CD RICHARD STRAUSS: VIOLINKONZERT Op. 8, VIOLINSONATE Op. 18; KLAVIERQUARTETT c-moll, Op. 13; METAMORPHOSEN für Streichseptett; EIN HELDENLEBEN Op. 40; Deutsche Grammophon
Renaud Capuçon geigt sich in den siebenten Strauss-Himmel!
Ich liebe die Musik von Richard Strauss, und erst recht die frühen Werke, die so sträflich unterschätzt sind. Nehmen wir z.B. das dreisätzige Violinkonzert in d-Moll, Op. 8 des 17-jährigen Komponisten aus dem Jahr 1882, das hier von Renaud Capuçon mit den gloriosen Wiener Symphonikern unter der musikalischen Leitung des Petr Popelka neu – und irgendwie bekommt man das Gefühl – definitiv eingespielt wurde. Ob auch immer der (noch) Schüler Strauss, der die Skizzen zum Stück in sein „Klassenheft“ notiert hatte, dabei die Schwesternwerke von Beethoven, Mendelssohn und Bruch im Ohr hatte (dass Richard Strauss zu diesem Zeitpunkt das Violinkonzert von Johannes Brahms schon kannte, ist nicht erwiesen), ist zweitrangig. Der Erfindungsreichtum, das Füllhorn an harmonischem Sehnen und Wähnen (man höre den fantastisch Mittelsatz ‚Lento ma non troppo‘) sowie die humorgetränkte, raffinert ziselierte Erzählweise der Geige, das spannungsvolle, mal kecke, mal temperamentvoll-überschäumende Miteinander zwischen Orchester und Solisten im ‚Rondo. Prestissimo‘ bieten so viel Vergnügen, dass das Geständnis des französischen Stargeigers, er liebe dieses „sehr schwierige“ Konzert, „vergleichbar mit dem Violinkonzert von Schumann“, ganz und gar verständlich wird.
Schon wesentlich mehr von der später so berühmten wie sofort erkennbaren „klanglichen Handschrift“ des Komponisten ist im Klavierquartett in c-Moll, Op. 13 sowie in der Violinsonate in Es-Dur, Op. 18, zu merken. Fünf Jahre nach dem Violinkonzert entstanden, ist die 30-minütige Violinsonate eines der bekanntesten Kammermusikwerke von Richard Strauss. In raffiniertester fin-de-siècle Elegance lässt Strauss die jeweils zwei Haupt- und Seitenthemen im Kopfsatz melodisch und rhythmisch ineinanderfließen, sich überlagern, wieder entfernen und in einer Übung für künftige Strauss‘sche Apotheosen sich hymnisch zu einem großartigen Finale erheben.
Für die „Improvisation“ (2. Satz) mit ihrer lyrisch auffaltenden Liedhaftigkeit, die ohne Wort auskommt, finden Renaud Capuçon und der kongeniale Pianist Guillaume Bellom zu jenen bald sinnlich-irisierenden, bald leidenschaftlich-wogenden Klängen, die zarte traumumflorte Geschichten und sogar von geheimnisvollen Reminiszenzen zu erzählen scheinen. Der effektvolle letzte Satz mit seinem vorsichtig aus dunkleren Gedanken erwachsenden Einstieg erlaubt im Fortschreiten voyeuristische Ausblicke auf die sinfonische Dichtung „Don Juan“ und den „Rosenkavalier“, bevor er sich, einen wahren Klangrausch entfesselnd, heiter und unbekümmert champagnerisierend zuzuprosten scheint.
Das Klavierquartett in c-Moll des 19-jährigen aufstrebenden Musikers erhielt 1885 den 1. Preis im Kompositionswettbewerb des Berliner Tonkünstlervereins. Das in Meiningen uraufgeführte Stück mag für manche nach Brahms klingen. Für mich steht das Aufblühen der typisch Strauss’schen Art, lange Kantilenen aus silbrig glänzenden Klangfäden zu spinnen, sie sodann abrupt zu beenden, die Atmosphäre kontrastreich zwischen elegischer Nachdenklichkeit und euphorischer Lust mäandern zu lassen, im Vordergrund der Faszination des 42 Minuten langen Quartetts. Die Interpretation durch Renaud Capuçon, Giullaume Bellom, Paul Zientara (Bratsche) und Julia Hagen (Cello) lässt keinen Wunsch an jugendlicher Emphase, vibrierendem „Sturm und Drang“, exquisiter Durchhörbarkeit und emotionaler Intensität offen. Eine Offenbarung in jeglicher Hinsicht. Aufgenommen wurden die Sonate, das Quartett sowie die kurze „Daphne Etüde“ nach einem Thema aus der gleichnamigen Oper für Violine solo für im April 2024 in den Berliner Teldex Studios. Der Klang ist weiträumig und von audiophiler Brillanz.
Als weitere Gustostückerln des so wunderbar fokussierten und farbenüberbordenden Strauss-Spiels von Renaud Capuçon ist ein Live-Mitschnitt aus dem Salzburger Mozarteum vom August 2022 mit dem Sextett aus der Oper „Capriccio“ sowie die „Metamorphosen“ in der Originalversion für Streichseptett zu hören. Renaud wird dabei von einer illustren Schar an Kolleginnen und Kollegen unterstützt: Christoph Koncz (Violine), Gérard Caussé, Veronika Hagen (Viola), Clemens Hagen, Julia Hagen (Cello) und Alois Posch (Kontrabass).
CD 3 ist dem „Heldenleben“, Op. 40, in einer Aufführung mit dem Gustav-Mahler Jugendorchester unter Seiji Ozawa von den Salzburger Osterfestspielen 2000 gewidmet. Die Solo-Violine (=Stimme des Helden) hatte damals in seiner Funktion als Konzertmeister Renaud Capuçon übernommen.
Fazit: Für alle, denen Richard Strauss mehr bedeutet als Rosenkavalier, Elektra und Salome, ein Muss. Überwältigung, Opulenz und interpretatorische Dringlichkeit vom ersten bis zum letzten Ton.
Dr. Ingobert Waltenberger