CD: Richard Stöhr Orchestral Music, Volume Three Sinfonia Varsovia Ian Hobson, musikalische Leitung Toccata Classics, TOCC 0743
Die Wiederentdeckung eines verkannten Meisters – Richard Stöhr und seine späte Orchesterkunst
Mit der dritten Folge widmet sich Toccata Classics erneut der außergewöhnlichen Musik Richard Stöhrs und bringt dem Hörer drei kraftvolle Werke des Exilkomponisten aus dem Jahr 1942 nahe. Die Sinfonia Varsovia unter der Leitung von Ian Hobson entfaltet diese vergessenen Partituren mit Hingabe und betont dabei die zahlreichen Facetten der spätromantischen Ausdruckskraft.
Richard Stöhr, geboren 1874 in Wien, war ein vielseitiger Komponist und Lehrer, dessen Karriere durch die politischen Umstände der 1930er Jahre abrupt unterbrochen wurde. Im amerikanischen Exil blieb ihm der große Durchbruch verwehrt. Doch seine Musik, geprägt von Einflüssen Bruckners, Mahlers und Schmidts, bewahrte sich ihren unverwechselbar wienerischen Stil und Reichtum an Klangfarben. Die auf dieser CD eingespielten Werke, die in der schwierigen Zeit des zweiten Weltkriegs entstanden sind, strahlen eine künstlerische Kraft und einen ungebrochenen Optimismus aus.
Mit der Ouvertüre „Per Aspera ad Astra“ zeigt Stöhr seine kreative Experimentierfreude: Ungewöhnlich, kühn setzt er Saxophon und Klavier ein, die in der Besetzung der Sinfonia Varsovia in ihrer Konzert-Band-Konstellation farbig und klanglich reizvoll zur Geltung kommen. Hobson, der mit höchstem Respekt für die Nuancen des Werks dirigiert, nutzt diesen orchestralen Reichtum, um die dramatische Aussagekraft zu unterstreichen. Sein feines Gespür für Spannung bringt die heroische Reise „durch Widrigkeiten zu den Sternen“ zum Leuchten, und das Ensemble antwortet ihm mit einer Präzision und Spielfreude, die das eigenwillige Werk lebendig werden lässt.
Das musikalische Gedicht „Two Roads to Victory“ bringt erzeugt eine Welt voller Kontraste und entschiedener Klangfarben. Die Sinfonia Varsovia unter Hobsons Leitung entfaltet die dramatische Struktur der Partitur mit souveräner Klarheit. Die Musiker greifen die beiden gegensätzlichen Themen – den Weg des Krieges und den der Liebe – mit spürbarer Energie und Ausdruckskraft auf. Markante Akzente in den Blechbläsern und einprägsame Streicherpassagen geben der Komposition einen kraftvollen Zug, während Hobson das Ensemble in dynamischen Bögen führt, die die Dramatik und Emotionalität des Werks steigern. Besonders beeindruckend ist hier, wie die einzelnen Register zusammenfinden: Holz- und Blechbläser setzen prägnante Akzente, während die Streicher die emotionalen Facetten mit Schattierungen und Farben bereichern. Die Interpretation des Orchesters verleiht Stöhrs Vision damit eine klare, fast ergreifende Direktheit.
Der Höhepunkt der CD, die zweite Sinfonie in vier Sätzen, gibt Ian Hobson und der Sinfonia Varsovia Gelegenheit, ihr beeindruckendes Ausdrucksspektrum zu entfalten. Im ersten Satz meistern die Streicher und Holzbläser ein lebhaftes Wechselspiel, das die musikalischen Themen lebendig zur Geltung bringt. Hobson führt das Orchester mit feinem Gespür durch die dynamischen Spannungsbögen.
Der zweite Satz offenbart ein mystisches Spiel von Pizzicati und raunenden Bläserstimmen, in denen geheimnisvolle Harfeneinsprengsel für Momente funkelnder Schönheit sorgen. Hier zeigt sich die herausragende Fähigkeit der Sinfonia Varsovia, Klangfarben fein nuanciert zu gestalten und so eine dichte, beinahe magische Atmosphäre zu erschaffen. Hobson lenkt das Orchester mit Bedacht durch diese musikalische Szenerie, wobei er die verschiedenen Stimmen harmonisch ineinanderfließen lässt und die rätselhaften, fast schwebenden Momente raffiniert betont.
Der dritte Satz begeistert durch sein lebhaftes, keckes Thema, das in einem charmanten Dialog zwischen den Streichern und Blechbläsern umgesetzt wird. Hier bringt die Sinfonia Varsovia einen leichten, verspielten Charakter ein, der durch Hobsons lebendiges Dirigat noch verstärkt wird. Die Musik plappert fast wie in einem heiteren Gespräch und zeigt eine angenehme Gelöstheit.
Das Finale schließlich entfacht ein wahres Feuerwerk an musikalischer Kraft: Mit entfesselter Leidenschaft und stürmischem Ausdruck treibt Hobson das Ensemble zu einem kraftvollen Höhepunkt, in dem sich alle Register zu einem feurigen Ganzen vereinen. Die Sinfonia Varsovia zeigt hier eine bemerkenswerte Geschlossenheit und Energie.
Mit dieser Aufnahme setzen Ian Hobson und die Sinfonia Varsovia Richard Stöhr ein eindrucksvolles Denkmal. Sie haben das komplexe Werk des Komponisten mit höchster Sorgfalt und Musikalität erarbeitet und seine facettenreiche Tonsprache in all ihren Farben zum Leuchten gebracht. Diese Interpretation verleiht Stöhrs Musik Vitalität und öffnet ihm die Tür zurück in das Bewusstsein der Klassikliebhaber. Eine Entdeckung, die sich durch die hervorragende Leistung von Dirigent und Orchester auszeichnet und Musikfreunden, die auf der Suche nach besonderen Schätzen sind, wärmstens ans Herz gelegt sei!
Dirk Schauß, im November 2024
Richard Stöhr
Orchestral Music, Volume Three
Sinfonia Varsovia
Ian Hobson, musikalische Leitung
Toccata Classics, TOCC 0743