Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

CD RICHARD WAGNER: DER FLIEGENDE HOLLÄNDER – Mitschnitt aus der Osloer Oper vom August 2024; DECCA

16.04.2025 | cd

CD RICHARD WAGNER: DER FLIEGENDE HOLLÄNDER – Mitschnitt aus der Osloer Oper vom August 2024; DECCA

holu

Kurios! Kurios! Nicht die Tatsache, dass für den Einstand des neuen Musikdirektors der Norwegischen Nationaloper, Edward Gardner, Richard Wagners „Der Fliegende Holländer“ in zwei konzertanten Aufführungen programmiert wurde. Aber sehr wohl, dass für die Besetzung der Titelpartie mit dem in erster Linie als Lied- und Konzertsänger berühmt gewordenen Gerald Finley der wohl lyrischste aller möglichen Interpreten gewählt wurde und mit der Norwegerin Lise Davidson die derzeit höhenexplosivste dramatische Sopranistin der Gegenwart schlechthin als Senta angesetzt war.  

Zehn Jahre ist es her, dass die in Stokke geborene Lise Davidsen Plácido Domingos Operalia Competition und den Königin Sonja Gesangswettbewerb gewann. Da die Opernwelt in Relation zur Flut an lyrischen Stimmen nicht gerade gesegnet ist mit hochdramatischen Sängerinnen, stürzten sich Intendanten diesseits und jenseits des Atlantiks sofort auf dieses große blondhaarige Naturtalent mit gepfefferter Höhe und sportlichem Durchhaltevermögen.

Prädestiniert für das deutsche Fach, steht nach einem privaten freudigen Ereignis das Rollendebüt als Isolde an der Metropolitan Opera New York vom 9. März bis 2. April 2026 mit Michael Spyres als Tristan, Ekaterina Gubanova als Brangäne und mit dem Musikdirektor Yannick Nézet-Séguin als Dirigenten an. Die MET hat zudem angekündigt, dass Davidsen die Brünnhilde in einer neuen Produktion von Wagners Ring des Nibelungen singen wird, und das in der Regie von Yuval Sharon und wieder mit Nézet-Séguin am Pult. Das Brünnhilde-Debüt ist beginnend mit „Die Walküre“ für die zweite Hälfte der Saison 2027-2028 vorgesehen. Die Saison 2028-2029 soll mit „Siegfried“ und 2029-2030 mit der „Gotterdämmerung“ folgen. Ein kompletter Ring-Zyklus ist für das Jahr 2030 anvisiert.

2024 gab es noch zweimal Senta live in Oslo mit der Anmerkung der Sängerin, dass dies wahrscheinlich die einzigen Vorstellungen des „Fliegenden Holländer“ ihrer Karriere, die einem schwereren Pfad folgt, bleiben werden. DECCA war mit Mikros dabei. Daher können wir nun nachhören, wie wagnerfit Orchester und der Chor der Norwegischen Nationaloper sind. Aber auch, wie gut sich das ungleiche Gespann Finley-Davidsen arrangiert hat. Das einem treibenden Eisberg nachempfundene, vom norwegischen Architekturbüro Snøhetta entworfene Haus, dessen Dach frei zugänglich ist und einen atemberaubenden Blick auf das benachbarte MUNCH und den Fjord erlaubt, ist jedenfalls ein atmosphärisch idealer Ort für Wagners romantische Oper.

Im Juni 2023 waren in der Berliner Staatsoper Unter den Linden, wie auf der vorliegenden Aufnahme, Gerald Finley als Holländer und Stanislas de Barbeyrac als Erik zu hören. Ich war damals vom Stimmvolumen und der geringen Expansionsfähigkeit des vor allem lyrisch einfühlsamen englischen Baritons wenig angetan. Ganz anders jetzt die Konserve. Die Mikros stellen halt manchmal live-Eindrücke auf den Kopf, als sie „kleinere“ Stimmen lieber mögen und trotz allen technischen Fortschritts nach wie vor offenbar so wuchtige Stimmen und metallisch gleißende Spitzentöne wie diejenigen der Lise Davidsen kaum in aller Natürlichkeit und dem vorhandenen Obertonreichtum einfangen können.

Ich weiß nicht, wie die Eindrücke live waren. Auf dem vorliegenden Album imponiert zuerst einmal das Orchester der Norwegischen Nationaloper unter der alle romantischen Finessen der Partitur auskostenden musikalischen Leitung des 50-jährigen Edward Gardner, der auch die Position eines Principal Conductors of the London Philharmonic Orchestra innehat. Gardner setzt weniger auf harte Kontraste und dynamische Extreme als auf einen dramaturgisch wunderbar ausgeloteten, durchgängig spannenden erzählerischen Fluss. In jedem Ton ist die Verankerung der Oper in der deutschen Frühromantik mit all den Rezitativen, Balladen, Arien, Duetten und Chören, Stichwort „Nummernoper“, spürbar. Der besonders in den Streichern und im Holz dunkle Klang des Orchesters betont einmal mehr die metaphysische Dimension der Naturgewalten als Gleichnisse der seelischen Grunddispositionen der Protagonisten. Außerdem erweist sich Gardner als ein großartiger Sängerbegleiter. Wie in der Lautstärke zurückhaltend und dennoch organisch frei atmend Gardner das Orchester etwa im großen Duett „Wie aus der Ferne längst vergang‘ner Zeiten“ aufspielen lässt, ist ganz große Klasse.

Lise Davidsen hält mit vielen Piani die Balance zu ihrem Partner Gerald Finley, der mit seinem schön timbrierten Bariton eher in der Nachfolge der gestalterisch hoch differenzierten Interpreten José van Dam und Bernd Weikl zu finden ist als in derjenigen der veritablen Heldenbaritonstimmen eines George London oder Theo Adam.

In den großen Höhepunkten am Ende des zweiten Akts und erst recht im Finale des dritten Akts lässt Davidsen den Riesensopran auch mal voll von der Leine. Das klingt zwar wenig geschmeidig, aber imponiert in der dramatischen Wucht und passt zur extremen emotionalen Verfasstheit der Senta.

Stanislas de Barbeyrac verkörpert einen in der Höhe gaumigen, insgesamt vokal grob charakterisierten Erik, während der Brite Brindley Sherratt als Daland seinen schon recht angerauten Bass ins Rennen führt. Mit erstrangigen Leistungen warten der junge norwegische Tenor Eirik Grøtvedt als Steuermann und Anna Kissjudit als Mary auf.

Der Chor der Norwegischen Nationaloper klingt in den Männerstimmen ausgewogener und homogen-überzeugender als in den hohen Frauenstimmen.

Fazit: Ein wichtiges Tondokument, das vor allem wegen der auf oberflächliche Effekte verzichtenden musikantischen Leitung und den jeweils auf ihre Art überragenden Leistungen von Lise Davidsen und Gerald Finley nicht nur in der eingefleischten „Wagner-Gemeinde“ Zuspruch finden wird.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

Diese Seite drucken