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CD RICHARD WAGNER: DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG – Sächsische Staatskapelle Dresden, Christian Thielemann; live Mitschnitt von den Osterfestspielen Salzburg; Profil Hänssler

01.08.2020 | cd

CD RICHARD WAGNER: DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG – Sächsische Staatskapelle Dresden, Christian Thielemann; live Mitschnitt von den Osterfestspielen Salzburg; Profil Hänssler

Veröffentlichung: September 2020 (nur bei jpc schon ab Juli erhältlich)

Christian Thielemann gilt in Sachen Wagner als eine Koryphäe und das bestätigt sich auch mit dem vorliegenden österlichen Mitschnitt aus Salzburg wieder. „Die Meistersinger“ hat Thielemann schon einmal mitfilmen lassen, das war an der Wiener Staatsoper 2008. Es sangen Falk Struckmann, Ain Anger, Adrian Eröd, Johan Botha, Michael Schade, Ricarda Merbeth, es spielte das Orchester der Wiener Staatsoper. Die DVD ist damals beim Label Medici erschienen.

Nun liegt der Audio-Mitschnitt der „Meistersinger“ von den Salzburger Osterfestspielen 2019 vor. Diesmal spielt allerdings die Staatskapelle Dresden und sie haben die Nase vor den Wienern. Die Wagner-Tradition des Orchesters ist eine lange und musikhistorisch spannende Geschichte, wie dies im sehr informativen Aufsatz im Booklet „Wohltemperierter Wohlklang; Wagners Meistersinger auf Schellack, Magnetband, Vinyl und digital“ von Steffen Lieberwirth und Jens Uwe Völmecke nachzulesen ist. So wirkte das Orchester an der ersten Gesamteinspielung der Oper für Rundfunk unter der wissenden Hand des Rudolf Kempe 1951 mit. Die für mich nach wie vor unerreichte Studioproduktion stammt ebenfalls aus Dresden. 1970 schlüpfte Herbert von Karajan hinter den Eisernen Vorhang, um mit den Kräften der Sächsischen Staatskapelle, des Dresdner Opernchors und des Leipziger Rundfunkchors eine exemplarische Einspielung – es sangen Kollo, Donath, Adam, Evans, Schreier, Hesse und Ridderbusch –  in der Lukaskirche zu realisieren.

Meistersinger, Sächsische Staatskapelle, Karajan, Osterfestspiele, Thielemann. Der Kreis schließt sich auch insofern, als Thielemann wohl eine weitere (orchestrale) Referenzinterpretation neben Karajan, Kubelik und Sawallisch geglückt ist. Natürlich setzt Thielemann die Schwerpunkte 50 Jahre nach Karajan anders. Thielemann geht, was die durch Wagners ausgetüftelte Instrumentierung immer wieder aufblitzende drastische Komik und die anderen Schichten des Stücks angeht, differenzierender in die Tiefe und es gelingt ihm doch ein gesamtheitlicher Bogen. Seine Schwerpunkt-Eigeneinschätzung im Vorwort „Plädoyer für mehr Toleranz“ über das musikalische Gelingen liegt bei den Begriffen ,Poesie‘ und ,Atmosphäre‘. Wenn Thielemann imaginäre Fragen an sich richtet, wie das gehen soll, so kann die Antwort getrost lauten: Ja, er schafft es, diese Musik in ihren Überzeichnungen und Parodien assoziativ glitzern zu lassen und ihr gleichzeitig Autorität zu verleihen. Ja, er schafft es, durch schlanken Ton, eine hohe Transparenz der Stimmen und eine ausgeklügelte Tempodramaturgie herzustellen, das Pathos nicht nach falschem Pathos, sondern nach Emphase, Volks- und Seelenton klingen zu lassen. Stimmungen, Farben, „Gerüche“ dieses bürgerlich gesitteten Kosmos, alle gekonnt zum ultimativen Cocktail geschüttelten, mit vorher gut abgewogenen Teile dieser großen Weltkomödie, die auch Melancholie und kontemplatives Innehalten enthält, ja sogar eine polyphon begleitete Straßenprügelei miteinschließt. Karajan ist in Sachen Opulenz des Klangs, Magie der Stimmungen, Drive und dynamische Kontraste unüberbietbar, Thielemann ist es mit seinem die Ironie und Komödie plastisch heraus filternden Timing, den feinst austarierten rhythmischen Schattierungen und der Detailarbeit in den Instrumentengruppen. Thielemann bekommt die creme de caramel au beurre salé-krokante Abmischung aus „Opera buffa, deutscher Spieloper, Reminiszenzen an die Grand Opéra und angewandtem Bach“ ungemein köstlich hin. Dabei treibt er dem Stück allen Biedersinn aus und hebt es auf eine supranationale Ebene. Die Meistersinger erklingen hier nicht als deutsche Nationaloper, sondern sind ein universelles Bekenntnis zu artistischer Toleranz und akzeptierter individueller Entfaltung in jeglichem gesellschaftlichen Gesamtrahmen. Christian Thielemann notiert dazu in seinem Buch „Mein Leben mit Wagner„: Das Ende der Oper ist hoch interessant und wird leider oft missverstanden. Alle Anwesenden schließen sich laut Wagner dem Gesang des Volkes an. Ich höre das keineswegs als verordnete Einhelligkeit, als ‚Stahlbad in C-Dur‘, sondern als kollektives Bekenntnis. Stolzing hat ein Lied gesungen, das dem bisherigen Regelwerk widerspricht. Trotzdem sind alle mit ihm als Sieger einverstanden. Sie wissen, dass man nur miteinander etwas erreicht, nicht gegeneinander.“

Zu diesem Behuf steht ihm eine für heutige Verhältnisse sehr gute Besetzung zur Verfügung. Wie schon in Wien 2008 in Wien ist Adrian Eröd der Beckmesser. Fesch und „seriös“ gibt er genau keinen Kasperl ab, sondern entwirft einen extremen künstlerischen, wenngleich auch menschlich patscherten Gegenentwurf zu Stolzing. Mit spitzer Nase, geradlinig und steif. Eröd wird mit dieser seiner Parade-Rolle wohl in die Operngeschichte eingehen. Stimmlich ist er wie Prey äußerst wohlklingend eher lyrischer denn Charakterbariton. 

Klaus Florian Vogt, Parsifal, Lohengrin und Stolzing vom Dienst, ist jeder Zoll kein Heldentenor und wird daher immer Diskussionsstoff über die Angemessenheit der stimmlichen Mittel mit der Rolle bleiben. Dafür bleibt dieser Minnesänger stets am Wort wie sonst nur Liedinterpreten das können. Vogt steht die lange, von der Tessitura her so harte Partie völlig schwere- und mühelos durch. Erstaunlicherweise klingt er nach all den hunderten und aberhunderten an Wagner-Aufführungen, die er schon absolviert hat, noch immer unglaublich jugendlich frisch. Da hat einer zumindest gesangstechnisch alles richtiggemacht. Sein Legato ist vorzüglich, als Figur ist er glaubhaft, wenngleich ihm Expansionsfähigkeit und ungestümer Jubelton beim Preisleid abgehen. Der Stolzing klingt in seinem vibratoarmen, weitgehend testosteronfreien Gesang mehr nach mittelalterlicher Verehrer denn neunzehnter Jahrhundert Held mit romantischem Ungestüm und Emphase. Er passt aber auch in seiner nur ihm möglichen spezifischen Ausprägung sehr gut zum Stück.

Georg Zeppenfeld singt einen (historisch) vergleichsweise hell timbrierten Hans Sachs. Sein Rollendebüt (2013 war er in Salzburg von der Veit Pogner) darf als eine große Nummer gelten. Sachs ist in dieser vokalen Adaption kein väterlich sonor klingender schusterlicher Märchenonkel mit Überreife-Komplex, sondern ein moderner Typ in einer frühen Midlife- Krise mit allen inneren dazu gehörenden Konflikten und Selbstzweifeln. Intuitiv und maßvoll lässt er seine künstlerische Leitschnur gerade so weit ausschwingen, dass Stolzing der schwierige Seiltanz ins Preisziel gelingt. Auch er betont das Lyrische der Partitur, kann aber Stimme geben, wenn es so sein soll. Die Höhe sitzt so sicher wie der Aspirant vorm Singgericht. Optisch – das sehen wir natürlich nicht auf der CD – würde Zeppenfeld als starker Antiheld und toller Typ in jeden Tarantino-Film passen.

Sebastian Kohlhepp ist als David ganz und gar kein stilistischer Nachfolger von Peter Schreier. Mit baritonalem Kern ist dieser wortdeutliche Spieltenor ein begnadeter Charakterdarsteller. Falls er mehr freies Fließen und weniger Druck in die Stimme legen würde, wäre ihm eine große Zukunft prophezeit.

Weniger gut steht es um die Protagonistinnen der weiblichen Hauptrollen. Jacqueline Wagners Eva fehlen Glanz und sprachliche Wendigkeit. Christa Mayer ist eine allzu hausbackene Magdalene.

Vitalij Kowaljow als Veit Pogner hat eine Prachtstimme, textverständlich ist er nicht.

Der Dresdner Staatsopernchor hat Defizite bei den Sopranen (unruhig), agiert aber sonst auf hohem Niveau. Das Orchester spielt im Gesamten zum Niederknien. Die Aufnahmequalität ist als gerade noch gut zu bezeichnen. Freunde audiophiler CCs werden sich weiterhin an Karajan oder Sawallisch (mit Weikl, Studer, Heppner und Moll grandios besetzt) halten müssen. 

Eine besondere Erwähnung verdient das umfangreiche 180 Seiten starke Booklet (in deutscher und englischer Sprache) mit erstklassigen musikgeschichtlich und aufführungstechnisch relevanten Aufsätzen und vielen hervorragenden Fotos der Produktion.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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