophon

Der „Parsifal“ unserer Zeit?

pars

Es war wohl eines des spektakulärsten Wagner-Rollendebüts der letzten Jahre, dazu noch als Einspringerin für Ekaterina Semenchuk: Elīna Garančas Kundry ist die Sensation der vorliegenden Aufnahme. Wer sich für die Inszenierung von Jay Scheib interessiert, kann das in einer filmischen Version als Blu-ray prüfen. Ich jedenfalls ziehe eine bloße Audio-Version ohne optische Ablenkung von der Musik vor. Es gilt hier nur der Musik und die ist wegen des Dirigats des Bayreuth Debütanten Pablo Heras-Casado tatsächlich anders. Transparenter, sehniger, aber auch nüchterner, im Klang ungleich diätetischer als wir das etwa von den Bayreuther Parsifal-Aufnahmen aus den 50-er Jahren und frühen 60-er Jahren kennen.

Die Flotteren gab es zuweilen immer wieder, wie etwa Clemens Kraus (1953) oder Pierre Boulez (1966-68, 1970, 2004/05). Letzterer schaffte es 1970 in knapp drei Stunden vierzig Minuten, was immer wieder als Argument dafür diente, dass Wagner das so wollte. Angeblich hatte der Komponist verschleppte Tempi bei Uraufführungsdirigent Hermann Levi moniert, der vier Stunden 6 Minuten brauchte. Mit knapp 4 Stunden Aufführungsdauer (242,42 Minuten) ist Heras Casado zeitlich ähnlich unterwegs wie Levi und keinesfalls der schnellste unter den Bayreuther Pultstars. Auch Philipp Jordan war vor nicht allzu langer Zeit in Wien mit teils identer Besetzung (Garanca, Zeppenfeld) acht Minuten eher „am Ziel.“ Wie wir wissen, kommt es aber nicht alleine auf das Tempo an, sondern u.a. auf die Gabe, Bögen zu spannen, Phrasen zu gestalten, den inneren Fluss der Musik als Gesamtes zu imaginieren. Knappertsbusch kann man mögen oder nicht, aber an Binnenspannung hat es seinen Parsifal-Interpretationen nie gefehlt.

Pablo Heras Casado geht es insgesamt lyrischer, verhaltener oder – wenn man so will – schlanker an als andere Interpreten. Das führt im ersten und dritten Akt, wo er auch dem Chor vergleichsweise mehr Piani abverlangt, zu Ruhe und Kontemplation. Die aus der Welt der Originalklangs (Hören sie sich seine zahlreichen Aufnahmen mit dem auf eine historisch-informierte Aufführungspraxis spezialisierten Freiburger Barockorchester bei Harmonia Mundi an) kommende Aufdröselung des Klangs führt meiner Auffassung nach zu einer „Versachlichung“ der Musik. Das führt im ersten Akt zu einer gewissen Glätte und geht im Dritten bisweilen zu Lasten der Spannung. Für Mystik, geschweige denn große Emotionen bleibt da kaum Raum. Im dramatischeren zweiten Akt funktioniert diese architektonisch klare Herangehensweise besser, da ist Heras-Casado auch vom Tempo her (63 Minuten) ziemlich fordernd. Positiv ist, dass sich dem Hörer mit dieser sehr eigenständigen, individuell klar erkennbaren Lesart neue Perspektiven auf das Werk auftun. Wie das im Einzelnen gefällt oder nicht, ist eine andere Sache, hängt zudem sicher auch von den sängerischen Leistungen ab. Immerhin sind wir in der Welt der Oper.

Rein sängerisch ist Elīna Garanča als Kundry ganz herausragend. Die Klippen der Partitur im mörderisch schweren Schluss des zweiten Aktes bewältigt sie mühelos, ohne es an Ausdruck und markanter Rollencharakterisierung mangeln zu lassen. Ihre Kundry ist vokal schlicht und einfach makellos und umwerfend gut gesungen. Mir gefällt auch der „kühl“ schimmernde Ton des nach oben hin scheint es unlimitierten Luxusmezzos. Die Figur wirkt dadurch, nicht, wie etwa bei der in dieser Rolle unüberbietbar glutvollen Martha Mödl, im Erdig-Geheimnisvollen/Mystisch-Urmütterlichen angesiedelt, sondern in einer Art von spacigem Science-Fiction Universum. Aufregend wäre es sicherlich, diese Sängerin als Isolde zu hören….

Andreas Schager als Parsifal ist – wie nicht anders zu erwarten – in den Höhen topfit und von unerhört dramatischer Wucht. Allerdings neigt die Stimme im tiefen Register zu einem erheblichen Vibrato und zu Kurzatmigkeit, was einige Phrasen durch Atemholen zerschneidet. Schager, der im schwersten Fach (je nach stimmlichen Vorlieben) aktuell wahrscheinlich der beeindruckendste aller Wagner-Heldentenöre ist, fehlt es für den tumben Toren bzw. edlen Ritter dann doch an lyrischem Samt und Farben in der Mittellage. Ich ziehe in dieser Rolle jedenfalls Jonas Kaufmann vor.

Georg Zeppenfeld ist ein Gurnemanz „light“. Sein stets auf Wohlklang bedachter Bass bewältigt die lange Rolle einem Liedsänger gleich mit ungeheurer Eleganz, exquisiter Stimmschönheit, vorbildlicher Artikulation und unverschämter Leichtigkeit. Im Vergleich zu so manch historischem Vorgänger und Kollegen ist der hell timbrierte Zeppenfeld allerdings ein stimmliches Leichtgewicht.

Das betrifft auch den Amfortas des Derek Welton, der im ersten Teil seines Monologs im dritten Akt mit feinsten Lyrismen punktet. Am Ende wirkt er mit den hochdramatischen Extremen „Heraus die Waffe! Taucht eure Schwerter, tief, tief, bis ans Heft! Auf! Ihr Helden!“ in Tessitura und nötigem Volumen völlig überfordert. Wenn ich da an den Amfortas etwa eines Bernd Weikl oder eines Simon Estes denke (oder George London), das waren andere Kaliber.

Als abgründig dekadent und machtgeil überzeugt Jordan Shanahan als Klingsor, Tobias Kehrer verkörpert Titurel in rabenschwarzer Verklärtheit.

Fazit: Eine interessante Alternative zum Wiener Parsifal unter Philipp Jordan. Rein tontechnisch ist die Aufnahme – wie aus Bayreuth gewohnt – Spitzenklasse. Die nüchtern-sehnige Klangauffassung entspricht sicher einer heutigen, dem strapazierten Wort „entschlackt“ entsprechenden Ästhetik. Ob diese Sichtweise emotional ankommt und dem Gehalt des Stücks adäquat ins Innerste trifft, kann nur jede und jeder für sich entscheiden. Ich persönlich habe da meine Vorbehalte.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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