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CD: Richard Strauss SALOME. Edward Gardner, musikalische Leitung. Chandos, CHSA5356(2)

02.05.2025 | cd

Diese ‚Salome‘ braucht keine Bühne – der Klang allein trifft ins Mark

salome

Wer Richard Strauss’ Einakter „Salome“ ohne Szene, Kostüme und Kulissen aufführt, muss sich seiner Mittel sehr sicher sein. Die konzertante Aufführung beim Edinburgh International Festival 2022, nun als Live-Mitschnitt beim Label Chandos erschienen, zeigt eindrucksvoll, dass musikalische Mittel allein genügen können, um eine der radikalsten Partituren der Opernliteratur in all ihrer fieberhaften Ekstase, Sinnlichkeit und Grausamkeit lebendig werden zu lassen. Edward Gardner, das Bergen Philharmonic Orchestra und ein international besetztes Sängerensemble stürzen sich mit Dringlichkeit in das Werk – so mitreißend, dass der Hörer unweigerlich in den Sog des Dramas gerät, bis zur letzten, blutgetränkten Umarmung zwischen Prinzessin und Prophetenhaupt.

Schon die ersten Takte lassen keinen Zweifel daran, dass Gardner ein Spannungsfeld zwischen dramatischer Energie und klanglicher Transparenz zu gestalten versteht. Die Usher Hall in Edinburgh mit ihrer schüsselförmigen Akustik wird dabei fast selbst zur Protagonistin – ein Schmelztiegel, in dem Strauss’ irisierende Orchesterfarben sich mischen und glühen. Gardner balanciert die Wucht des Orchesters mit kluger Zurückhaltung in den vokalen Passagen, lässt es aber in den Zwischenspielen losbrechen wie eine aufgestaute Naturgewalt. Der „Tanz der sieben Schleier“ gerät so zu einem rauschhaften Höhepunkt: grell, elektrisch, pulsierend – erotisch aufgeladen bis zur Unerträglichkeit.

Im Zentrum dieser Aufführung steht Malin Byström, deren Salome gleichermaßen fasziniert und verstört. Sie ist keine hochdramatische Sängerin, überzeugt aber mit einem mädchenhaften Klang, wie Strauss ihn geschätzt haben dürfte. Ihre Interpretation ist vielschichtig: kokett, verführerisch, zunehmend besessen, schließlich gefährlich unberechenbar. Ihr Sopran besitzt ein üppiges, warmes Zentrum, das in den Höhen nichts an Leuchtkraft einbüßt, wenn auch hörbare Grenzen erreicht. Sie modelliert Phrasen mit großer musikalischer Intelligenz und psychologischem Gespür. Besonders in der Schluss-Szene zeigt sich, wie fein Byström das fragile Gleichgewicht zwischen Ekstase und Wahnsinn austariert. Es ist eine Salome ohne Ausweg – zerrissen, hungrig, gnadenlos.

Johan Reuter als Jochanaan bleibt stimmlich zu bieder für diese glutvolle Klanglandschaft. Sein Bassbariton strahlt Würde aus, ohne Schwulst, und findet eine klare Balance zwischen entrückter Prophetie und menschlicher Abwehr. In der Szene mit Salome gelingt ihm ein seltener Moment der Transzendenz – kalt, aber nicht herzlos. Doch es fehlen Temperament und jene wilde Unnahbarkeit, dieser fanatische Eifer, der Salome magisch anzieht.

Gerhard Siegel verleiht dem Herodes ein schillerndes psychologisches Profil und eine durchschlagskräftige, differenzierte Stimme. Er changiert präzise zwischen schmieriger Gier, Machtwillen und panischer Angst. Sein Umgang mit dem Text und seine Fähigkeit zur feinen Nuancierung beeindrucken. Katarina Dalayman als Herodias bringt vokale Wärme und innere Haltung ein – keine Karikatur, sondern eine Frau, die inmitten eines degenerierten Hofstaats noch ahnt, was Familie bedeutet. Bror Magnus Tødenes überzeugt als Narraboth mit lyrischem Schmelz und seelenvollem Ausdruck, besonders in seiner von Todessehnsucht durchdrungenen Verehrung für Salome. Auch die Nebenrollen sind exquisit besetzt – etwa Clive Bayley als erster Nazarener, dessen markanter Bass jedes Detail ernst nimmt und mit Leben füllt.

Das Bergen Philharmonic Orchestra erweist sich als Luxusklangkörper. Die Transparenz, die Farbenpracht der Holzbläser, das scharfe, präzise Blech – all das trägt den Gesang nicht nur, sondern kommentiert, unterfüttert, widerspricht. Gardner führt seine Musiker mit spürbarer Liebe

zum Detail, ohne sich im Dickicht der Partitur zu verlieren. Vielmehr hebt er deren narrative Kraft hervor – wie ein Regisseur, der seinen Film ganz in Musik denkt.

Die Klangqualität der Aufnahme ist farbig und dynamisch, wobei das Orchester klar im Vordergrund steht. Das Sängerensemble ist leider nicht immer ideal ausbalanciert; vor allem in dicht gearbeiteten Ensembleszenen oder manchen Solo-Momenten entstehen klangliche Ungleichgewichte, die manche feine Nuance überdecken.

Eine hörenswerte Aufnahme unserer Zeit – musikalisch durchdacht und intensiv gestaltet. Im Vergleich zu den großen Referenzaufnahmen vergangener Jahrzehnte (Solti, Karajan, Mehta) bleibt sie jedoch klar zurück: Deren Sänger verfügten über mehr stimmliche Persönlichkeit, charakterliche Schärfe und Ausdruckstiefe. Auch die Orchester jener Aufnahmen – mit deutlich mehr Opernerfahrung ausgestattet – agierten noch präziser im narrativen Zugriff. Schließlich überzeugt auch die Klangqualität der älteren Studioeinspielungen trotz ihres Alters insgesamt mehr: balancierter, dynamischer, breiter.

Dirk Schauß, im April 2025

Richard Strauss

Salome

Edward Gardner, musikalische Leitung

Chandos, CHSA5356(2)

 

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